Seit Monaten tauschen wir uns mit sämtlichen Akteur:innen aus Gesundheitswirtschaft und -politik darüber aus, welche Lehren aus der Pandemie zu ziehen sind, wie wir unser Gesundheitssystem stärken, wie wir uns bestmöglich auf zukünftige Gesundheitskrisen vorbereiten können. Trotz unterschiedlicher Ansichten in Detailfragen waren wir uns im Kern stets einig: Das Ziel muss sein, die Qualität der Gesundheitsversorgung für möglichst viele Menschen in diesem System so nachhaltig wie möglich zu verbessern.
Eine der größten Herausforderungen ist aktuell bekanntermaßen die prekäre Finanzlage der gesetzlichen Krankenkassen. Mit Spannung wurde erwartet, welche Lösungsansätze das Bundesgesundheitsministerium im Entwurf für ein GKV-Finanzstabilisierungsgesetz vorlegt. Inzwischen ist der Kabinettsentwurf da – und die Enttäuschung groß. Nicht nur bei den forschenden Pharmaunternehmen, sondern gleichermaßen bei Ärzt:innen, Apotheker:innen und Krankenkassen. Der Grund: Die Lösung passt nicht zum Problem. Anders gesagt: Die oberflächliche Behandlung von Symptomen heilt nicht die Ursachen einer Krankheit.
Zwangsabgaben auf Innovationen
In Deutschland profitieren Patient:innen von einer im internationalen Vergleich überdurchschnittlich guten Arzneimittelversorgung. Das ist das Ergebnis jahrelanger intensiver und erfolgreicher Erforschung und Weiterentwicklung von Medikamenten und Therapien. Die Impfstoffentwicklung in Rekordzeit hat gezeigt, wie wichtig die Innovationskraft der Pharmaindustrie für die Gesellschaft ist. Was viele nicht wissen: Hinter jeder Innovation stehen jahrelange Investitionen: Von 5.000 bis 10.000 Substanzen schafft es im Durchschnitt eine einzige bis zur Zulassung – ein Prozess, der in Deutschland im Schnitt mehr als 13 Jahre dauert. Das Investitionsrisiko trägt das forschende Unternehmen.
Innovationsfeindlich ist der geplante Abschlag von 20 Prozent auf Arzneien, die in Kombinationstherapien zum Einsatz kommen. Die Preise für erstattungsfähige Medikamente sind ausverhandelt. Ein zusätzlicher Rabatt auf diese bereits preisregulierten Therapien könnte die Qualität der medizinischen Versorgung insbesondere von schwerkranken Menschen einschränken. Das Risiko, dass es sich nicht mehr lohnt, innovative Medikamente in Deutschland in den Markt zu bringen, ist nicht auszuschließen. Die geplanten Sparmaßnahmen treffen letztlich also diejenigen, die darauf vertrauen, dass wir ihre Gesundheit bestmöglich schützen: die Patient:innen.
Die Mär vom „Kostentreiber“ Arzneimittel
Der Gesetzesentwurf basiert grundsätzlich auf einer falschen Annahme. In Bezug auf Medikamente beschreibt er ein Kostenproblem, das in der Realität nicht existiert: Die angestrebte Stabilisierung im Arzneimittelbereich ist kein zukünftiges Ziel, sie ist längst Realität. Zwar sind die Ausgaben für Arzneimittel zwischen 2016 und 2020 von knapp 36 auf 43 Milliarden Euro gestiegen. Ursache für diesen Zuwachs waren allerdings vor allem Mehrverschreibungen. Der Anteil der Arzneimittelkosten an den Gesamtausgaben der Krankenkassen beträgt seit zehn Jahren stabil rund 16 Prozent.
Zurückzuführen ist das – in aller Bescheidenheit – in nicht unerheblichem Umfang auf die enorme Solidaritätsleistung der forschenden Pharmaunternehmen. Seit Einführung des sogenannten Preismoratoriums vor 13 Jahren tragen wir Jahr für Jahr mit 1,8 Milliarden Euro zur Preisstabilität im Arzneimittelbereich und damit zur Stabilisierung der finanziellen Situation der Gesetzlichen Krankenkassen bei. Auf uns war immer Verlass – auch in den Jahren, in denen die Krankenkassen erhebliche Überschüsse erwirtschaften konnten. Auch heute, in Zeiten signifikanter Preissteigerungen in sämtlichen Lebensbereichen, geben wir diese nicht wie in anderen Branchen weiter.
Natürlich ist die Preisstabilität im Arzneimittelbereich auch auf die Wirksamkeit des AMNOG zurückzuführen. Aufgrund des medizinischen Fortschritts und neuer Therapie- und Behandlungsmöglichkeiten bedarf das Verfahren jedoch der Modernisierung. Das Ziel einer solchen Modernisierung muss sein, das AMNOG wertbasiert und Outcome-orientiert weiterzuentwickeln, so dass die bestmögliche Versorgungsqualität von Patient:innen gewährleistet ist.
Um das zu erreichen, müssen wir den AMNOG-Methodenkoffer unter anderem um moderne Studiendesigns und Endpunkte erweitern, damit innovative, zunehmend personalisierte und präzise wirkende Therapien gegen schwere Erkrankungen wie Krebs schnellstmöglich in die Versorgung gelangen. Auch hier erinnere ich mich an zahlreiche, sehr fruchtbare Diskussionen mit unterschiedlichen Akteur:innen im Gesundheitssystem. Im aktuellen Gesetzentwurf findet sich davon leider nichts. Er reduziert das AMNOG auf ein Kosteneinsparinstrument – auf dem Rücken von Patient:innen, die auf die zuverlässige Versorgung mit modernen Therapien angewiesen sind. Das kann nicht im Sinne des Bundesgesundheitsministeriums sein. In unserem Sinne ist es ganz sicher nicht!
Nachhaltige Ursachenbekämpfung anstatt Symptombehandlung
Der Referentenentwurf gefährdet den Wissenschafts- und Forschungsstandort Deutschland. Vor allem aber gefährdet er die Versorgungssicherheit von Patient:innen. Sie werden letzten Endes den Preis dafür zahlen, dass wir uns nicht die Mühe gemacht und uns an einen Tisch gesetzt haben, um gemeinsam die bestmögliche Lösung zu finden.
Sehr geehrter Herr Minister Lauterbach: Lassen Sie uns genau das jetzt tun und gemeinsam eine Strukturreform angehen, die diesen Namen verdient. Schließlich eint uns alle dasselbe Ziel: Ein leistungsstarkes, bezahlbares Gesundheitssystem, das die individuell beste Versorgung von Patient:innen zum individuell richtigen Zeitpunkt ermöglicht!