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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Schnelltests gegen Rückgang bei Vorsorge

Simon Reif, Gesundheitsexperte am ZEW Mannheim
Simon Reif, Gesundheitsexperte am ZEW Mannheim Foto: ZEW

Aus Sorge vor einer Corona-Infektion gehen derzeit deutlich weniger Menschen zur Krebsvorsorge. Eine umfassende Schnelltest-Strategie kann ein wichtiges Instrument sein, um diesen gefährlichen Trend zu stoppen.

von Dr. Simon Reif

veröffentlicht am 18.02.2021

aktualisiert am 19.07.2022

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Vorsorgeuntersuchungen zur Krebsfrüherkennung sind ein effektiver Weg, um Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und mit einer höheren Wahrscheinlichkeit heilen zu können. Doch im Zuge der Coronavirus-Pandemie hat die Anzahl solcher Vorsorgeuntersuchungen in Deutschland stark abgenommen. Aktuelle Daten, die verschiedene Krankenkassen anlässlich des diesjährigen Weltkrebstages veröffentlicht haben, zeigen einen Rückgang um etwa 15 bis 30 Prozent bei Prostata-, Brustkrebs-, und Darmkrebsvorsorge. Ein solches Muster ist auch in anderen Ländern wie den USA oder Großbritannien erkennbar.

Schon jetzt zeigt sich außerdem, dass nicht nur weniger Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt werden, sondern auch die Anzahl an Krebsdiagnosen im Jahr 2020 deutlich niedriger ist als in den Vorjahren. Unwahrscheinlich ist hier ein tatsächlicher Rückgang der Krebserkrankungen. Es ist also zu befürchten, dass es zu einem Anstieg von erst spät erkannten und damit schwieriger zu behandelnden Krebserkrankungen kommen wird. 

Angst vor Ansteckung untergräbt Kampf gegen Krebs

Ein naheliegender Grund für den Rückgang der Vorsorgeuntersuchungen ist die Angst vor Ansteckungen in Arztpraxen. Tatsächlich gaben elf Prozent der Teilnehmenden einer Befragungsstudie von Robert Koch-Institut und der Universität Erfurt an, aufgrund der Corona-Situation Vorsorgeuntersuchungen aufgeschoben zu haben. Auch die Häufigkeit von Google Suchanfragen deutet auf diesen Zusammenhang hin. Im vergangenen Jahr wurde dann wenig nach „Krebsvorsorge“ gesucht, wenn zeitgleich viel nach „Ansteckungsgefahr“ gesucht wurde.

Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass in Arztpraxen ein erhöhtes Corona-Infektionsrisiko besteht. Maskenpflicht, Desinfektionsmittelspender, Abstand im Wartezimmer und vor allem kurze Wartezeiten durch vorausschauende Terminvergabe sorgen für risikoarme Arztbesuche. Die niedrige Anzahl an Arztbesuchen im Allgemeinen und Vorsorgeuntersuchungen im Speziellen zeigt allerdings, dass tatsächliches und empfundenes Infektionsrisiko auseinander gehen. 

Mehr Schnelltests können helfen

Eine einfache Strategie, um das empfundene Infektionsrisiko in Arztpraxen zu senken und das Sicherheitsgefühl der Patienten zu steigern, wäre die umfangreiche Anwendung von Corona-Schnelltests. Die sogenannten Antigen-Schnelltests zeigen innerhalb von 20 Minuten mit hoher Wahrscheinlichkeit eine ansteckende Infektion an. Solche Schnelltest sind zwar bereits in vielen Arztpraxen verfügbar, allerdings bisher nicht als Teil einer umfangreichen Teststrategie.

Da die Krankenkassen die Kosten nicht erstatten, kann ein Schnelltest in der Arztpraxis lediglich als Selbstzahlerleistung durchgeführt werden. Die Kosten betragen hier zwischen 25 und 50 Euro pro Test. Würden alle Besucher standardmäßig und ohne finanzielle Eigenbeteiligung bei Betreten der Arztpraxis getestet werden, ließe sich die bereits jetzt geringe Wahrscheinlichkeit, mit Corona-Infizierten im Wartezimmer zu warten, noch weiter reduzieren. Durch die häufigeren Tests könnten außerdem potenziell unentdeckte Infektionsketten unterbrochen werden. Denn auch wenn eine Ansteckungsgefahr durch solche unentdeckten Infektionen in der Arztpraxis gering ist, gibt es in weniger geschützten Bereichen natürlich weiterhin Verbreitungsrisiken.  

Ganzheitliche Teststrategie notwendig

Kostenfreie Corona-Schnelltests beim Arztbesuch dürfen allerdings nicht dazu führen, dass Menschen ohne medizinischen Anlass und nur des Schnelltests wegen die Arztpraxen aufsuchen. Um dem Bedürfnis der Menschen nach mehr Sicherheit zu begegnen, sollte daher neben den bald verfügbaren Selbsttests auch das Angebot an kostenfreien Schnelltests außerhalb von Arztpraxen ausgebaut werden. Städte wie Nürnberg und Tübingen haben hierzu niedrigschwellige Testzentren aufgebaut, die bald Nachahmer finden könnten.

Schnelltests in Testzentren und Arztpraxen haben gegenüber Selbsttests den Vorteil, dass nicht nur die Durchführung von medizinisch geschultem Personal vorgenommen wird. Auch der Umgang mit den Testergebnissen kann hier besser begleitet werden. Zum einen muss ein positiver Schnelltest durch einen genaueren PCR-Test bestätigt werden. Idealerweise kann dieser gleich vor Ort vorgenommen werden. Zum anderen ist ein negativer Schnelltest nur eine mit Unsicherheit behaftete Momentaufnahme. Es muss den Getesteten also erläutert werden, dass trotz des durch den Test bestätigten niedrigen Infektionsrisikos die üblichen Hygieneregeln nach wie vor eingehalten werden müssen.

Hoffnung auf Nachholeffekt bei Vorsorgeuntersuchungen

Umfangreichere Corona-Schnelltests in Arztpraxen sind ein Weg, um das subjektiv empfundene Ansteckungsrisiko zu senken. Wenn der erwartete Nutzen von Vorsorgeuntersuchungen wieder die wahrgenommene Ansteckungsgefahr beim Arzt übersteigt, könnte es sogar zu einem Nachholeffekt bei Arztbesuchen kommen.  Daten aus den USA zeigen, dass die Anzahl an Vorsorgeuntersuchungen in den Sommermonaten mit niedrigen Corona-Inzidenzwerten fast so hoch wie in den Vorjahren waren. Auch für Deutschland besteht Anlass zu Hoffnung. Google Suchanfragen nach „Krebsvorsorge“ hatten den Höchstwert der letzten zwölf Monate in der Woche vom 4. Februar – dem Weltkrebstag. Die Gefahren der Vorsorgelücke sind also verstärkt in das Bewusstsein der Menschen gerückt. Ziel muss jetzt sein, aus Suchanfragen tatsächliche Arztbesuche zu machen. 

Dr. Simon Reif ist Leiter Projektgruppe „Gesundheitsmärkte und Gesundheitspolitik“ am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Gemeinsam mit seiner ZEW-Kollegin Sabrina Schubert hat Reif das Thema im Papier ZEW-Kurzexpertise während der Coronavirus-Pandemie – Vorsorgeuntersuchungen in der Krise“ auf zwölf Seiten ausführlich ausgearbeitet. 

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