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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Mehr Anerkennung für die ambulante Pädiatrie

Michael Hubmann, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt:innen (BVKJ)
Michael Hubmann, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt:innen (BVKJ) Foto: Frank Schoepgens FOTOGRAFIE Köln

BVKJ-Präsident Michael Hubmann kritisiert den Vorschlag der Regierungskommission zu Institutsambulanzen. Er warnt vor Doppelstrukturen und fordert stattdessen Weiterbildungen von Schwerpunktpädiaterinnen und -pädiatern in Praxen und Kliniken. Denn längst arbeiteten die Niedergelassenen mit einer unvergleichbaren Effizienz.

von Michael Hubmann

veröffentlicht am 07.12.2023

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Gerade in der aktuell anschwellenden Infektionswelle arbeiten pädiatrische Praxen und Kliniken derzeit in ganz Deutschland wieder am Limit. Bereits in ihrer ersten Empfehlung 2022 hatte die „Regierungskommission für eine moderne Krankenhausversorgung“ kritisiert, dass in Deutschland in den letzten 30 Jahren jede vierte Kinderabteilung geschlossen und die Zahl der Betten in den Kinderkliniken fast halbiert wurde. Auch von diesen müssen etliche leer bleiben, da es an qualifiziertem pädiatrischem Pflegepersonal fehlt.

Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass die Kommission nun in ihrer sechsten Stellungnahme die Einrichtung sogenannter Institutsambulanzen zur verbesserten spezial-kinderärztlichen Versorgung an allen Kinder- und Jugendkliniken in Deutschland als Schlüssel für eine bessere Versorgungssituation von Kindern und Jugendlichen insgesamt empfiehlt.

Ich möchte diesen Vorschlag kritisch hinterfragen. Die Kinder- und Jugendarztpraxen in Deutschland sind – wie auch die Kinderkliniken – oft überlaufen, keine Frage. Und meine Kolleginnen und Kollegen und ich arbeiten am Rand unserer Möglichkeiten, um alle Patientinnen und Patienten adäquat versorgen zu können. Nicht selten auch darüber hinaus. Wenn es also Ideen gibt, die zu einer Entlastung beitragen, sind wir demgegenüber aufgeschlossen. Die vorgeschlagenen Institutsambulanzen könnten in schlecht versorgten Regionen und in bestimmten Bereichen sinnvoll sein; in vielen Regionen würden sie jedoch überflüssige Doppelstrukturen schaffen, die den gebeutelten Kliniken unnötig hochqualifiziertes Personal entziehen und bestehende ambulante Strukturen gefährden würden.

Die Versorgung findet in Praxen statt

Worum geht es? Die Regierungskommission konstatiert, dass insbesondere die spezielle pädiatrische Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit schweren, seltenen und chronischen Erkrankungen durch niedergelassene spezialisierte Ärztinnen und Ärzte für Kinder- und Jugendmedizin nicht flächendeckend sichergestellt sei. Hier geht es etwa um die Kinderkardiologie, Kinderpulmologie, Neuropädiatrie und andere. Ein großer Teil dieser Kinder werde bereits heute an Kinderkliniken ambulant behandelt.

Allerdings widerspricht sich die Kommission in ihrem Statement selbst: Sie führt Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) von 2022 für die vertragsärztliche Versorgung an, die belegen, dass 7.408 Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte in Praxen tätig sind, während 852 Klinikärztinnen und -ärzte (oder 10 Prozent) neben ihrer Kliniktätigkeit auch an der ambulanten Versorgung teilnehmen. Von den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen verfügen knapp 25 Prozent neben ihrer allgemeinpädiatrischen Qualifikation über eine Spezialisierung.

Der Großteil der medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen findet tatsächlich in den Praxen statt, nicht in den Kliniken. Dafür wünsche ich mir eine angemessene Wertschätzung und Anerkennung der ambulanten Pädiatrie.

Kliniken sind in einer kritischen Lage

Am Freitagmorgen haben wir in meiner Gemeinschaftspraxis in Zirndorf 101 Patientinnen und Patienten gesehen und behandelt – und das bereits vor halb zwölf. Wenn die Kliniken – deren Hauptaufgabe ja die stationäre Versorgung schwer Kranker ist – dieselbe Patientenzahl ambulant sehen würden, wären sie Tage damit beschäftigt. Ich will sagen: Aufgrund der völlig unterschiedlichen Struktur der Versorgung werden Kliniken die Effizienz, mit der wir Niedergelassenen in unseren Praxen arbeiten, im ambulanten Setting niemals erreichen können.

Wie auch die Regierungskommission festgestellt hat, sind unsere Kinderkliniken in den letzten Jahrzehnten durch ein völlig unzureichendes Vergütungssystem, Sparmaßnahmen und – das füge ich hinzu – die faktische Abschaffung der eigenständigen pädiatrischen Pflegeausbildung in eine hochkritische Lage geraten. Viele Aufgaben, die früher von den Kliniken wahrgenommen wurden, haben inzwischen teilweise hoch spezialisierte Praxen übernommen. Es bedarf daher einer genauen Analyse, wo welche Angebote aktuell fehlen. Was aber nicht sein darf ist, dass dort Doppelstrukturen aufgebaut werden, wo sie Klinikträgern attraktiv erscheinen und der ambulante Versorgungsbereich zum Steinbruch für die Querfinanzierung der Kinderkliniken wird.

Spezialisierte medizinische Leistungen müssen in Zukunft in Klinik und Praxis gleich bezahlt werden – und diese Bezahlung muss die Kosten zu ihrer Erbringung voll abbilden. Sonst droht teilweise eine Existenzgefährdung der mittlerweile vielfach gut aufgestellten schwerpunktpädiatrischen Praxen. Zu fordern ist aber auch die auskömmliche Finanzierung spezialisierter Klinikambulanzen vor allem für Patienten mit seltenen oder hochkomplexen Erkrankungen und in schlecht versorgten Regionen.

Mehr Studienplätze und Weiterbildungsmöglichkeiten

Was wir zum Erhalt der guten Versorgung chronisch kranker Kinder in Zukunft wirklich brauchen, ist die Sicherung der Weiterbildung von Schwerpunktpädiaterinnen und -pädiatern in Praxen und Kliniken. Chronisch kranke Kinder können oft nicht durch einen Behandler allein versorgt werden, sondern durch multiprofessionelle Teams, die auch refinanziert werden müssen.

Was ist jetzt also nötig? Dass wir alles unternehmen, um die Studienplätze für Medizin zeitnah zu erhöhen, dass wir die Ausbildung der Studierenden auf eine neue Basis stellen und Weiterbildungsmöglichkeiten schaffen und finanzieren: alles gesamtgesellschaftliche Aufgaben.

Michael Hubmann ist Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt:innen (BVKJ) und seit 2002 als Kinder- und Jugendarzt im fränkischen Zirndorf in einer Gemeinschaftspraxis niedergelassen.

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