Das Gesundheitswesen ist ein (über)lebenswichtiger und systemrelevanter Sektor – aber auch ein sehr umweltbelastender. Er ist für mehr Schadstoffemissionen verantwortlich als der Flug- und Schiffsverkehr zusammen. Wäre die Branche ein Land, stünde sie auf Rang fünf der größten Emittenten von CO₂ weltweit – nach China, den USA, Indien und Russland. Auch wenn das Gesundheitswesen nicht im Fokus der klimazentrierten Kritik steht, ist es offensichtlich, dass es auch Teil des Problems ist – und Teil der Lösung sein muss.
Warum das Engagement des Sektors besonders wichtig ist? Für Gesundheitsversorger sind die Auswirkungen des Wandels zu spüren, denn die gesundheitlichen Folgen der Klimakrise verschärfen die ohnehin kritische Lage in den Krankenhäusern. Die klimatischen Veränderungen rufen immer mehr Extreme hervor, die belastend oder gar gefährlich für den Menschen sind: Hitzewellen, Hochwasser, zunehmende Allergien und Infektionskrankheiten durch veränderte Ökosysteme. Die medizinische Versorgung muss dem standhalten können. Es liegt demnach im Interesse aller, diesen Kreislauf zu durchbrechen, denn Klimaschutz ist auch Gesundheitsschutz.
Bereits vor zwei Jahren hat der Deutsche Ärztetag das Problem thematisiert und an alle Entscheidungsträger im Gesundheitswesen appelliert, den Sektor bis 2030 klimaneutral zu gestalten. Um das zu erreichen, müssen viele Stellschrauben gleichzeitig gedreht werden. Eine davon ist der Lebenszyklus von Medizinprodukten. Denn innerhalb des Gesundheitswesens machen die Herstellung dieser Produkte und ihre Lieferketten mit 71 Prozent den größten Anteil der CO₂-Emissionen aus.
Aktuell werden komplexe und teure Medizinprodukte von den Herstellern in der Regel als Einwegprodukte in den Verkehr gebracht. Darunter fallen etwa hochkomplexe Elektrophysiologie-Katheter für Herzuntersuchungen oder Ultraschallscheren für chirurgische Eingriffe. Pro Stück liegen sie preislich im oberen drei- bis vierstelligen Bereich und in ihrer Produktion verursachen sie einiges an CO2-Äquivalenten. Dabei ist es möglich, diese Einmal-Medizinprodukte mehr als einmal zu verwendet. Der Schlüssel: Kreislaufwirtschaft durch Remanufacturing.
Medical Remanufacturing: Eine Stellschraube für die Kreislaufwirtschaft
Medical Remanufacturing bezeichnet den Prozess, der ein medizinisches Einmalprodukt so wieder aufbereitet, dass es erneut eingesetzt werden kann – bei gleicher Sicherheit und Funktionalität. Je nach Artikel findet eine unterschiedliche Abfolge an Prozessschritten statt, mit denen wiederaufbereitet wird. Dabei durchläuft das Medizinprodukt alle Phasen einer Neuherstellung. Der Unterschied? Im Vergleich werden deutlich weniger Ressourcen benötigt. Der CO₂-Fußabdruck eines wiederhergestellten Herzkatheters beträgt nur etwa 50 Prozent einer Neuproduktion. Der Ressourcenverbrauch ist ebenfalls um 28 Prozent geringer, wie eine Studie des Fraunhofer Instituts ermittelte.
Die Kreislaufwirtschaft funktioniert jedoch nicht in der Endlosschleife. Irgendwann hat ein Medizinprodukt seinen Nutzen ausgeschöpft und kann kein weiteres Mal wiederaufbereitet werden. Beim sogenannten End-of-Life-Recycling wird es dann in seine Einzelteile zerlegt, die anschließend als Rohstoffe, z. B. Plastik und Metall, weiterverarbeitet werden. Das bedeutet auch: Remanufacturing funktioniert nur so lange, wie neue Produkte in den Kreislauf eingespeist werden.
Veränderungen in Sicht: Nachhaltigkeit als Pflicht
Neben den Herstellern müssen sich auch die Krankenhäuser verändern – nicht nur aus der gesellschaftlichen Verantwortung heraus. Neueste EU-Regelungen machen die Transformation unumgänglich. Ende 2022 hat der Rat der EU die Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung „Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)“ gebilligt. Laut Zahlen von Curacon sind nach den Änderungen etwa die Hälfte aller deutschen Krankenhäuser dazu verpflichtet, einen Nachhaltigkeitsbericht zu verfassen.
Die seit 2020 geltende Taxonomie-Verordnung legt zudem fest, welche Wirtschaftstätigkeiten als ökologisch nachhaltig eingestuft werden. In jene Tätigkeiten soll laut der EU Sustainable Finance Strategy vermehrt Kapital fließen. In ihren Berichten müssen Kliniken bald offenlegen: Sind unsere Investition und Betriebsausgaben nachhaltig? Die Basis dafür bilden die drei Säulen der Nachhaltigkeit, die sogenannten ESG-Kriterien: Environment, Social und Governance.
Win-Win: Nachhaltigkeit ist auch wirtschaftlich sinnvoll
Nachhaltige Bestrebungen gehen zwingend mit ökonomischem Mehraufwand einher? Das Gegenteil ist oft der Fall. Wirtschaftlichkeit hat mehr Dimensionen als die finanzielle. Umwelt- und soziale Kosten müssen in Zukunft mehr Gewichtung bei Entscheidungen bekommen. Denn auch hier sollte das Gesundheitswesen sich seiner Verantwortung bewusst sein. Die Branche muss den Anspruch haben, den Blick zu weiten und zu schauen, was langfristig und global sinnvoller ist.
Nachhaltige Entscheidungen müssen nicht mit der Wirtschaftlichkeit in Konflikt stehen. Sie können vielmehr direkte finanzielle Einsparungen bedeuten – so etwa beim Remanufacturing. Für Kliniken ist dieses Wiederaufbereitungsverfahren günstiger als die Anschaffung von Neuware, denn bei der Wiederherstellung von Medizinprodukten werden weniger Ressourcen benötigt und globale Lieferketten fallen weg.
Grüneres Gesundheitswesen: Gemeinsam Vorbild werden
Die Einsparungen verschaffen den Kliniken neue finanzielle Spielräume und damit die Möglichkeit, ihr Budget effizient und zukunftsorientiert einzusetzen. So blieben in öffentlichen Krankenhäusern im Jahr 2020 von 100 Euro Einnahmen durchschnittlich keine zehn Euro übrig für Investitionen in die Digitalisierung, Wartung oder Finanzierung. Wenn Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit also Hand in Hand gehen, bleibt Kliniken mehr Geld für die Transformation.
Das Gesundheitswesen sollten sich nicht mit der Tatsache zufriedengeben, dass der Sektor aufgrund seiner Aufgaben nun mal CO₂-intensiv ist. Es ist unsere Pflicht, die Herausforderungen der Zeit nicht nur zu kennen – sondern aktiv Teil der Lösung zu sein. Klimaschutz ist Gesundheitsschutz und Medical Remanufacturing ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Klimaneutralität. Die Kreislaufwirtschaft kann jedoch nur dann funktionieren, wenn die Branche das gemeinsame Ziel vor Augen hat. Neue Produktstandards müssen etabliert werden, die eine Wiederaufbereitung ermöglichen.
Ulrike Marczak ist Vorstandsvorsitzende der Vanguard AG.