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Gesundheit & E-Health

Standpunkte „Groß denken, klein starten, schnell handeln“

Veronika Schweighart, Mitgründerin und Mitglied der Geschäftsführung bei Climedo
Veronika Schweighart, Mitgründerin und Mitglied der Geschäftsführung bei Climedo Foto: Climedo

Warum es mehr Innovationsfreude bei klinischen Studien braucht, schreibt Veronika Schweighart, Mitgründerin bei Climedo, im Standpunkt. Statt Vorreiter zu sein, sei Deutschland hier jedoch oft Paragraphenreiter, was sich wiederum auf die Forschungsergebnisse auswirke, ist sie überzeugt. Umso wichtiger sei es nun, besser über Studien aufzuklären, ihre Sichtbarkeit zu erhöhen und sie flexibel in den Patientenalltag zu integrieren.

von Veronika Schweighart

veröffentlicht am 24.05.2023

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Wie kann Deutschland im Bereich Gesundheitsinnovationen wettbewerbsfähig bleiben? Mit dieser Frage beschäftigte sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kürzlich auf der DMEA und forderte eine verstärkte Digitalisierung des Systems. Dafür sollen neue Entwicklungen berücksichtigt, Datenmissbrauch vermieden und eine bessere internationale Vernetzung ermöglicht werden.

Dieses Mindset muss sich auch in klinischen Studien widerspiegeln, die entscheidend für den medizinischen Fortschritt sind. Statt Vorreiter zu sein, ist Deutschland hier jedoch oft Paragraphenreiter, was sich wiederum auf die Forschungsergebnisse auswirkt. Digitale Technologien bieten in klinischen Studien noch nie dagewesene Chancen. Um diese zu nutzen, braucht es in drei Bereichen mehr Innovationsfreude: In der Flexibilität für Patienten, im digitalen Datenschatz, den wir bauen, und in der Förderung von Gesundheits-Start-ups.

Flexibilität in klinischen Studien

Welche Vorteile und Risiken erwarten mich in einer klinischen Studie? Was ist, wenn sie nicht mit meinem Alltag vereinbar ist? Und wie finde ich überhaupt eine für mich passende? Laut Climedos neuer Umfrage unter 124 Patienten zählen „fehlende Informationen über eine Studie“, „hohe Zeitaufwände“ sowie das „ausfindig machen einer Studie“ zu den größten Hürden. Studiensponsoren haben hingegen mit der Patientenrekrutierung und -bindung zu kämpfen.

Umso wichtiger ist es, besser über Studien aufzuklären, ihre Sichtbarkeit zu erhöhen und sie flexibel in den Patientenalltag zu integrieren. Hier bieten digitale Technologien ein enormes Potenzial. So muss der Erkrankte nicht immer in ein Zentrum fahren, um sich einzuschreiben oder Fragebögen über seine Befindlichkeit zu beantworten, sondern kann dies bequem von zu Hause auf dem Smartphone erledigen. Damit kann die Bereitschaft zur Studienteilnahme in der Bevölkerung gestärkt werden.

Doch die dezentrale Studiendurchführung stellt in Deutschland noch immer eine regulatorische Hürde dar, unter anderem aufgrund der mangelnden Akzeptanz der elektronischen Patienteneinwilligung (eConsent), was in anderen europäischen Ländern schon lange möglich ist. In unserer Umfrage zählte eConsent zu den Top vier Technologien, die Patienten nutzen möchten. Es liegt also an der Politik, Hürden abzubauen und Datenschutzregeln zu harmonisieren.

Datenschatz aufbauen

Bis 2025 sollen 80 Prozent der gesetzlich Versicherten eine elektronische Patientenakte (ePA) haben, so Lauterbach. Diese ermöglicht die digitale Bereitstellung wichtiger Gesundheitsdaten, die auch klinische Studien bereichern würden. Die Offenheit der Patienten ist laut unserer Befragung da: 50 Prozent würden gerne die ePA in Studien nutzen.

Welches Potenzial bieten Daten, die aus Technologien wie der ePA gewonnen werden? Hier spielen der Ausbau eines Datenschatzes sowie „Real-World Evidence“ (RWE) eine wichtige Rolle. RWE zeigt die Wirksamkeit von Arzneimitteln bei Patienten in der realen Welt auf, unterstützt ärztliche Entscheidungen und ergänzt Forschungsergebnisse. Dieser Datenschatz wird im Idealfall auch Patienten zurückgespielt, etwa in Form von Patienten-„Cockpits“, für die sich rund die Hälfte unserer Befragten interessieren, jedoch die wenigsten bisher genutzt haben. Mit der ePA können auch Risiken und Nebenwirkungen früh erkannt werden. Lauterbachs Strategie befürwortet ebenfalls die Verfügbarkeit und Verknüpfbarkeit von Daten aus verschiedenen Quellen.

Digitale Lösungen „made in Germany“ erfüllen wahrscheinlich die höchsten Datenschutzstandards der Welt. Gleichzeitig sehen wir durch den rigiden Umgang mit Gesundheitsdaten immer noch Hindernisse, etwa beim Zugang zu anonymen Daten für Forschungszwecke – eine der größten Chancen zur Verbesserung von Behandlungsergebnissen. Politik und Behörden müssen Blockaden bei Datenschutz und -souveränität lösen, damit digitale Gesundheitslösungen in Deutschland erfolgreich ausgerollt werden können. Ein gutes Beispiel ist dabei Estland: Dort sind ein hohes Maß an Digitalisierung, Datenaustausch und Datenschutz eng miteinander verknüpft.

Förderung von Start-ups

Bis Ende 2026 sollen laut der Digitalisierungsstrategie 300 Forschungsvorhaben unter Nutzung von Daten aus dem Forschungsdatenzentrum initiiert werden. Ein Punkt, der in der Strategie jedoch keine Erwähnung findet, ist die Rolle von Start-ups. Dies ist bedauerlich; denn gerade sie entwickeln oft die digitalen Tools für die Datengewinnung und bringen wertvolles unternehmerisches Denken mit. Zudem stellen sie den zukünftigen Mittelstand und damit das Rückgrat der Wirtschaft dar.

Es wäre daher wünschenswert, eine unbürokratische Förderung von Start-ups im Gesundheitswesen zu ermöglichen. Damit Start-ups nach der Frühförderphase wirklich skalieren können, sind deshalb in späteren Finanzierungsrunden Kapitalgeber gefragt. Ansonsten wandern etablierte Start-ups für größere Finanzierungsrunden oft in die USA ab – und mit ihnen wichtige Talente und Steuern.

Fazit

Wir haben viel vor. Doch derartige Vorhaben sind nur realisierbar, wenn wir mehr Innovationsfreude zeigen. Eine Grundvoraussetzung für die erfolgreiche digitale Transformation im Gesundheitswesen ist die Akzeptanz durch die Endnutzer: Ärzte, Pflegepersonal und Patienten. Diese sind nur bereit, solche Technologien zu nutzen, wenn sie deren Vorteile spüren können, beispielsweise die Flexibilität.

In Deutschland haben wir oft Angst vor radikalen Veränderungen und einem möglichen Versagen. Hier bietet sich ein Ansatz an, der dem Testen einer neuen Idee in einem Start-up ähnelt: Digitale Transformationsprojekte werden in Abschnitte aufgeteilt, Hypothesen aufgestellt und in kleinen Gruppen mit engen Feedbackzyklen getestet. Wir lernen aus den Tests und passen die Prozesse entsprechend an. Sobald der Nutzen sichtbar ist, fügen wir weitere Teile hinzu und wiederholen den Zyklus.

Wenn die digitale Transformation in Deutschland gelingen soll – mit mehr Flexibilität für Patienten, einem fundierten Datenschatz und einer verbesserten Start-up-Förderung – müssen politische Entscheider und Gesundheitsunternehmen eine innovative und unternehmerische Denkweise annehmen: Groß denken, klein starten, schnell handeln.

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