Corona zeigt uns sehr deutlich, wie wichtig Impfungen sind. Vor allem für ältere Menschen, die anfälliger für Infekte sind und meist kompliziertere Krankheitsverläufe erleben. Das gilt auch für andere Infektionskrankheiten, die derzeit in der öffentlichen Wahrnehmung etwas in den Hintergrund getreten sind – allen voran die Grippe (Influenza). Dabei ist sie hierzulande bisher die Infektionskrankheit mit der höchsten bevölkerungsbezogenen Mortalität – rund 90 Prozent der Todesfälle sind über 60 Jahre alt.
Im Zuge der Bekämpfung von Covid-19 ist die „normale“ Grippewelle in der letzten Saison 2020/2021 allerdings im Grunde ausgefallen. Das hat verschiedene Ursachen. Durch die Umsetzung der Corona-Maßnahmen – Distanz üben, Mund-Nasen-Schutz tragen, mehr Hygiene – haben wir die Übertragung der Grippeviren massiv eingeschränkt. Veranstaltungen und Orte, an denen viele Menschen zusammenkommen, haben nicht stattgefunden. Die ganzen Trigger für Grippe-Ausbrüche wie etwa Kindergärten, Schulen oder Konzerthallen, hat es somit nicht gegeben. Hinzu kommt, dass sich mehr Menschen gegen Grippe haben impfen lassen, sicherlich auch aufgrund der Warnung, dass eine zeitgleiche Infektion mit Covid-19 und Influenza-Viren besonders gefährlich ist, vor allem bei älteren Menschen. Nun erleben wir seit einigen Wochen sinkende Inzidenzen bei Covid-19 und das gesellschaftliche Leben kehrt schrittweise zu einer neuen Normalität zurück. Was bedeutet das für die anstehende Grippeschutzimpfung? Und was haben wir aus den letzten 1,5 Jahren gelernt?
Verschiedene Szenarien möglich
Für die kommende Grippe-Saison in Deutschland kann ich mir verschiedene Szenarien vorstellen. Das positive Extrembeispiel wäre: Die Mehrheit der Menschen hat verstanden, wie wichtig Impfen ist, und lässt sich selbstverständlich auch präventiv gegen Influenza impfen. Das negative Extrembeispiel wäre: Viele Menschen verzichten auf die Grippeschutzimpfung, weil Influenza in der letzten Saison im Grunde gar nicht stattgefunden hat oder sie das Risiko für eine kommende Infektion als gering einstufen. Letzteren möchte ich zu bedenken geben: Influenza war nie wirklich weg und das Virus ist nach wie vor ernst zu nehmen! Denn wenn sich das öffentliche Leben in den kommenden Monaten weiter normalisiert, werden auch wieder verstärkt Influenzaviren übertragen. Im Herbst/Winter 2021/2022 wird Grippe wieder eine Rolle spielen. Dem gilt es entgegenzutreten, auch um die vulnerablen älteren Menschen weiter zu schützen. Die Grippeschutzimpfung ist der effizienteste Weg dafür!
Um die Bereitschaft der Menschen zu erhöhen, sich gegen Influenza impfen zu lassen, müssen auch einige Mythen entkräftet werden. Ein häufiger Mythos lautet zum Beispiel: „Ich bin geimpft worden und hatte dennoch eine Grippe.“ In den allermeisten Fällen handelte es sich bei dieser vermuteten „Grippe“ um eine schwere Erkältung – und damit durch einen ganz anderen Erreger ausgelöst. Wir müssen unterscheiden: Was ist eine Grippe, was ist eine Erkältung?
Ein weiterer Mythos beziehungsweise ein Argument gegen die Grippeschutzimpfung ist: „Sie schützt schlechter bei älteren Menschen, also kann man auch darauf verzichten.“ Dem kann ich entgegnen: Zwar nimmt die Wirksamkeit einer Grippeschutzimpfung mit zunehmendem Alter ab, aber – und das ist viel wichtiger – sie schützt wesentlich davor, schwere Krankheitsverläufe zu verhindern! Das belegen zahlreiche internationale wissenschaftliche Studien. Die Medien haben in der Corona-Pandemie gezeigt, dass sie gezielt aufklären können – ich würde mir wünschen, dass sie das zukünftig auch verstärkt für andere Infektionskrankheiten wie eben die Grippe machen und regelmäßig über die Inzidenzlage und Vorteile einer Impfung informieren. Oder auch berichten über neue Möglichkeiten wie zum Beispiel die Grippe-Impfung in Apotheken, die seit Oktober 2020 in vier Bundesländern durchgeführt wird. Gerade für jüngere, mobilere Menschen ist das eine gute Option, die die Bereitschaft zum Impfen sicher erhöhen könnte.
Grippeschutzimpfung allen Menschen empfehlen!
Wie bei Corona gilt auch bei der Grippe: Angehörige können mit einer Impfung dazu beitragen, die vulnerable Gruppe zu schützen. Gleichzeitig können sie mit gutem Beispiel vorangehen und die betreffenden älteren Menschen dazu motivieren, selbst auch regelmäßig die Grippeschutzimpfung durchzuführen. In diesem Zuge richte ich auch einen Appell an die Politik / Ständige Impfkommission, die Grippeschutzimpfung für alle zu empfehlen, nicht nur für „Risikogruppen“. Denn durch diese bisherige Definition wird der Anschein erweckt, dass jüngere Menschen kein Risiko haben. Das stimmt so aber nicht. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit für sie geringer, schwer zu erkranken, ihr Infektionsrisiko ist aber relevant und sie tragen zur Entwicklung von Infektionsketten bei – auch gegenüber den vulnerablen Mitmenschen.
Im Sinne einer effizienten Immunisierungsstrategie gegen Influenza möchte ich dafür sensibilisieren, dass Grippe letztendlich alle Menschen angeht – und jeder, wie bei der Covid-19-Bekämpfung auch, aktiv etwas dazu beitragen kann. Indem man zum Beispiel beim nächsten Hausarztbesuch den Impfpass mitbringt und den Arzt beziehungsweise die Ärztin selbst auf die Grippeschutzimpfung anspricht. Und wer sich das eigenständig nicht mehr zutraut, kann eine Begleitperson mitnehmen, die das Thema anspricht. Corona war für uns alle eine harte Bewährungsprobe, in der wir viel lernen mussten. Ich würde mir wünschen, wenn wir dieses Bewusstsein nun auch für den Umgang mit anderen gefährlichen Infektionskrankheiten nutzen – wie beim Grippeschutz.
Dr. med. Anja Kwetkat ist Direktorin der Klinik für Geriatrie am Universitätsklinikum Jena. In der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie leitet sie die AG Impfen.