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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Sepsis: Alle 7 Minuten stirbt ein Mensch

Ruth Hecker, APS-Vorsitzende
Ruth Hecker, APS-Vorsitzende Foto: Helen Carine Hecker

Was ist Sepsis überhaupt, wie häufig geht sie tödlich und warum ist das Thema insbesondere in der Corona-Pandemie so wichtig? Das erläutert die Initiatorin der heute startenden Aufklärungskampagne #DeutschlandErkenntSepsis: Ruth Hecker, Vorsitzende des Aktionsbündnis Patientensicherheit und Chief Patient Safety Officer der Universitätsmedizin Essen.

von Ruth Hecker

veröffentlicht am 16.02.2021

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Sepsis? Ein Begriff, mit dem viele medizinische Laien kaum etwas anfangen können. Aber auch Ärztinnen und Ärzten, medizinischem und pflegerischem Personal ist das Krankheitsbild einer Sepsis, der schwersten Verlaufsform einer Infektion, immer noch zu wenig vertraut. Angesichts der Morbiditäts- und Mortalitätsrate muss sich das dringend ändern.

Hunderttausende Deutsche erkranken jährlich an Sepsis und rund 75.000 sterben daran. Dennoch ist Sepsis im Vergleich zu anderen tödlichen Erkrankungen wie Krebs, Herzinfarkt oder Schlaganfall eher unbekannt. Die Folgen des mangelnden Wissens sind tragisch: Expertenschätzungen zufolge wären in Deutschland pro Jahr mindestens 15.000 bis 20.000 Todesfälle im Rahmen einer Sepsis vermeidbar, wenn die Erkrankung rechtzeitig erkannt und angemessen behandelt werden würde. Und es geht nicht „nur“ um die Todesfälle, sondern auch um die Folgeschäden für diejenigen, die eine Sepsis überleben. Denn viele von ihnen leiden unter dauerhaften Beeinträchtigungen der körperlichen Leistungsfähigkeit, des Gedächtnisses oder psychischen Belastungsstörungen, haben Depressionen und Schmerzen. Manche verlieren Gliedmaßen oder sind lebenslang auf eine Beatmung angewiesen.

Durch ein frühzeitiges Erkennen von Sepsis kann die Sterblichkeit erheblich reduziert werden – dies zeigte sich sehr erfolgreich in Großbritannien und Australien, wo die Sepsis-Sterblichkeit von 45,5 Prozent auf 32,1 Prozent beziehungsweise von 35,0 Prozent auf 18,5 Prozent im Zeitraum von 2000 bis 2012 auch durch Aufklärungskampagnen deutlich gesenkt werden konnte. In Deutschland reduzierte sich die Sepsis-Sterblichkeit lediglich von 47,8 Prozent auf 41,7 Prozent im Zeitraum von 2010 bis 2015.

Ziel der Kampagne: Frühzeitiges Erkennen von Sepsis rettet Leben

Es ist wichtig, nicht bis nach Corona mit Verbesserungen bei der Sepsis-Versorgung zu warten, denn viele Corona-Patienten sterben an einer unerkannten Blutvergiftung, wie Sepsis auch genannt wird. Ein Problem ist, wenn Patienten, mit einem scheinbar unkomplizierten Verlauf von Covid-19 zu Hause bleiben und nicht rechtzeitig bemerken, wenn dies in eine Sepsis übergeht. Damit sind wir bei unserem Kernproblem: Dem Erkennen von Sepsis.

Heute startet „Deutschland erkennt Sepsis“ – als Initiative ins Leben gerufen vom Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) in Zusammenarbeit mit der Sepsis Stiftung, dem Sepsisdialog der Universitätsmedizin Greifswald und der Deutschen Sepsis-Hilfe. Wir wollen mit dieser Aufklärungskampagne über Symptome, Früherkennung und die Zeichen eines absoluten Notfalls informieren. Unsere Botschaft: Wenn auf einmal extrem starkes Krankheitsgefühl, hohes Fieber mit oder ohne Schüttelfrost, Verwirrtheit oder Desorientierung auftreten, Puls- und/oder Atemfrequenz steigen, sollte man nicht abwarten, sondern sofort ins Krankenhaus oder den Notarzt rufen. Bei Sepsis entscheidet jede Stunde!

Ganz allmählich dringt das Thema zumindest etwas stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit vor – und auch in das der Politik. So hat der Gemeinsame Bundesausschuss im Juli vergangenen Jahres das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen beauftragt, ein Qualitätssicherungsverfahren zur Sepsis zu entwickeln, was wir vom Aktionsbündnis Patientensicherheit als ein gutes Zeichen ansehen. Allerdings wird mit ersten Ergebnissen frühestens 2023 zu rechnen sein. Und: Ein solches Verfahren kann bestenfalls die Versorgung bei Sepsis im Krankenhaus verbessern, aber nicht das generelle Erkennen von Sepsis. Viele glauben, dass Sepsis nur im Krankenhaus entsteht, aber das ist ein Irrtum: Über 50 Prozent der Fälle entstehen im präklinischen Bereich, zum Beispiel einer Alltagssituation. Das aufgeschürfte Knie, eine normale Infektion im Körper können eine Sepsis auslösen. Deshalb ist es so wichtig, dass es eine Kampagne zur Aufklärung der gesamten Bevölkerung gibt, und zwar jetzt, denn alle 7 Minuten stirbt ein Mensch in Deutschland an Sepsis, jeden Tag, auch ohne Corona.

Alle profitieren von mehr Bewusstsein über Sepsis

Kernpunkt unserer Idee ist, dass wir alle dazu motivieren wollen, mit ihren eigenen Kommunikationskanälen und Verbreitungsmöglichkeiten zur Kampagne beizutragen. Alle profitieren von mehr Bewusstsein über Sepsis – und alle haben Möglichkeiten, sich der Kampagne anzuschließen. Wir starten jetzt: Infos rund um Sepsis, zugeschnittene Materialien für die breite Bevölkerung oder auch speziell für medizinisches Personal findet man jetzt bereitgestellt auf www.deutschland-erkennt-sepsis.de.

Was würden wir uns wünschen? Wir brauchen jede Art von Unterstützung! Derzeit sind wir so verrückt, eine Kampagne mit einem winzigen Budget zu starten. Aber das Aktionsbündnis Patientensicherheit ist eine Netzwerkorganisation, bei dem es, wie der Name schon sagt, um Aktionen im Bündnis geht. Wenn alle unsere Mitglieder etwas machen, haben wir schon eine Menge erreicht. Zum Glück haben wir bereits einige Unterstützer, zum Beispiel den Verband der Ersatzkassen (vdek), mit dem wir den Social Media-Clip „Sepsis: Gönn‘ dem Tod ´ne Pause“ erstellt haben. Unsere Bitte um Unterstützung richtet sich also nicht nur an die Politik, sondern auch an alle Bürgerinnen und Bürger und Organisationen wie Unternehmen innerhalb und außerhalb des Gesundheitswesens.

Was uns aber auch wichtig ist: Sepsis ist ein wichtiges Thema der Patientensicherheit – aber bei weitem nicht das einzige. Wir würden uns wünschen, dass über das Thema Sepsis hinaus die Bedeutung von und die Unterstützung für Patientensicherheit deutlich zunehmen würde. Gerade die Pandemie hat gezeigt, dass Patientensicherheit kein Luxus oder „nice to have“ ist, sondern das Zielkriterium eines funktionierenden und menschenwürdigen Gesundheitswesens.

Dr. Ruth Hecker ist Vorsitzende des Aktionsbündnis Patientensicherheit und Chief Patient Safety Officer der Universitätsmedizin Essen. 

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