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Gesundheit & E-Health

Standpunkte IfSG: „versteckte Impfpflicht“ für alle?

Michael Winkelmüller ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht & Partner bei Redeker Sellner Dahs
Michael Winkelmüller ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht & Partner bei Redeker Sellner Dahs Foto: privat

Der Fachanwalt für Verwaltungsrecht Michael Winkelmüller erklärt im Standpunkt, warum das neue Infektionsschutzgesetz keine versteckte Impfpflicht enthält und warum es keinen Grund für den Gesetzgeber gibt, eine Impfpflicht zu verstecken.

von Michael Winkelmüller

veröffentlicht am 14.12.2020

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In Deutschland gibt es bald die ersten Zulassungen für Impfstoffe gegen Covid-19. Und schon regt sich das Misstrauen in Teilen der Bevölkerung: Im Internet und über soziale Medien werden verwirrende Nachrichten geteilt. Das neue Infektionsschutzgesetz (IfSG) soll eine „versteckte Impfpflicht“ enthalten, heißt es da. Zitiert wird meistens § 36 Abs. 10 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Die Bundesregierung wird in diesem Paragraphen ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrats festzulegen, Personen, die aus einem Risikogebiet in die Bundesrepublik Deutschland einreisen wollen oder eingereist sind, eine Impfdokumentation abzuverlangen. Ist dieser Paragraph also doch Grund zur Beunruhigung? Werden wir zukünftig einer Zwangsimpfung ausgesetzt zu sein – oder können wir dazu gezwungen zu sein, wenn wir noch ins Ausland reisen wollen? 

Zunächst sollte man wissen, dass § 36 Abs. 10 IfSG keine Impfpflicht regelt, sondern eine Rechtsverordnungsermächtigung. Sie schafft die Grundlage dafür, dass Einreisende verpflichtet werden können, eine Impfdokumentation vorzulegen. Eine Impfdokumentation enthält Gesundheitsdaten, also besonders schutzwürdige personenbezogene Daten. Für eine Verpflichtung, eine Impfdokumentation vorzulegen, bedarf es deshalb einer datenschutzrechtlichen Grundlage. 

Corona-Schutzmaßnahmen schränken Grundrechte ein

Wir alle erfahren es gerade: Eine Epidemie kann tiefgreifende Schutzmaßnahmen erforderlich machen. Die jetzt aus Anlass der Corona-Epidemie getroffenen Maßnahmen schränken Grundrechte in einem bislang unbekannten Ausmaß ein. Die Verwaltungsgerichte haben diese Einschränkungen überwiegend als gerechtfertigt eingestuft. Sie sind notwendig, um Leben und Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und einen Absturz der Volkswirtschaft zu vermeiden. 

Ob die gesetzlichen Grundlagen dafür ausreichten, haben die Gerichte in Eilverfahren bisher zum Teil offengelassen. Gegen die Maßnahmen wurde und wird zum Teil eingewandt, die Landesregierungen dürften so tiefgreifende Grundrechtseingriffe nicht länger allein durch Verordnungen regeln. Verfassungsrechtlich steht dahinter der sogenannte „Parlamentsvorbehalt“. Danach muss der Bundestag die wesentlichen Wertentscheidungen selbst treffen. 

Jetzt hat der Bundestag aber nachgeregelt, und zwar gerade mit dem kritisierten neuen IfSG: In § 28a sind jetzt bestimmte „Standardmaßnahmen“ geregelt. Dazu zählen Abstandsgebote im öffentlichen Raum, die Pflicht, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, die Schließungen von Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung zuzurechnen sind, Betriebsverbote und so weiter. Die wesentlichen Wertentscheidungen sind so durch die Volksvertretung selbst getroffen. Zu diesen Schutzmaßnahmen zählen auch Verpflichtungen für Einreisende aus Risikogebieten, sich für zehn Tage zu Hause oder in einer anderen Unterkunft „abzusondern“ (früher Quarantäne). 

Quarantäne bei Impfung wäre unverhältnismäßig

Auf diesen gesetzlichen Grundlagen müssen Bund und Länder beim Erlass von Rechtsverordnungen ein wirksames und zugleich die Verhältnismäßigkeit wahrendes Schutzkonzept erarbeiten. Sobald Impfstoffe verfügbar sind, muss dabei eine neue Problematik gelöst werden: Von Personen, die geimpft sind, geht kein Ansteckungsrisiko aus. Sie zum Beispiel einer Quarantäne zu unterwerfen, wäre nicht gerechtfertigt. Um allerdings die Impfung nachzuweisen, ist eine Impfdokumentation vorgesehen. Das gilt auch für Personen, die eine Infektion hinter sich haben. Für sie genügt ein ärztliches Zeugnis oder Testergebnis. 

Aber ist das dann nicht eine „versteckte“ Impfpflicht? Weil der, der sich nicht impfen lassen will, sonst in Quarantäne muss oder anders eingeschränkt wird? Die Antwort ist Nein! Die Schutzmaßnahmen sind notwendig. Das sieht auch die Rechtsprechung nicht anders. Das Ziel, Leben und Gesundheit der Bevölkerung, insbesondere vulnerabler (also besonders schutzbedürftiger) Gruppen, zu verteidigen und auch den Absturz der Wirtschaft zu vermeiden, geht vor. Wer sich nicht impfen lassen will, dem steht das frei. Er muss dann allerdings die Schutzmaßnahmen beachten. 

Es gibt keinen Grund, eine Impfpflicht zu verstecken

Die Behauptung, im IfSG wäre eine Impfpflicht „versteckt“, ist aber aus einem anderen Grund absurd: Eine Impfpflicht ist in § 20 ganz offen vorgesehen. Durch eine Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates kann das Impfen angeordnet werden. Das gilt für bedrohte Teile der Bevölkerung, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist. Diese Ermächtigung gibt es schon lange. Sie geht zurück auf das Reichsimpfgesetz vom 1874. Es gäbe also gar keinen Grund, eine Impfpflicht zu verstecken.

Bisher gibt es trotzdem für keine Krankheit eine Impfpflicht in Deutschland. Für die Masern wurde mit dem Masernschutzgesetz eine Impfung als Voraussetzung für den Besuch von Kitas und anderen Betreuungseinrichtungen vorgesehen. Auch hier also gibt es keine allgemeine Impfpflicht. Eilanträge dagegen hat das Bundesverfassungsgericht am 18. Mai 2020 abgelehnt. Das Interesse, Kinder ohne Impfung in einer Gemeinschaftseinrichtung betreuen zu lassen, muss gegenüber dem Interesse an der Abwehr infektionsbedingter Risiken für Leib oder Leben einer Vielzahl von Personen zurücktreten, so formulierte das Gericht.

Ob eine Impfpflicht gegen Covid-19 angeordnet werden dürfte, wird von den Verfassungsrechtlern derzeit intensiv diskutiert. Berücksichtigt man die schwerwiegenden Folgen der Corona-Pandemie, erscheint eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung nicht ausgeschlossen. Das Problem ist aber eher theoretisch: Sowohl das Robert Koch-Institut als auch der Bundesgesundheitsminister haben eine Impfpflicht für Covid-19 aus politischen Gründen ausgeschlossen. 

Dr. Michael Winkelmüller ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner bei Redeker Sellner Dahs. Er ist Herausgeber des Beck’schen Kommentars zum Infektionsschutzrecht. 

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