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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Schnelle Eingreiftruppe gegen Pandemien

Direktorin des Europäischen Büros der Bill & Melinda Gates Stiftung
Direktorin des Europäischen Büros der Bill & Melinda Gates Stiftung Foto: Gesine Born

Die Corona-Pandemie ist ein lehrreiches Kapitel für die Bewältigung globaler Gesundheitsrisiken: Wie wir diese in Zukunft besser in den Griff bekommen könnten, erklärt Anja Langenbucher, Direktorin des Europäischen Büros der Bill & Melinda Gates Stiftung, im Standpunkt.

von Anja Langenbucher

veröffentlicht am 30.03.2022

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Die Welt muss sich neu ordnen. Nach zwei langen Jahren geprägt von der COVID-19-Pandemie und vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges treffen sich die Staatschefs der G7-Länder im Juni auf Schloss Elmau in Bayern. Die weitreichenden Folgen des Krieges, etwa auf die globale Ernährungssicherheit und Gesundheitsversorgung, werden dramatisch ausfallen und erfordern internationale Kooperation, um drohendes Leid zu lindern. Die „starke Vorsorge für ein gesundes Leben“ ist neben Frieden und Stabilität auch eines der Hauptziele der deutschen G7-Präsidentschaft. Ein wichtiger Schritt hierfür sind die von der Bundesregierung angekündigten 1,5 Milliarden US-Dollar an zusätzlichen finanziellen Mitteln für die weltweite Corona-Impfkampagne. Ein Großteil des Geldes wird an den Access-to-COVID-19-Tools Accelerator (ACT-A) gehen, etwa für die Beschaffung und Verteilung von Diagnostika, Heilmitteln und Impfstoffen gegen COVID-19.

Doch gerade im Hinblick auf die langfristigen Folgen der Pandemie und das Risiko künftiger Krankheitsausbrüche sollte Deutschland auch bei dem G7-Treffen eine Führungsrolle einnehmen, um sicherzustellen, dass sich die Weltgemeinschaft auf die nächste schwere Gesundheitskrise rechtzeitig vorbereitet. Denn laut einer Studie des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel hat die COVID-19-Pandemie allein in Afrika 30 Millionen Menschen in extreme Armut getrieben, und es könnte bis 2025 dauern, bis die Länder Afrikas wieder ihr Vorkrisenniveau gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) erreichen werden. Die Überlastung der Gesundheitssysteme führte weltweit auch zu Rückschlägen bei der Bekämpfung von Krankheiten wie HIV, Tuberkulose, Malaria und Polio. Zum Teil gab es mehr Todesfälle durch diese Krankheiten als jemals zuvor. Vor diesem Hintergrund ist es die Aufgabe und Verpflichtung einer verantwortungsvollen Gesundheitspolitik, jetzt alle notwendigen Vorbereitungen auf die nächste Pandemie in die Wege zu leiten.

Die Lösung liegt dabei vor allem in einer Stärkung der globalen Zusammenarbeit und der Bereitstellung notwendiger Investitionen, um künftige Epidemien und Pandemien frühzeitig erkennen und eindämmen zu können. Als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie müssen wir uns dabei – neben dem Schutz der am meisten gefährdeten Menschen – viel stärker auf die Chancengleichheit, gerade im Gesundheitsbereich, konzentrieren. Es sollte nicht hinnehmbar sein, dass in reichen Ländern schnell große Mengen an Impfdosen verabreicht wurden, während in manchen einkommensschwächeren Ländern die Impfraten im Jahr 2022 noch immer bei unter zehn Prozent liegen. Dazu braucht es langfristige Planungen und Strategien, um Gesundheitsrisiken zu minimieren und Gesundheitssysteme auszubauen. Denn nur mit mehr Resilienz, Koordination und unbedingt auch mehr Forschung und Innovation können wir weltweit Krankheitsausbrüche in Zukunft schneller und besser in den Griff bekommen.

Ein Experten-Team für die Pandemie-Bekämpfung

Mindestens genauso wichtig sind funktionierende Frühwarnsysteme und mehr Investitionen in die Kapazitäten nationaler Gesundheitssysteme. Das Treffen der G7-Gesundheitsminister:innen im Mai wäre eine sehr gute Möglichkeit, um ein effektives Krisenmanagement zu etablieren, das zur Eindämmung künftiger Krankheitsausbrüche entscheidend beitragen könnte. Schnelligkeit und Agilität spielen hierbei eine zentrale Rolle. Das ist eine Lehre aus der zögerlichen globalen Reaktion auf den COVID-19-Ausbruch im Frühjahr 2020. Aus unserer Sicht bedarf es deshalb eines international einsetzbaren Experten-Teams, das von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) koordiniert wird und rasch auf lokale Ausbrüche reagieren sowie Regierungen beratend zur Seite stehen kann, sozusagen eine „schnelle Eingreiftruppe“ für Pandemien. In Kombination mit globalen Frühwarnsystemen könnten Bedrohungen so schneller erkannt und die Welt effektiver vor neuen Viren gewarnt werden.

Was uns Mut machen sollte, ist die Tatsache, dass die Weltgemeinschaft in den vergangenen zwei Jahren – trotz allen Leids – Zeuge außergewöhnlicher wissenschaftlicher Erfolge werden konnten. Innerhalb eines Jahres nach der Analyse des COVID-19-Virus standen bereits wirksame und sichere Impfstoffe zur Verfügung. Die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI), eine internationale Impfstoffallianz, förderte beispielsweise allein drei später erfolgreiche Impfstoffkandidaten: AstraZeneca, Moderna und Novavax – nicht zuletzt dank der langjährigen Unterstützung von CEPI durch die Bundesregierung. Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass diese schnelle Entwicklung nur möglich war, weil die beteiligten Organisationen auf bestehender Forschung zu Impfstoffen gegen Coronaviren aufbauen konnten. In der nächsten Pandemie haben wir vielleicht nicht so viel Glück. Umso wichtiger sind deshalb weitere finanzielle Mittel, institutionelle Unterstützung sowie ein breiter gesellschaftlicher und politischer Konsens, um auch künftig Spitzenforschung zu Pandemien und Epidemien zu ermöglichen.

Wie zielführend die multilaterale Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich sein kann, hat im Jahr 2017 auch ein Treffen der G20-Gesundheitsminister:innen in Berlin gezeigt. In einer sogenannten „Table Top Exercise” simulierten die Teilnehmenden gemeinsam mit der WHO den Ausbruch eines unbekannten Virus, der schwere Atemwegserkrankungen verursacht. Gemeinsam entwickelten sie Pläne zur Krisenbewältigung einer solchen Pandemie. Mit dem zusätzlichen Wissen, das wir seitdem gesammelt haben, könnten nun völlig neue und viel wirkungsvollere Strategien entworfen werden. Im Rahmen seiner G7-Präsidentschaft sollte Deutschland deshalb Vorhaben wie diese voranbringen und dafür sorgen, dass auch Länder niedrigeren und mittleren Einkommens in die Planung eingebunden werden. Wenn wir nicht wollen, dass sich die nächste Krankheit, der nächste Virus zu einer Pandemie entwickelt, müssen die wirtschaftsstarken Demokratien konkret und entschlossen handeln – und zwar jetzt.

Anja Langenbucher ist Direktorin des Europäischen Büros der Bill & Melinda Gates Stiftung.

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