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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Mehr Pioniergeist, bitte

Hendrik Streeck ist Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn
Hendrik Streeck ist Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn Foto: Andreas Zitt

Der Virologe Hendrik Streeck fordert eine Neuausrichtung des Robert Koch-Instituts. Dieses müsse unabhängiger, agiler und offen für innovative Ideen werden. Politik und Wissenschaft bräuchten zudem ein Verhältnis auf Augenhöhe.

von Hendrik Streeck

veröffentlicht am 16.01.2023

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Mit dem Ende der Pandemie kehrt etwas Ruhe in die Coronadebatte ein. Wahrscheinlich auch für die über 1100 engagierten Mitarbeiter:innen des Robert Koch-Instituts (RKI), von denen in den vergangenen drei Jahren viel gefordert wurde und die Enormes geleistet haben. Die Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie wichtig das RKI für ein Krisenmanagement solcher Gesundheitsgefahren ist. Sei es durch Datenerfassung, wissenschaftliche Forschung oder politische Beratung. Es wurde aber auch sichtbar, dass ein so zentrales Institut für Krisen dieser Art denkbar schlecht aufgestellt und ausgestattet ist. Mit dem Rücktritt von Lothar Wieler als Präsident des RKIs macht dieser nun personell den Weg frei für einen Neuanfang.

Um den Herausforderungen unserer Zeit begegnen zu können, können das RKI und die Public-Health-Zuständigkeiten in Deutschland nicht so bleiben wie sie sind. Wir brauchen eine strukturelle und personelle Neuaufstellung. Nach dem HIV-Blutprodukte-Skandal 1994 wurden dem ehemaligen Bundesgesundheitsamt kontinuierlich wichtige Funktionen entzogen, während andere Länder ihre vergleichbaren Institute noch weiter ausgebaut haben. Mehr denn je braucht Deutschland aber ein handlungsfähiges, agiles und handlungswilliges Gesundheitsinstitut, um in der Lage zu sein, die Gesundheit seiner Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren aller Art zu schützen: sei es durch die Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten oder epidemiologische Erfassung und Bewertung von Risiken. Neben der Krankenhausreform und der Lösung des Pflegemangels ist dies wahrscheinlich das wichtigste gesundheitspolitische Projekt dieser Tage.

Es braucht ein unabhängiges RKI

In der Pandemie wurde deutlich, dass dem RKI nicht nur Ressourcen fehlen, sondern auch, dass es sich nur langsam und träge bewegt und wenig offen ist für schnelle, agile Richtungsänderungen und innovative Ideen. Das liegt unter anderem daran, dass das RKI als weisungsabhängige Behörde nicht politisch unabhängig ist, sondern ein Bundesinstitut, welches dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) unterstellt ist. Doch ein Bestfall ist doch jener, in welcher die Wissenschaft eigenständig ist und die Politik frei jeder Abhängigkeiten informiert – ein Verhältnis auf Augenhöhe also. Die politische Abhängigkeit des RKI versetzt den Minister jeder Couleur in die Position, Einfluss auf die Veröffentlichung (ggf. politisch sperriger) Studien durch das RKI zu nehmen. Das Ministerium kann ungewollten Projekten und strategischen Ausrichtungen gar die Finanzierung verweigern. In einem hochpolitisierten öffentlichen Diskurs während der Pandemie ist diese Abhängigkeit zur Schwachstelle mutiert.

Gerade zu Beginn der Pandemie wäre es wichtig gewesen, ein bisher nicht existierendes unabhängiges „Gesundheitspanel“ zu schaffen, wodurch regelmäßig die Corona-Inzidenzen verlässlich und robust ermittelt hätten werden müssen. Über dieses hätte im weiteren Pandemieverlauf bei wichtigen Fragen – zum Beispiel der Anzahl der durch Impfung oder Infektion Immunisierten, dem Anteil der schweren Verläufe und Corona-assoziierten Todesfälle oder Impfschäden und dem Anteil von Long-COVID-Symptomatiken – ein ganzheitlicherer Standpunkt entwickelt werden können. Hier fehlte es dem RKI an Ressourcen, aber auch an Beherztheit, solche Projekte anpacken zu können.

Dass die Datenlage in der Pandemie sichtbar schlecht war, liegt sicherlich zunächst am strukturellen Aufbau des RKIs, aber auch an den fehlenden digitalen Schnittstellen mit den Krankenhäusern, Krankenkassen und Gesundheitsämtern. Und damit an der anonymisierten, aber automatischen Übertragung von relevanten Daten, die wichtig sind, um die Gesundheit und das Wohl der Bevölkerung im Blick zu haben.

An den CDC orientieren

Wegen politischer Abhängigkeit und gekürztem Handlungsspielraum sind hier machbare und entscheidende Investitionen und Entwicklungen verpasst worden. Es muss das Ziel sein, das RKI zum Kompetenzzentrum für Public Health und damit – ähnlich der amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) – zum führenden Institut zum Schutz der öffentlichen Gesundheit zu machen. Das RKI muss in Deutschland der zentrale Player für die Aufgabengebiete rund um Public Health, Epidemiologie, Versorgungsforschung und Methodenforschung, Vorbeugung von (auch nicht übertragbaren) Krankheiten, für den Schutz vor umweltbedingten Krankheiten, die Gesundheitsförderung sowie die gesundheitlichen Aufklärung werden. Hierbei ist es wichtig, dass dem RKI in Zukunft eine integrative und koordinative Rolle zukommt. Es ist entscheidend, dass es die Möglichkeit, aber auch die intrinsische Motivation hat, mit universitären und außeruniversitären Einrichtungen zusammenzuarbeiten, und dass ihm bei relevanten Fragen eine wissenschaftskoordinierende Rolle zukommt. Dies bedarf der Möglichkeit, nicht nur selber wissenschaftliche Fragen stellen zu können, sondern auch spezifische Projekte in Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen fördern zu können.

Entscheidungen ergebnisoffen, selbstkritisch und inklusiv evaluieren

Gerade in der Nachlese der Pandemie wird eins klar: Ein unabhängigeres Institut muss zukünftig auch eine weitere zentrale Funktion erfüllen. Es muss eine zeitgenössische Kultur hervorbringen (können), welche auch eigene Entscheidungen ergebnisoffen, selbstkritisch und inklusiv mit einem breiten Spektrum an Forschergruppen zu evaluieren bereit ist. Es muss sich als starkes und stark vernetztes Teil im globalen Uhrwerk von Public Health etablieren. Denn eine neue Pandemie ist keine abstrakte Gefahr, sondern könnte durchaus schneller Realität werden, als uns lieb ist.

Die Vorbereitungen auf kommende Pandemien und ähnliche Herausforderungen starten nicht zuletzt mit einem neuen Pioniergeist und einer neuen Struktur für das RKI. Als ein modernes, innovatives und handlungsfähiges Institut kann es dem täglichen Fortschritt aus Forschung und Wissenschaft so vorstehen, dass der Pioniergeist auch die Politik erreicht. Es mag vermeintlich Ruhe eingekehrt sein, doch es darf nicht zu einer Zeit des Ausruhens werden!

Professor Dr. Hendrik Streeck ist Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn.

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