Mangel an Ärztinnen und Ärzten, an Apothekerinnen und Apothekern und zahlreichen weiteren Fachkräften, die Auswirkungen des demografischen Wandels und steigende Kosten – nur ein paar der Herausforderungen, die schon seit Jahren das hiesige Gesundheitssystem mit all seinen Akteuren belasten. Und zusätzlich an einigen Stellen lähmende Prozesse und veraltete Strukturen, die den Gesundheitsakteurinnen und -akteuren Zeit und Nerven rauben. Zeit, die diese viel lieber in den Umgang mit ihren Patientinnen und Patienten investieren würden.
An einigen Stellen bietet der technologische Fortschritt schon längst Möglichkeiten, Prozesse effizienter zu gestalten und Bürokratie zu reduzieren. Das Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (DigiG) hat den Anspruch, dies zu tun – durch Modernisierung und Digitalisierung. Die Einführung des E-Rezepts als Teil dieser Umstrukturierung machte den Anfang.
Einlöseweg über die eGK erhöht die Akzeptanz
Apotheken in Deutschland bieten bereits seit September 2022 die Möglichkeit, E-Rezepte einzulösen und diese mit den Krankenkassen abzurechnen. Der Start des E-Rezepts verlief jedoch größtenteils abseits der öffentlichen Wahrnehmung und entsprechend wenige E-Rezepte wurden in dieser Zeit eingelöst. Dies änderte sich ab Juli 2023, als der Einlöseweg über die elektronische Gesundheitskarte (eGK) möglich wurde. Dadurch wurde der Umgang mit dem E-Rezept für die Kundinnen und Kunden bereits wesentlich einfacher und komfortabler. Noventi-Zahlen zeigen, dass Apotheken zur Einführung des neuen Einlösewegs über die eGK zunächst zirka 121.000 E-Rezepte einreichten. Im Laufe des Jahres stieg diese Zahl schon um ein Vielfaches, sodass unser Haus bereits im November 2023 erstmalig die Marke von einer Million abgerechneten E-Rezepten überschritt.
Dieser dynamische Anstieg verdeutlicht: Einfache Einlösewege führen dazu, dass Beteiligte gewillt sind, diese auch tatsächlich umzusetzen. Eine repräsentative Meinungsumfrage unter Verbraucherinnen und Verbrauchern des Digitalverband Bitkom ergab bereits im vergangenen Sommer, dass 50 Prozent der Befragten das E-Rezept über die eGK einlösen und 22 Prozent hierfür das Smartphone nutzen wollen. Diese Entwicklung überrascht nicht, zumal alle gesetzlich Versicherten eine eGK besitzen und diese bei Arztbesuchen zumeist ohnehin mitführen.
E-Rezept: Einführung mit exponentiellem Wachstum
Die verpflichtende Einführung des E-Rezepts war also ein längst überfälliger Schritt. Seit Januar 2024 ist die digitale Verschreibung nun auch für Arztpraxen verpflichtend. Laut des „E-Health Monitor“ von McKinsey sei fast jedes zweite Rezept, das derzeit ausgestellt wird, ein E-Rezept. Als Deutschlands führendes Abrechnungsunternehmen können wir diese Zahlen untermauern: Im Dezember 2023 vor der verpflichtenden Einführung reichten Vor-Ort-Apotheken über 2,9 Millionen E-Rezepte ein. Im Januar dieses Jahres rechnete Noventi bereits mehr als 19 Millionen Rezepte ab, davon waren knapp 62 Prozent E-Rezepte – über viermal so viele E-Rezepte wie im Monat zuvor.
Auch die Zahl der Apotheken, die E-Rezepte einlösen, hat sich von Juli (8408) bis November 2023 (16.702) nahezu verdoppelt. Laut Berechnungen der ABDA, der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, gab es zu diesem Zeitpunkt 17.733 Apotheken in Deutschland – das sind fast 95 Prozent der Vor-Ort-Apotheken, die die elektronische Verordnung bereits nutzten.
Trotz der gestiegenen Akzeptanz und Ausstellung gibt es selbstverständlich immer mal wieder oder noch einige Stolpersteine, die es zu bewältigen gilt. Manches offenbart sich leider erst, wenn die Testumgebung verlassen wurde und es um die tatsächliche Umsetzung unter Realbedingungen geht. Viele Probleme treten immer wieder auf, beispielsweise technische Störungen in der Telematikinfrastruktur (TI).
Dies ist die Plattform für Gesundheitsanwendungen, über die auch die Übermittlung der E-Rezepte läuft. Die TI ist die Grundlage für die Funktionsfähigkeit des E-Rezepts, weil sie Praxen, Krankenhäuser, Apotheken und weitere Leistungserbringereinrichtungen im Gesundheitswesen miteinander verbindet und so schnelle und sichere Kommunikation ermöglicht. So gab es trotz des stufenweisen Roll-outs und langer Vorbereitungszeit Herausforderungen, die erst mit der flächendeckenden Einführung sichtbar wurden. Das bestätigt auch eine Blitzumfrage des Ärztenachrichtendienstes (änd): 50 Prozent der befragten Arztpraxen gaben ebendiese technischen Probleme mit der Telematikinfrastruktur als größte Hürde in den ersten Wochen der flächendeckenden Einführung des E-Rezepts an. Laut 29 Prozent der Befragten führten zudem Probleme mit der eigenen Software zu Komplikationen.
Fehlerfrei geht es nicht
Diese können auch die Einlösung in der Vor-Ort-Apotheke beeinflussen, was den wenigsten bewusst sein dürfte. Manche Praxisverwaltungssysteme verzögern die elektronische Signierung durch Ärztinnen und Ärzte. In so einem Fall ist das Rezept noch nicht freigegeben, wenn Patientinnen und Patienten es direkt nach dem Arztbesuch in der Apotheke einlösen möchten. Die Folge: Frust und Ärger in der Apotheke.
Außerdem besteht das Risiko, dass Krankenkassen nicht an die Apotheken auszahlen, wenn die Rezepte Formfehler enthalten – auch wenn es nicht selbstverursachte Fehler sind. Ein Lösungsvorschlag wäre, die Apotheken von dieser sogenannten Retaxation im ersten Jahr zu befreien – bis sich das E-Rezept vollständig eingespielt hat.
Solche Vorkommnisse zeigen auch, wie wichtig Unterstützung und Hilfestellungen gerade in dieser Anfangsphase sind, um potenzielle Fehlerquellen zu finden und Wissen aufzubauen. Wir bewegen uns im Gesundheitswesen mittlerweile auf einem Digitalisierungsstand, den es auf diese Weise zuvor nicht gab.
Wichtiger Schritt ins digitalisierte Gesundheitswesen
Die oben genannten Zahlen zeigen deutlich das große Potenzial der Umstellung. Dass Deutschland auf dem richtigen Weg ist, verdeutlicht auch der Blick zu unseren europäischen Nachbarländern, die das E-Rezept bereits erfolgreich etabliert haben und Erfahrungen sammeln konnten. In Belgien wurde das E-Rezept 2018 eingeführt und ist mittlerweile 100 Prozent verbreitet. In Dänemark und Schweden werden rund 99 Prozent aller Verordnungen elektronisch ausgestellt – hier war das E-Rezept bereits 2017 eingeführt. In Polen wurden 2019 zum Beispiel rund 14.000 Apotheken verpflichtet, E-Rezepte zu akzeptieren. Seit 2020 dürfen Ärztinnen und Ärzte nur noch E-Rezepte verordnen. In Österreich gibt es das E-Rezept seit dem 1. Juli 2022 und die digitale Verordnung erfreut sich großer Beliebtheit. Mittlerweile nutzen dort 82 Prozent der Arztpraxen und 93 Prozent der Apotheken die elektronische Verschreibungsmethode.
Diese Beispiele zeigen: Eine erfolgreiche digitale Umstellung ist nicht nur möglich, sondern entfaltet nach einer gewissen Übergangszeit auch ihr volles Potenzial. Trotz aller Anlaufschwierigkeiten ist das E-Rezept ein wichtiger Teil der Umstrukturierung auf dem Weg hin zu einem digitalisierten Gesundheitswesen. Sind die Prozesse eingespielt, werden die zahlreichen Vorteile überwiegen: Zeitersparnis und erhöhter Komfort für Patientinnen und Patienten, Bürokratieabbau in Apotheken und Arztpraxen oder auch Förderung von Nachhaltigkeit durch reduzierten Papierverbrauch. Zusätzlich eliminiert der Einsatz des E-Rezepts durch die digitale Verarbeitung menschliche Fehler. In Zusammenspiel mit der elektronischen Patientenakte (ePA), die in Deutschland ab 2025 für alle gesetzlich Versicherten bereitgestellt wird, ermöglicht die elektronische Verordnung einen schnellen Datenabgleich und legt beispielsweise Arzneimittelunverträglichkeiten offen. Auf diese Weise können Patientinnen und Patienten gezielter behandelt und bedient werden. Zudem bleibt Apothekerinnen und Apothekern durch den Wegfall der manuellen Bearbeitung mehr Zeit für die persönliche Beratung vor Ort.
Es ist richtig und wichtig, dass wir diesen Weg weiter gehen, das E-Rezept und dessen Einsatzmöglichkeiten ständig weiterentwickeln und gemeinsam das Gesundheitssystem in Deutschland verbessern.
Mark Böhm ist Noventi-Vorstand Markt & IT.