In Deutschland gehen wir wie selbstverständlich von guten, verlässlichen und erreichbaren Angeboten aus, wenn im häuslichen Umfeld die Versorgung nicht mehr geleistet werden kann und ein Umzug in ein Pflegeheim notwendig wird. Da die Zahl der pflegebedürftigen Menschen weiter stark steigen wird, ist auch der absehbar hohe Bedarf an Pflegekräften keine Überraschung. Auch wenn in den letzten Jahren mehr als 100.000 zusätzliche Stellen in der Altenpflege besetzt werden konnten, wird es zunehmend schwieriger, den Personalbedarf zu decken.
Grundlage der Personalausstattung eines Pflegeheims sind meist je Pflegegrad landesweit geltende Personalschlüssel zur Mitarbeiterzahl und zur Qualifikation. So ist zum Beispiel in Bayern eine deutlich bessere Personalausstattung vereinbart als in Mecklenburg-Vorpommern. Die Universität Bremen legte nun die Ergebnisse einer von Prof. Heinz Rothgang geleiteten Studie zur notwendigen Personalausstattung in Pflegeheimen vor.
Stark vereinfacht errechnet die Universität Bremen sowohl neue Personalschlüssel als auch eine Vorgabe zur notwendigen Qualifikation der Mitarbeitenden. Ein hoher Pflegegrad löst dabei sowohl mehr Personal insgesamt aus als auch einen höheren Fachkraftanteil. Eine grobe Übersicht liefern die folgenden Zahlen.
- Pflegegrad 1 mit einem Personalschlüssel von 1:3,7 und einem Fachkraftanteil von 20 %
- Pflegegrad 2 mit einem Personalschlüssel von 1:3,1 und einem Fachkraftanteil von 20 %
- Pflegegrad 3 mit einem Personalschlüssel von 1:2,17 und einem Fachkraftanteil von 25 %
- Pflegegrad 4 mit einem Personalschlüssel von 1:1,5 und einem Fachkraftanteil von 40 %
- Pflegegrad 5 mit einem Personalschlüssel von 1:1,14 und einem Fachkraftanteil von 64 %
Bedarf: 100.000 neue Stellen
Umgerechnet auf die heutige durchschnittliche Verteilung der Pflegegrade in den Pflegeheimen ist mit diesen Ergebnissen ein leichter Anstieg der Zahl der Fachkräfte verbunden, die im Alltag deutlich entlastet werden sollen durch eine sehr deutliche Personalaufstockung von Assistenzkräften. Prof. Rothgang beziffert den zusätzlichen Personalbedarf alleine auf der Grundlage der heutigen Zahl pflegebedürftiger Menschen in Interviews jüngst auf über 100.000 zusätzliche Stellen.
Es ist leicht erkennbar, dass die Personalausstattung nach den Vorgaben dieses Projektes sehr unterschiedlich ausfallen wird zwischen einem Pflegeheim, welches sich auf die Versorgung pflegebedürftiger Menschen mit den Pflegegraden 4 und 5 konzentriert und einem anderen Heim, dessen Bewohnerschaft stärker die Pflegegrade 2 und drei abbilden.
Nun wäre es naiv zu glauben, der schon heute hohe Personalbedarf sei beliebig zu steigern. Auch wenn wir momentan so viele Beschäftigte in der Altenpflege haben wie noch nie zuvor, erreichen besonders geburtenstarke Jahrgänge bald das Rentenalter. Es kann hier sicherlich nicht nach der Devise verfahren werden, künftig zwar bestmögliche Bedingungen festzuschreiben, aber im Gegenzug der absehbar steigenden Zahl pflegebedürftiger Menschen kein bedarfsdeckendes Angebot zur Verfügung zu stellen. Insofern ist es absehbar, dass jede Möglichkeit der Gewinnung und Qualifizierung zusätzlicher Beschäftigter genutzt werden muss, aber bei den künftigen Festlegungen auf Landesebene die Situation am Arbeitsmarkt eine prägende Rolle spielen muss.
Die Studie liefert eine sehr verlässliche Grundlage für die Entwicklung in den Bundesländern. Der bisher geltenden starren Fachkraftquote setzt Rothgang ein Modell entgegen. Je höher der Pflegegrad, desto umfangreicher sind auch die Anforderungen an die Qualifikation. Die Bundesländer können ab sofort die wissenschaftliche Expertise nutzen und erste Schritte ermöglichen, die bei insgesamt steigender Personalausstattung zu einem an Pflegegraden ausgerichteten Verhältnis von Fachkräften zu Assistenzkräften führen.
Beschäftigte müssen auch profitieren
Das Projekt lässt aber auch Fragen offen. Solange wir nicht erklären können, ob bayrische pflegebedürftige Menschen mehr und bessere Leistungen als diejenigen in Mecklenburg-Vorpommern erhalten, bleibt fraglich, ob Personalmehrung für alle die angemessene Antwort ist. In der Erprobung werden wir klare Antworten finden müssen, ob und in welchem Umfang mehr Personal auch mehr oder bessere Pflege und Betreuung bedeutet. Profitieren müssen sowohl pflegebedürftige Menschen als auch die Beschäftigten. Das ist eine Messlatte für die kommende Erprobung, die momentan vorbereitet wird. Mehr Personal ohne mehr oder bessere Leistung wäre eine absurde Entwicklung zu Lasten pflegebedürftiger Menschen.
Deutlich werden die finanziellen Auswirkungen. Aufgrund der Konstruktion der Pflegeversicherung wird die Eigenbeteiligung der Bewohnerinnen und Bewohner mit einer erheblich verbesserten Personalausstattung spürbar steigen, sofern politisch nicht gegengesteuert wird. Eine Reform darf aber nicht dazu führen, dass mit einer Festschreibung der heutigen Eigenanteile die Bundesländer belohnt würden, die Pflege bisher denkbar schlecht finanziert haben. Hier muss belohnt werden, dass zum Beispiel Bayern und Berlin schon bisher eine gute Ausstattung hatten.
Herbert Mauel ist seit 2001 Geschäftsführer des bpa – Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste.