Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat Ende letzten Jahres ein Gesetz angekündigt, das den Einfluss von Finanzinvestoren im ambulanten Gesundheitssektor einschränken soll. Bisherige Regulierungsvorschläge vonseiten der Bundesländer oder der Bundesärztekammer kommen aus dem Bereich der Gesundheitspolitik – etwa eine regionale Beschränkung für den Kauf von Arztpraxen. Was bisher fehlt, ist eine Betrachtung aus wirtschaftlicher Sicht. Dabei finden sich gerade dort potenziell wirksame Hebel. Denn wer die Geschäftslogik der Finanzinvestoren versteht, weiß auch, wie sich ihr Vormarsch ausbremsen lässt.
Für Finanzinvestoren wie Private-Equity-Firmen stehen Arztpraxen seit einigen Jahren weit oben auf der Einkaufsliste. Solche Firmen bündeln das Geld ihrer Anleger, meist Pensionsfonds, in einem Fonds und kaufen sich mithilfe von hohen Krediten in besonders lukrative Wirtschaftszweige ein – darunter auch sehr profitable Sektoren des Gesundheitssystems. Dabei versprechen sie ihren Anlegern jährliche Renditen von zwanzig Prozent. Auf dem Weg zu derart hohen Renditen stülpen sie jedoch selbst gesunden Unternehmen ungesunde Geschäftsmodelle über. Dies birgt hohe Risiken für die Unternehmen und damit auch für die Gesundheitsversorgung insgesamt.
Das Modell Private Equity
Private-Equity-Firmen legen das Geld von Investoren über eine feste Laufzeit von meist zehn Jahren an. Mit diesen Geldern tätigen sie auch Aufkäufe von Arztpraxen. Zum Ende der Laufzeit muss die Private-Equity-Firma die Arztpraxen wieder verkaufen, damit sie eine Rendite erzielen kann.
Sobald die Private-Equity-Firma den Praxen-Konzern kontrolliert, stellt sie ihn operativ um. Die Praxen nehmen oft hohe Schulden auf, das Eigenkapital sinkt. Damit steigt die Eigenkapitalrendite des Unternehmens, eine wichtige Kennzahl für die Investoren, aber auch das Risiko. Am Ende der Laufzeit für den Fonds wird der umstrukturierte Konzern gewinnbringend verkauft, oft in schlechterem wirtschaftlichen Zustand als zuvor. Und: In fast der Hälfte der Fälle geht der Verkauf an ein weiteres Private-Equity-Unternehmen. Dann geht das ganze Spiel wieder von vorne los.
Trotz geringer Gewinne rentabel
Schaut man in die Bilanzen der Praxen-Konzerne, sieht man, dass sie kaum Gewinne machen, manche schreiben sogar rote Zahlen. Trotzdem sind sie attraktiv für Finanzinvestoren, solange laufend Gelder in das Unternehmen fließen, also der Cashflow hoch ist. Private Equity erwirtschaftet mit Arztpraxen, die quasi keine Gewinne machen, trotzdem jährlich Gewinne von bis zu 20 Prozent. Was unlogisch klingen mag, gelingt den Investoren maßgeblich durch Finanztricks. Sie sorgen dafür, dass die hohen Renditen nicht an den Praxen-Konzern selbst gehen, sondern an die Private-Equity-Firma.
Die maßgebliche Rendite fällt beim Verkauf des Konzerns an. Der Faktor, der dabei den Preis hochtreibt, ist meist die neue Struktur des Konzerns, geschaffen durch die Bündelung von Praxen und Arztsitzen und durch die operative Umstrukturierung auf eine hohe Eigenkapitalrendite. Hinzu kommt, dass die Investoren ihre Gewinne meist nur gering versteuern, da sie in Schattenfinanzzentren sitzen.
Gefahr für die Gesundheitsversorgung
Praxen-Konzerne in Private-Equity-Hand sind meist außergewöhnlich hoch verschuldet. Einige besitzen eine Eigenkapitalquote von weniger als fünf Prozent – alles andere ist fremdfinanziert, durch Kredite bei Banken oder bei der Private-Equity-Firma.
Wirtschaftliche Entwicklungen wie die Zinswende 2022 führen dazu, dass hoch verschuldete Unternehmen mit höheren Zinskosten konfrontiert werden. Wenn die Unternehmen ihre Bankschulden nicht bedienen können oder Banken keine Kredite mehr an hoch verschuldete Unternehmen ausgeben wollen, kann die Private-Equity-Firma auch mit Geldspritzen einspringen – sie muss es aber rechtlich nicht.
Für die Private-Equity-Firma wäre eine Pleite der Praxen hauptsächlich ein Investitionsverlust. Selbst haften sie mit eigenem Geld nur geringfügig für das Unternehmen und das aufgezwungene Geschäftsmodell.
Bisher sind keine Pleiten von Praxen-Konzernen in Private-Equity-Hand in Deutschland bekannt. Allerdings ist es dafür wohl auch noch zu früh, denn der Einstieg von Finanzinvestoren in diesem Bereich ist noch eine relativ neue Entwicklung. Anders in Großbritannien, wo eine Kette von Pflegeheimen nach zahlreichen Übernahmen durch Private Equity pleite gegangen ist. Die Abwicklung des insolventen Konzerns war kein Spaß für die Patientinnen und Patienten. Neben der Pleite von Praxen droht durch die Aufkäufe zudem eine regionale Monopolisierung. Diese würde die freie Arztwahl einschränken.
Handlungsmöglichkeiten für Finanzinvestments im Gesundheitsbereich
Will man der Entwicklung entgegenwirken, müssen gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, sodass private Investitionen im Gesundheitssystem der Gesellschaft dienen – und nicht stattdessen ein Risiko für die Patienten und die Gesundheitsversorgung darstellen.
Neben gesundheitspolitischen Maßnahmen gibt es auch finanzpolitische Maßnahmen, die denkbar sind. Um die langfristige wirtschaftliche Stabilität von Arztpraxen sicherzustellen, könnte die Kreditaufnahme der Praxen-Konzerne begrenzt werden. Dies würde den Hebel der Private-Equity-Firmen reduzieren, sie müssten mehr eigenes Kapital einsetzen. Zudem könnte es Haftungsregeln geben, damit die Investoren während des Besitzes und nach dem Verkauf des Unternehmens nicht direkt aus der Verantwortung sind.
Das ganze Ausmaß des Einflusses von Private Equity im deutschen Gesundheitssektor ließe sich mit einem Transparenzregister ermitteln. Dabei müssten die Eigentümer der Medizinischen Versorgungszentren erfasst werden. So würde sichtbar, wenn Eigentümer Schattenfinanzzentren zur Steuervermeidung nutzen.
Die Renditelogik der Finanzmärkte greift in zahlreiche Lebensbereiche der Menschen ein. Probleme, die dadurch entstehen, sind meist vielfältig und spezifisch. Um diese anzugehen, kann es sinnvoll sein, den Blick zu weiten.
Aurora Li ist Ökonomin mit den Schwerpunkten Makroökonomie und Finanzwirtschaft. Bei Finanzwende arbeitet sie als Referentin zu den Themen Banken, Finanzmarktstabilität und Finanzialisierung und beschäftigt sich mit Fragen der Finanzmarktregulierung.