Stein des Anstoßes ist das im November 2022 in Kraft getretene GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG), in dem Gesundheitsminister Lauterbach pauschale Zwangsrabatte auf innovative Arzneimittel vorsieht, um kurzfristige Einspareffekte zu erzielen. Gleichzeitig wird damit die nutzenbasierte Preisfindung bei Arzneimitteln ad absurdum geführt – ein seinerzeit unter dem FDP-geführten Bundesgesundheitsministerium entwickelter, ordnungspolitisch sauberer Verhandlungsrahmen zum Interessenausgleich zwischen Privatwirtschaft und gesetzlichen Krankenkassen (GKV).
Das neue Gesetz hat mit den Ordnungsprinzipien der sozialen Marktwirtschaft nicht mehr viel gemein. Wir werden als Industrie gezwungen, überproportionale Stabilisierungshilfen für die Krankenkassen zu leisten. Zur Einordnung: Der Anteil der Arzneimittelausgaben an den Gesamtkosten der GKV liegt bei zirka zwölf Prozent, mit fast 80 Prozent tragen wir aber den Hauptteil der Einsparungen. Dass der Gesundheitsminister verlauten ließ, es bedürfe für diese Markteingriffe keiner exakten empirischen Herleitung, hat uns veranlasst, im Mai per Verfassungsbeschwerde Klarheit über die zulässigen Rahmenbedingungen in Deutschland zu bekommen.
Die zentrale Frage ist: Unter welcher Prämisse darf der Staat privaten Unternehmen Liquidität entziehen, um sie öffentlich-rechtlichen Körperschaften zuzuführen? Die Entscheidung in Karlsruhe wird genau beobachtet, denn Investitionen multinationaler Unternehmen in Deutschland hängen direkt mit guten, verlässlichen Rahmenbedingungen zusammen.
Kreativität des Ministers sind scheinbar keine Grenzen gesetzt
Mit dem Gesetz ist die Belastungsgrenze für die industrielle Gesundheitswirtschaft nun überschritten. Das ist besonders bedauerlich, da unsere Industrie in den vergangenen Jahren massiv in die Forschung, den Ausbau von Produktionsanlagen und in gut ausgebildete Fachkräfte investiert hat und sich dieser Trend auch weiter fortschreiben sollte. Doch es kam anders – dank der Kreativität des Gesundheitsministers. Der scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein: Zur Erhöhung des Rabattes für innovative Arzneimittel auf zwölf Prozent und einer Verlängerung des bestehenden Preismoratoriums, kommt noch ein 20-prozentiger Abschlag für Therapien hinzu, die in Kombination mit anderen Arzneimitteln gegeben werden.
Die kreative Krönung: Medikamente mit einem Zusatznutzen gegenüber bestehenden Therapien wurden bisher honoriert; Innovationen sollten so belohnt werden. Mit dem neuen Gesetz wird nun der Preis neuer Arzneimittel trotz Zusatznutzen auf den Preis bestehender Therapien mit geringerem Nutzen gedeckelt. Medizinischer Fortschritt wird so gezielt ausgebremst. Die Folgen für die Industrie sind nicht nur gravierende finanzielle Einbußen und ein Liquiditätsverlust in Milliardenhöhe; das Gesetz beschädigt vor allem das Vertrauen in ein System, das einen verlässlichen Rahmen für langfristige, risikoreiche Investitionen schaffen sollte. Diese Rahmenbedingungen wurden handstreichartig kassiert.
Eine Branche mit jahrelangen Entwicklungszyklen braucht aber Planungssicherheit. Die Auswirkungen für den Pharmastandort Deutschland zeichnen sich bereits ab. Nach Inkrafttreten gab ein Drittel der Unternehmen an, Stellen abbauen zu wollen. Bis zu 5.000 hochqualifizierte Jobs könnten verloren gehen – während man in Nachbarländern weiterhin mit einer stabilen oder positiven Entwicklung rechnet. Was mich als Unternehmer mit Sorge erfüllt, sind kurz gesagt, drei Punkte:
- Mit dem neuen Gesetz wird ein bewährter, ordnungspolitisch sauberer Rechtsrahmen einer nutzenbasierten Preisfindung mit Bürokratie überfrachtet und willkürlich zweckentfremdet.
- Die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer industriellen Gesundheitswirtschaft und ihre enorme Forschungs- und Wertschöpfungstiefe (vergleichbar nur mit der Automobilindustrie) werden leichtfertig aufs Spiel gesetzt.
- Es fehlt das Verständnis, dass Gesundheitspolitik auch Wirtschaftspolitik ist. Zusammenhänge werden nicht verstanden. Wenn Arbeitsplätze verschwinden, Investitionen ins Ausland abwandern und Innovationen aus dem Ausland eingekauft werden müssen, hat die Politik versagt (siehe Arzneimittellieferengpässe).
Selbstverursachter Reformstau als Rabattinstrument und Innovationsbremse
Dabei dürfen dringend notwendige Strukturreformen im Gesundheitssystem nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden. Das GKV-FinStG trifft mit seinen Rabattinstrumenten auf das System der nutzenbasierten Preisfindung, dessen Kriterien zur Bewertung neuer Therapien bereits überholt sind. Innovative Studienkonzepte oder neue Wirkansätze wie Gentherapien lassen sich mit den veralteten Maßstäben nicht mehr fair bewerten.
Zu oft ergeht so das Urteil „geringer“, „nicht-quantifizierbarer“ oder „kein Zusatznutzen“ – in drei von vier Fällen aus formalen Gründen. Das führt zu höheren Preisabschlägen und bildet gleichzeitig die Basis für das Greifen der neuen Rabatte. Der eigens verursachte Reformstau wird so selbst zum Rabattinstrument. Die Konsequenzen sind ernüchternd: Erste Medikamente gegen Krebs, HIV oder Schuppenflechte wurden in Deutschland vom Markt genommen oder gar nicht erst eingeführt. In den kommenden zwei Jahren könnten bis zu 30 weitere Arzneimittel das gleiche Schicksal ereilen.
Eine Leitindustrie, die gut zu Deutschland passt
Herstellerrabatt, Kombinationsrabatt, Preisdeckel und Preismoratorium konterkarieren und bürokratisieren ein bewährtes Prinzip. Statt Anreize für Innovationen zu setzen, entziehen sie uns Liquidität für Investitionen. Unberechenbare staatliche Selbstbedienung und wachsender bürokratischer Aufwand sorgen dafür, dass die Patientenversorgung spürbar leidet und Deutschland als wichtiger Wirtschafts- und Investitionsstandort der forschenden Pharmaindustrie – laut Bundesregierung eine Schlüsselindustrie – an internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Exportstärke verliert.
Unsere Branche ruft nicht nach Subventionen, sondern nach verlässlichen, mit der sozialen Marktwirtschaft konformen Rahmenbedingungen, um in den kommenden Jahren in den Standort zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Denn die Bereitschaft ist da. Wir sollten aus den Fehlern der Vergangenheit in anderen Sektoren lernen. Noch ist es nicht zu spät. Aber es ist fünf vor zwölf.
Prof. Hagen Pfundner ist Vorstand der Roche Pharma AG.