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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Patienten schützen, nicht Krankenhausstandorte!

Foto: Tom Maelsa

Wulf-Dietrich Leber, Abteilungsleiter Krankenhäuser beim GKV-Spitzenverband, kritisiert die hohe Zahl von Krankenhäusern in Deutschland. Statt an einer überkommenen Landesplanung festzuhalten, sollte man sich ein Beispiel an Dänemark und Holland nehmen.

von Wulf-Dietrich Leber

veröffentlicht am 28.11.2019

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Deutschland hat unbestreitbar zu viele Krankenhausstandorte und zu viele Krankenhausbetten. Die Zahl der Betten liegt fast 60 Prozent über dem europäischen Durschnitt – nichts, worauf ein Land stolz sein sollte.

Der direkte Vergleich mit den Nachbarn macht das deutlich: Die Niederlande haben ungefähr gleich viele Einwohner und eine gleich große Fläche wie das Land Nordrhein-Westfalen, aber nur 120 Kliniken, während Nordrhein-Westfalen meint, 350 zu benötigen. Vergleicht man Niedersachsen mit dem bevölkerungs- und flächengleichen Dänemark, dann hat Niedersachsen rund 180 Krankenhäuser, während die Dänen nach einer großen Strukturbereinigung die Bevölkerung in nur noch rund 40 Krankenhäusern versorgen. Überträgt man die dänischen Werte auf Deutschland, dann bräuchten wir 600 statt der fast 2.000 Häuser – die aber hätten dann alle eine ordentliche technische und personelle Ausstattung.

Ein unstrukturiertes Nebeneinander kleiner Häuser ist gefährlich für die Patienten. Beispiel Herzinfarkt: Wien hat die Notfallversorgung für Herzinfarkte auf sechs Krankenhäuser konzentriert, nachts auf zwei. Wer in Berlin einen Infarkt erleidet, kann in fast 40 Krankenhäuser eingewiesen werden, die großteils weder die entsprechende Ausstattung noch die entsprechende Erfahrung haben. Das ist hochgradig patientengefährdend!

Krankenhausplanung ist anders als Schulplanung

Aber Krankenhausschließungen sind ein politisch schwieriger Vorgang, bei dem geradezu reflexhaft die angebliche Notlage des kleinen Hauses auf dem Lande beschworen wird. Die Berliner haben zum Beispiel eine Gesprächstechnik entwickelt, beim Thema Überversorgung schon bereits nach fünf Minuten ausschließlich über die vermeintlich bedrohliche Situation in der Uckermark zu diskutieren. Dabei liegen mehr als drei Viertel der kleinen Häuser in Ballungsgebieten.

Das Problem der Versorgung in vergleichsweise dünn besiedelten Gebieten ist gelöst. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat beschlossen: Wann immer durch Wegfall eines Hauses der Grundversorgung mehr als 5.000 Einwohner mehr als 30 Minuten zum nächsten Krankenhaus benötigen, dann wird die Existenz dieses Hauses im Falle einer finanziellen Notlage durch Zuschläge gesichert.

Wie aber erreicht man eine im Sinne der Patienten geordnete Krankenhausplanung? Die Mehrheit der Bevölkerung glaubt noch immer, dies geschehe durch die Landesplanung. Aber es gibt keine gestaltende Planung. Selbst wenn es vernünftige, qualitätsorientierte Pläne gäbe (was nicht der Fall ist), dann hätten die Planungsbehörden der Länder keine Möglichkeit, sie durchzusetzen. Angenommen, es wäre sinnvoll, statt eines bestehenden Hauses des Roten Kreuzes und eines der privaten Helios-Kette ein drittes, besseres Haus zu bauen, dann hat das Land keinerlei Möglichkeit, dieses Vorhaben gegen den Willen der Krankenhausträger durchzusetzen. Deren Aktivität ist eigentums- und wettbewerbsrechtlich geschützt. Jedes Gericht wird ihnen die Bedarfsnotwendigkeit und den Verbleib im Krankenhausplanung bestätigen. Krankenhausplanung ist anders als Schulplanung.

Kein Land kümmert sich um Qualität

Das war früher anders. Als in den 70er Jahren die Grundlagen des heutigen Krankenhausrechts geschaffen wurden, da bezahlten die Länder noch über 20 Prozent der Krankenhauskosten und bestimmten letztlich via Investitionsfinanzierung die Krankenhauslandschaft. Heute ist dieser Anteil auf drei Prozent geschrumpft. Ein gut geführtes Haus kommt ohne Länderfinanzierung aus. Wenn aber das Land mangels finanziellen Engagements keinen Einfluss auf die Krankenhaustätigkeit hat, dann ist irgendwann der Zeitpunkt gekommen, an dem man erkennen muss: Krankenhausplanung ist Fake News.

Krankenhausversorgung in Deutschland ist ein Markt, bei dem das Geschehen zunehmend durch Regulierungsbehörden auf Bundesebene bestimmt wird. So entscheidet beispielsweise bei Fusionen einzig das Bundeskartellamt. Das Vergütungssystem wird auf Bundesebene festgelegt, alles ganz ohne Mitbestimmung der Landesplanungsbehörden. Die Qualitätssicherung erfolgt quasi ausschließlich durch den Gemeinsamen Bundesausschuss und das Qualitätssicherungsinstitut. Kein Land kümmert sich um Qualität.

Die Strukturierung der Krankenhauslandschaft erfolgt zunehmend auf Bundesebene, so zum Beispiel bei Mindestmengen, Pflegepersonaluntergrenzen oder bei der Definition von Notfallstufen. Notfallstufen sind übrigens ein gutes Beispiel für eine Überzahl an kleinen, schlecht ausgestatteten Krankenhäusern. Über 500 Häuser erfüllen die Basisnotfallstufe nicht, haben also nicht einmal gleichzeitig eine Chirurgie, eine Innere, sechs Intensivbetten und einen Bereitschaftsdienst, der garantiert, dass in einer halben Stunde ein Facharzt vor Ort ist. Und trotzdem werden sie noch vom Rettungsdienst angefahren.

Die Krisenstimmung in der Krankenhausszene lässt seit Neuestem den Ruf nach einem Krankenhausgipfel laut werden. Ja, ein solcher „Gipfel der Veränderung“ ist dringend geboten, um eine neue patientenorientierte Marktordnung statt der überkommenen Landesplanung zu etablieren. Bei der notwendigen, bisweilen schmerzhaften Konsolidierung sollte es eine gemeinsame Grundhaltung geben: Es geht nicht um das Überleben von Krankenhausstandorten, sondern um das Überleben von Patienten.

Wulf-Dietrich Leber ist Abteilungsleiter Krankenhäuser im GKV-Spitzenverband in Berlin.

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