Wenn man sich mit den Themen Gesundheit, Medizin, Social Media und Internet beschäftigt, wird eines besonders deutlich: Neue Soziale Medien scheinen für viele Akteure im Gesundheitswesen und in der Versorgung weiterhin Neuland zu sein. Wir lehnen vorschnell Instrumente ab, die wir nicht verstehen, obwohl sie über Informationen verfügen, die wir gut gebrauchen könnten. Nicht selten überwiegt Skepsis gegenüber der Nutzung Sozialer Medien bei Themen wie Gesundheit und Medizin. Alles, was auf YouTube zu finden ist, ist – so das weitverbreitete Vorurteil – Zeitverschwendung, unkritisch, unglaubwürdig oder bietet keine ernsthaften Gesundheitsinformationen. Die Top-50-Liste der meistabonnierten YouTube-Kanäle in Deutschland zeigt keinen Anbieter, der sich speziell mit Gesundheit beschäftigt.
Wenn das Thema Gesundheit unter den Top 50 auftaucht, dann entweder als Aspekt von allgemeinem Lifestyle oder als oberflächlich politisierter Inhalt in Form einer Darstellung von Elementen des deutschen Gesundheitssystems (Sozialabgaben, Freier Markt, Zwei-Klassen-Medizin). Die Suche nach Krankenkassen unter dem Gesundheitsaspekt auf YouTube zeigt, dass weder die bekannten deutschen Krankenkassen noch andere Medizinkanäle unter den Top 200 zu finden sind. Während wenige Krankenkassen eine wiederkehrende Identifikationsfigur auf ihrem Kanal etablieren, ihre Videos in thematischen Schwerpunkten organisieren und eine klar definierte Zielgruppe ansprechen wollen, scheint die Mehrheit dieser Anbieter ihr mediales Sprachrohr noch recht stiefmütterlich zu behandeln.
Gesundheits-Infotainment für alle
Dabei kann die Plattform YouTube einen nicht unerheblichen Beitrag dazu leisten, Patienten einen problemlosen Zugang zu fachlicher Gesundheitsinformation zu gewährleisten. Dass diese Form von Infotainment auch für medizinische Themen auf YouTube infrage kommt, beweisen etwa Johannes Wimmer oder Stefan Waller (alias Dr. Heart). Mit ihren eigenen Kanälen, der Mitarbeit an Videoformaten einiger Krankenkassen und ihrer regelmäßigen Medienpräsenz gehören sie zu den Gesundheits-Influencern. Diese kommen dann zum Zuge, wenn es um die unterhaltsame und informative Darstellung von Krankheiten, Volksleiden und vorbeugender Maßnahmen geht. Denn verständlich erklären, ohne langweilig zu sein, können manche Gesundheits-YouTuber. So vertraut nicht nur eine große Krankenkasse auf die Wirkung des sympathischen Doktors von nebenan, sondern auch der NDR (Wissen ist die beste Medizin). Und weil der eigene Hausarzt seine bildungsadelige Ausdrucksweise nicht immer patientenfreundlich ausrichtet, zieht der YouTube-Effekt, weil dort Informationen verständlicher sind. Vielleicht ist dieser Effekt auch ein Anstoß für Ärzte, ihre Patientenbetreuung zu überdenken, zumindest aber die Qualität ihrer Kommunikation mit den Patienten wieder verstärkt in den Blick zu nehmen.
Wenn die Suche nach kurzweiliger, unterhaltender Information die Unsicherheit eher erhöht als verringert, werden Online-Informationen zum Problem. Es muss daher in erster Linie darum gehen, eine Beziehung zwischen Arzt und Patient zu etablieren, die Letzteren dazu befähigt, Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen. Erfolg oder Misserfolg einer medizinischen Behandlung hängen unter anderem auch davon ab, wie der Patient ärztliche Anweisungen versteht, umsetzt und nach der Behandlung weiterführt. Das Gespräch über diese Informationen ist wichtig und notwendig, da wir allein keinen angeborenen siebten Sinn für die Unterscheidung zwischen wahr und falsch haben.
Bei allen Vorteilen: Die Informationen auf YouTube sind mit Skepsis zu genießen. Doch gilt eben auch, dass bisherige Informationswege wie etablierte Fachzeitschriften sehr langsame Informationen transportieren. Soziale Medien können das ändern. Betroffene und Patienten finden sich in Foren zusammen, um sich auszutauschen oder gegenseitig zu unterstützen. Informationen auf YouTube haben einen großen Vorteil. Sie erfordern vom Nutzer ein Minimum an Verarbeitungsaufwand. Sowohl die Schnelligkeit der Informationsbeschaffung als auch die Leichtigkeit des Informationskonsums sind unschlagbar.
Wir müssen daher lernen, pragmatischer mit sozialen Medien umzugehen. Menschen tauschen sich nun mal immer intensiver über die sozialen Medien aus und informieren sich im Netz. Dieser Trend hat gewaltig zugenommen und alles, was wir daraus ableiten können, ist, dass diese Entwicklung sich weiter verstärken wird. Die Nutzung der sozialen Medien und des Internets wird weiter zunehmen. Und darauf haben medienkonservative und traditionell orientierte Kreise keine passende Nutzungsstrategie. Auch hier warten die Herausforderungen der Digitalisierung im Gesundheitswesen.
Thomas Brechtel ist Geschäftsführer der 37 Grad Analyse und Beratung GmbH in Köln. Seit über fünfzehn Jahren ist er als Projektleiter, Autor und Redakteur an verschiedenen Jahrespublikationen zum deutschen Gesundheitssystem beteiligt.