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Gesundheit & E-Health

Standpunkte NotSanG schafft keine Rechtssicherheit

Marco König ist erster Vorsitzender des Deutschen Berufsverbandes Rettungsdienst e.V.
Marco König ist erster Vorsitzender des Deutschen Berufsverbandes Rettungsdienst e.V. Foto: privat

Der vorliegende Entwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zur Änderung des Notfallsanitätergesetzes führt nicht zu mehr Rechtssicherheit, schreibt Marco König in seinem Standpunkt. Dabei habe der Bundesrat bereits vor einem Jahr eine hilfreiche Gesetzesänderung vorgeschlagen, die dann aber vom Bundestag abgelehnt worden sei.

von Marco König

veröffentlicht am 31.08.2020

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Seit über sechs Jahren ist das Notfallsanitätergesetz (NotSanG) in Kraft. Durch die Ausbildung des Notfallsanitäters sollte die Notfallversorgung insgesamt verbessert werden, und die Notfallpatienten eine bessere Hilfe erfahren. Leider wird dieses Ziel nur unzureichend erreicht, da es zu Gesetzeskollisionen kommt, die sich massiv auf die Berufsausübung auswirken. Auch wenn es sich beim NotSanG um ein Bundesausbildungsgesetz handelt, war es damals klarer Wille des Gesetzgebers, dass die erweiterten Kompetenzen, die in der Ausbildung erworben wurden, auch zur Umsetzung gelangen und den Patienten erreichen.

Dazu wurde im Ausbildungsziel § 4 NotSanG unter anderem festgelegt, dass Notfallsanitäter die in der Ausbildung erlernten und beherrschten, auch invasiven Maßnahmen, eigenverantwortlich anwenden, sowie im Rahmen der Mitwirkung heilkundliche Maßnahmen, die vom Ärztlichen Leiter Rettungsdienst standardmäßig vorgegeben, überprüft und verantwortet werden, eigenständig durchführen sollen.

Diese Anforderungen an den Notfallsanitäter sind schwer zu greifen gewesen, so dass unter Initiative des Deutschen Berufsverbandes Rettungsdienst e.V. (DBRD) und dem Bundesverband der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst im sogenannten „Pyramidenprozess“ der Mindesthandlungsrahmen mit Ausbildungsinhalten bundesweit konsentiert wurde. Dieser Konsens wurde über alle Hilfsorganisationen, Bundesärztekammer, Medizinische Fachgesellschaften, Rettungsdienstschulen, Feuerwehren, Kommunen etc. hergestellt. Herausgekommen ist damals ein Katalog von Maßnahmen und Medikamenten, die das Mindestportfolio des Notfallsanitäters darstellen sollen und einen bundeseinheitlichen Ausbildungsrahmen als Mindeststandard geschaffen haben. Nach diesem Ausbildungskatalog wird nun konkret ausgebildet und auch durch die entsprechend verantwortlichen Landesbehörden geprüft.

Reibungspunkte durch Heilpraktikergesetz

Leider entstehen aber für den Notfallsanitäter in der konkreten Berufsausübung tagtäglich juristische Reibungspunkte, die sich aus dem Heilpraktikergesetz (HeilprG) ergeben. Der Notfallsanitäter führt im Notfalleinsatz auch originär ärztliche Maßnahmen durch, die dem Arztvorbehalt, abgeleitet aus dem HeilprG von 1939, unterliegen und begeht dadurch immer einen Gesetzesverstoß. Im HeilprG heißt es:„Wer die Heilkunde ausübt, ohne als Arzt bestallt zu sein, bedarf hierfür der Erlaubnis.“

Der Grund der Schaffung des HeilprG war damals in der Gesetzesbegründung (veröffentlicht am 28.02.1939) folgendermaßen formuliert: „…Es konnte dabei nicht ausbleiben, dass sich auch fachlich unfähige und charakterlich minderwertige Personen auf diesem Gebiete betätigten und durch unzweckmäßige Behandlungsmethoden gesundheitliche Schäden anrichteten. Die hierzu berufenen Stellen haben daher seit der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus Mittel und Wege geprüft, um diese Missstände zu beseitigen und dem deutschen Volke eine einwandfreie gesundheitliche Betreuung sicherzustellen…"

In der damaligen Zeit gab es noch gar keinen organisierten Rettungsdienst, der mit dem heutigen Anspruch und den Anforderungen an das Rettungsfachpersonal vergleichbar wäre. Somit kann es auch damals nicht der Sinn gewesen sein, die Notfallversorgung 80 Jahre später zu beeinflussen.

Es kommt tagtäglich in allen Fällen erweiterter notfallmedizinischer Maßnahmen durch Notfallsanitäter in jedem Bundesland zu einer aktuell nicht zu vermeidenden Kollision zwischen dem Notfallsanitäter und seiner Aufgabenerfüllung einerseits und dem Arztvorbehalt nach HeilprG andererseits. Diese Kollision kann nicht durch eine Einwilligung des Patienten ausgeräumt werden, da der Patient hier keine Rechtsbeziehung innehat. Sie ist lediglich nach § 34 Strafgesetzbuch (StGB) „Rechtfertigender Notstand“ zur begründen. Dabei muss der Notfallsanitäter darauf hoffen, dass seine in einer Akutsituation getroffene Entscheidung für einen Verstoß gegen das HeilprG, retrospektiv durch ein Gericht ebenso als begründet angesehen wird. Es erscheint für viele unserer Notfallsanitäter unverständlich, dass sie einerseits zur Hilfe ausgebildet wurden und andererseits diese Hilfe nur unter regelhafter Nutzung eines für seltene Ausnahmefälle gedachten Notstandsparagrafen anwenden können.

Keine Rechtssicherheit durch neue Gesetzesinitiative

Lässt der Notfallsanitäter stattdessen die Maßnahmen lieber sein, um dem Konflikt mit dem HeilprG zu entgehen, so muss er allerdings damit rechnen, dass aufgrund seiner Garantenstellung gegenüber dem Notfallpatienten eine Vernachlässigung eintreten würde. Diese Garantenstellung beschreibt das besondere Vertrauens- und Erwartungsverhältnis zwischen dem Notfallpatienten und dem Notfallsanitäter, welches sich ableitet aus den § 221 StGB „Aussetzung“ und aus § 13 StGB „Begehung durch Unterlassen“. Der Notfallsanitäter muss damit rechnen, dass der Notfallpatient einfordert, dass die in der Ausbildung erlernten und schließlich durch eine Behörde überprüften Maßnahmen auch angewendet werden. Aus Sicht eines Notfallpatienten ist es sicher nicht verständlich, dass gegebenenfalls Maßnahmen unterbleiben müssen, um nicht mit einem Bundesgesetz in Konflikt zu geraten. Somit ist der Notfallsanitäter bei jeder erweiterten Maßnahme durch das Spannungsfeld zwischen Garantenstellung und HeilprG belastet. Solche Konfliktsituationen treten täglich tausendfach deutschlandweit in allen Fällen erweiterter Notfallversorgung auf.

Der nun vorliegende Entwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zur Änderung des NotSanG führt leider nicht zu einer Rechtssicherheit. Der Bundesrat hatte bereits vor einem Jahr eine hilfreiche Gesetzesänderung vorgeschlagen, die leider vom Bundestag abgelehnt wurde. Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesratsinitiative nochmals eingebracht und verabschiedet wird. Im Sinne der Notfallsanitäter und vor allem im Sinne der Notfallpatienten!

Marco König ist erster Vorsitzender des Deutschen Berufsverbandes Rettungsdienst. 

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