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Gesundheit & E-Health

Standpunkte (K)ein Tabuthema?
Sucht in den Führungsriegen

Reingard Herbst ist Chefärztin der Nescure Privatklinik in Bad Bayersoien
Reingard Herbst ist Chefärztin der Nescure Privatklinik in Bad Bayersoien Foto: Dietrich Kühne

Sucht bei Führungskräften wird häufig „übersehen“, weil das Thema dem Privaten zugeschrieben wird. Reingard Herbst, Chefärztin der Nescure Privatklinik am See, beschreibt am Beispiel der Alkoholsucht, wozu das bewusste Wegschauen führen kann, und fordert Sensibilisierung statt Bagatellisierung im Umgang mit Süchten am Arbeitsplatz.

von Reingard Herbst

veröffentlicht am 09.11.2023

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Alkohol schadet der Gesundheit. Das ist kein Geheimnis. Es gibt viele Expertinnen und Experten, die fordern, dass der Konsum eingedämmt wird. Dazu zählen Maßnahmen, wie in Deutschland die Altersgrenze bei Kauf und Konsum heraufzusetzen, die Preise zu erhöhen, die Promillegrenze im Straßenverkehr herabzusetzen und mit deutlichen Hinweisen – analog den Zigarettenschachteln – zu warnen, statt zu werben. All das sind Mittel und Wege, um den Alkoholkonsum möglicherweise einzuschränken. Zeitgleich findet eine Debatte rund um die Legalisierung von Cannabis statt, eine weitere Sucht, die mit ihrer Legalisierung gesellschaftsfähig gemacht wird und in der Arbeitswelt möglicherweise zur gleichen Herausforderung werden kann, wie der Umgang mit (zu viel) Alkohol.

Ähnlich wie der Zug an der Zigarette gehört der Drink mit Promille für viele Menschen zum Alltag – privat wie beruflich. Sowohl als Mittel, das Menschen vermeintlich miteinander verbindet und der Gruppe ein Gemeinschaftsgefühl suggeriert, als auch als Entlastungsdroge, die im ersten Moment dafür sorgt, dass sich Stress besser aushalten lässt. 

Leichte Verfügbarkeit trifft auf hohen Druck

Alkoholsucht spielt - neben Medikamentensucht – gerade unter Menschen in der Führungsebene eine prominente Rolle. Denn Menschen, die Verantwortung tragen, egal auf welcher Ebene, stehen oft unter großem Leistungsdruck und stellen hohe Ansprüche an sich selbst. Alkohol ist leicht verfügbar. So kann schnell aus dem gelegentlichen Glas eine Gewohnheit werden. Mit ihr steigt der Konsum. 

Mit deutlichen Folgen: Konzentrationsschwierigkeiten, Leistungs- und Stimmungsschwankungen, körperliche Symptome oder auch das Einrichten heimlicher Depots sind hier als Beispiele genannt. Fällt das Verhalten im Unternehmen auf, fühlen sich Kolleginnen und Kollegen und Führungsverantwortliche oft unsicher, wie sie reagieren sollen. Schnell neigen sie zur Verharmlosung des Problems, erklären es für sich zum Tabu.

Dabei können die Folgen des suchthaften Konsums für die Betroffenen und das Unternehmen gravierend sein: von der Sicherheitsgefährdung am Arbeitsplatz über Umsatzverluste durch Minderleistungen und Fehlzeiten bis zu Haftungsansprüchen von Kundenseite und Arbeitsplatzverlust. Frühzeitiges Handeln kann Schaden abwenden. Im Sinne der Fürsorgepflicht ist der Umgang mit Alkohol(-sucht) deshalb ein wichtiger Teil der Führungsverantwortung. Übrigens gilt das auch für den suchthaften Umgang von Cannabis. 

(K)ein Tabuthema

Es ist ganz klar die Aufgabe der Führungsverantwortlichen, bei Verdacht des übermäßigen Alkoholkonsums das Gespräch mit dem- oder derjenigen zu suchen. Es gibt schließlich zahlreiche Hilfs- und Unterstützungsangebote der Krankenversicherungen und engagierter Initiativen, die sich gegen Süchte einsetzen. Es mangelt weder an Informationsmaterial, noch an Angeboten. Dafür mangelt es aber am Mut, das erste Gespräch zu führen, die richtigen Worte zu finden, die richtigen Fragen zu stellen. Nach meiner Erfahrung als Leiterin einer Suchtklinik finden solche Gespräche in der Arbeitswelt nur sehr selten, wenn überhaupt statt. Dienstvorgesetzte oder Vertreter bzw. Vertreterinnen der Personal-Abteilungen fühlen sich häufig überfordert und das ist verständlich.

Wie soll jemand, ganz gleich, ob leitende Führungskraft oder nicht, möglichst wertfrei und sachlich kommunizieren bei einem Problem, das quasi privat erscheint. Es gibt Angst vor der Einmischung ins Private, vor der Wut oder Verärgerung des Gegenübers. Und es gibt die Sorge, dass durch einen unbedachten Satz ein Abwehrverhalten ausgelöst wird. Das wird unterschätzt. Oft hindert auch der hierarchisch aufgestellte Kontext, das Thema anzusprechen. Es gibt große Unsicherheiten vor Fehlkommunikation.

Sensibilisieren statt bagatellisieren

Daher fordere ich ein systematisches Vorbereiten der Führungskräfte und Vertreter der HR-Abteilung auf solche Dialoge. Je höher die berufliche Position des oder der Süchtigen, desto größer ohnehin die Hemmschwelle, sie oder ihn anzusprechen.

Ähnlich wie beim Arbeitsschutz könnte also auch Suchtschutz regelhaft geschult werden. Es könnte Teil des betrieblichen Gesundheitsmanagements werden, das gesetzlich längst vorgeschrieben und Pflicht ist. Schließlich geht es hier nicht nur um die Festlegung technischer oder regulativer Rahmenbedingungen, sondern um die Befähigung, die richtigen Fragen im passenden Kontext in passender Folge zu stellen.

Was fehlt, sind weniger die Sachinformation als die Schulung, wie man was kommuniziert und auch wie man im Falle von bestehenden Gerüchten im Kollegium oder bei Fehlverhalten mit Auswirkung auf Mitarbeitende umgegangen werden kann. Dabei spielt auch der grundsätzliche Umgang mit Alkohol am Arbeitsplatz eine Rolle. Wenn die Unternehmensdirektive eine „null-Prozent-Alkohol“-Linie ist, kann zum Beispiel Alkohol getrunken werden, es ist aber nicht der Standard. So wie Rauchen am Arbeitsplatz verbannt ist und nur noch im Freien möglich, so könnte also auch Alkohol zur Ausnahme werden – nicht stigmatisiert, aber eben auch nicht bagatellisiert. 

Das gilt für alle Suchtstoffe. Wenn nicht der Verbotscharakter im Vordergrund steht, sondern das Unternehmen vor allem die Gesundheit seiner Mitarbeitenden im Blick hat, spiegelt die Frage nach der Sucht auch eher das Interesse am Menschen als einen Vorwurf.

Schulungen könnten auf medizinischer Ebene erfolgen und neuronale und psychologische Aspekte beleuchten. Dieses Wissen hilft, auch für die Kommunikationsschulung. Wenn dieser Schritt geschafft ist, greifen auch die ausgereiften Stufenpläne mit einer Reihe von Gesprächskaskaden, um den Betroffenen zu unterstützen. 

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