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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Fördern statt abwürgen

Olaf Weppner ist Sprecher der Geschäftsführung AbbVie Deutschland
Olaf Weppner ist Sprecher der Geschäftsführung AbbVie Deutschland Foto: privat

Bei der Wahl der richtigen und langfristigen Investitionsorte blicken Verantwortliche aus der Pharmaindustrie mit Sorge auf die immer schwierigeren Bedingungen in Deutschland. Um am Standort Deutschland positive Rahmenbedingungen für diese Schlüsselindustrie zu bewahren und verlässliche Zukunftsperspektiven zu schaffen, braucht es vor allem eins: den Dialog.

von Olaf Weppner

veröffentlicht am 21.11.2023

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Noch immer steht die Herkunftsbezeichnung „Made in Germany“ für höchste Qualität und Zuverlässigkeit – ganz egal, ob es um Maschinen, Anlagen oder Automobile geht. Doch das Siegel hat erkennbare Risse bekommen: Zahlreiche Faktoren führen dazu, dass Unternehmen in Deutschland zunehmend den Anschluss verlieren, statt intensiv in die Produkte und Produktionsverfahren von Morgen investieren zu können. Das belegen aktuelle Zahlen und die Einschätzung führender Wirtschaftsforschungsinstitute.

Die Gründe für den schleichenden Niedergang sind vielschichtig: Als Export-Nation wird unsere Wirtschaftslage maßgeblich beeinflusst von der globalen Konjunktur, dem allgemeinen Zinsniveau und der Inflation in den Schlüsselmärkten. Hinzu kommen Abhängigkeiten im Bereich zentraler Rohstoffe und fossiler Energie. Die derzeit hohen Strompreise gepaart mit dem zunehmenden Fachkräftemangel bremsen die notwendige Transformation zur klimaneutralen Industrie.

Schlüsselposition für Forschung und Entwicklung

Um den Rückgang des Lebensstandards in Deutschland zu verhindern, braucht es neue Innovationen mit Weltmarktpotenzial, die möglichst ohne wertvolle Rohstoffe auskommen und wenig energieintensiv sind. Doch diese Wirtschaftszweige sind rar gesät. Umso wichtiger wäre es, dass die Politik in diesen Branchen alle Ampeln auf Grün schaltet. Die pharmazeutische Industrie kann so eine Schlüsselposition einnehmen. Durch innovative Forschung und gute Bedingungen kam es in den vergangenen Jahrzehnten zu vielen bahnbrechenden Entwicklungen: HIV, Hepatitis C und auch viele Krebsarten können heutzutage gut behandelt oder gar geheilt werden. Mit diesen Erfolgen hat die Pharmaindustrie einen essenziellen Beitrag hin zu einer gesünderen Gesellschaft, aber auch zu Wirtschaftswachstum, internationaler Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung und Wohlstand geleistet.

Natürlich kommt so etwas nicht über Nacht, sondern ist das Ergebnis oft jahrzehntelanger Arbeit – wenn man die Akteure denn lässt. Doch die Hürden nahmen stetig zu. Beim diesjährigen „Weltmarktführerindex“, den die Unternehmensberatung Rödl & Partner zusammen mit der Universität St. Gallen herausbringt, gab es einige alarmierende Antworten: 27 Prozent der Vertreter deutscher Weltmarktführer glaubten, dass die Marke „Made in Germany“ ein Auslaufmodell sei. Zudem sei die Bundesrepublik insgesamt zu wenig digital und produktiv. Denn die Energie fließe vorwiegend bürokratische Tätigkeiten, die zu erheblichen Verzögerungen führen.

Hürdenlauf im Gesundheitssystem

Die Pharmaindustrie kann ein Lied davon singen. Egal ob Kombinationsrabatt, Preismoratorium oder Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG): Jede neue Reform hat zusätzliche Hürden geschaffen, ohne den Kostendruck im deutschen Gesundheitssystem wirksam zu reduzieren. Dies ist nicht verwunderlich, denn Arzneimittel machen stabil nur einen Anteil von rund elf Prozent der Gesamtausgaben der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) aus. Dennoch zielt auch das zuletzt beschlossene GKV-Finanzstabilisierungsgesetz in erster Linie auf die innovative pharmazeutische Industrie.

Ein Beispiel für die teils willkürlichen Maßnahmen: Wenn ein Medikament nach jahrelanger Forschung endlich zugelassen wird, werden die Hersteller nicht für die Entwicklung neuer und innovativer Behandlungen belohnt – nicht mal dann, wenn diese nachweislich besser sind als die Standardtherapie. Neue Medikamente mit gleichem Nutzen müssen sogar mit einem mindestens zehn Prozent geringeren Preis auf den Markt gebracht werden. Und auf Kombinationstherapien wurde seitens des Gesetzgebers zusätzlich ein zwanzigprozentiger Rabatt eingeführt.

Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz entwertet somit systematisch vor allem Schrittinnovationen, die essenziell sind für die kontinuierliche Weiterentwicklung in der Arzneimittelforschung und die Patientenversorgung. Die Folge: Immer mehr Firmen senken ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung, verlegen Prozesse ins Ausland oder verzichten hierzulande ganz auf eine Einführung ihrer Medikamente. Dies gefährdet nicht nur die Verfügbarkeit wichtiger Arzneimittel, sondern auch Arbeitsplätze und beeinträchtigt den Zugang der deutschen Bürgerinnen und Bürger zu den neuesten medizinischen Schlüsseltherapien. Wir müssen aufpassen, dass wir vom medizinischen Fortschritt in Deutschland nicht abgehängt werden.

Pionierarbeit in Ludwigshafen

Das globale BioPharma-Unternehmen AbbVie ist ein Paradebeispiel dafür, wie fortschrittliche Ideen und Technologien aus Deutschland medizinische Durchbrüche ermöglichen. Zwar liegt die Unternehmenszentrale in Chicago, doch ohne die Innovationskraft „Made in Germany“ wäre die Erfolgsgeschichte kaum denkbar: In Ludwigshafen befindet sich ein vollintegrierter Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionsstandort mit einer mehr als 135-jährigen Geschichte. Rund 2.000 Menschen arbeiten derzeit hier, über 1.000 von ihnen in der Forschung und Entwicklung. 

Spitzenforschung und die Herstellung komplexer Arzneimittel erfordern kontinuierlich hohe Investitionen. Nach einer Auswertung des WifOR-Instituts investierte AbbVie allein im Jahr 2021 31 Prozent seiner Bruttowertschöpfung aus dem deutschen Geschäft in Forschung und Entwicklung (F&E). Zum Vergleich: Deutschland und die EU haben sich das Ziel gesetzt, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf 3,5 bzw. 3 Prozent des BIP zu steigern. Damit erfüllt AbbVie diese politischen Zielwerte bereits um das 9-fache bzw. mehr als das 10-fache. Auch in die Infrastruktur wurde erheblich investiert – allein am Standort Ludwigshafen waren es seit 2020 etwa 200 Millionen Euro.

Aktuell sind die Expert:innen aus Ludwigshafen an mehr als 80 Prozent aller AbbVie-Pipeline-Projekte beteiligt. Doch bei der Wahl der richtigen (langfristigen) Investitionsorte schauen die Verantwortlichen mit Sorge auf die immer schwierigeren Bedingungen in Deutschland. Gründe hierfür sind neben den vielen bürokratischen Hürden auch der langfristige Schutz geistigen Eigentums oder der aktuell schwierige Zugang zu anonymisierten Gesundheitsdaten. Denn um hochwirksame Arzneimittel mit dem bestmöglichen Sicherheitsprofil zu entwickeln, nutzt man bei AbbVie zunehmend datenbasierte Modelle und Simulationen.

Aus diesem Grund ist es klar zu begrüßen, dass das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) eine Industriestrategie formuliert hat, in der die forschende pharmazeutische Industrie klar als eine der Leitbranchen genannt ist und deren Ziel es ist, den Standort Deutschland wieder attraktiv für die forschende pharmazeutische Industrie zu machen.

Allem voran gilt es jedoch, Innovationen ausreichend zu honorieren. Die aktuellen gesetzlichen Veränderungen bei den Leitplanken zur Nutzenbewertung und Preisverhandlung innovativer Medikamente werden dem Wert von medizinischer Forschung nicht mehr gerecht. Das kann einen Nachteil des Standorts im internationalen unternehmensinternen Wettbewerb zur Folge haben. Um am Standort Deutschland positive Rahmenbedingungen für diese Schlüsselindustrie zu bewahren und verlässliche Zukunftsperspektiven zu schaffen, braucht es vor allem eins: den Dialog. Die pharmazeutische Industrie möchte gemeinsam mit der Bundesregierung eine nachhaltige Reform des Gesundheitssystems mitgestalten. Denn das Ziel sollte für alle Akteure gleich sein: Die medizinische Versorgung aller Menschen in Deutschland aufrechterhalten, hoch qualifizierte Arbeitsplätze schaffen und die Marke „Made in Germany“ mit echten Innovationen wieder nach vorne bringen.

Olaf Weppner ist Vice President und Geschäftsführer Commercial sowie Sprecher der Geschäftsführung AbbVie Deutschland.

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