Jeden Tag gibt es in Kliniken, Arztpraxen und medizinischen Einrichtungen Missverständnisse. Ein Grund: Der oder die Patient:in versteht kein oder kaum Deutsch. Wenn Englisch nicht hilft und niemand in der Nähe ist, der zufällig die Sprache spricht, sind Ärzt:innen und medizinisches Personal mit ihrem Latein schnell am Ende. Hier gibt es im Akutfall eine klare Versorgungslücke im System. In der Notaufnahme (Triage), auf der Station, in der Praxis: Das sind Momente, in denen Sprachmittler:innen dringend gebraucht werden – und das spontan.
Besonderer Bedarf besteht bei nicht planbaren, meist kurzen Gesprächen. Doch die wenigen Minuten, die manchmal entscheidend für die richtige Diagnose sind, werden von keiner Stelle finanziert – nicht von den Krankenkassen und nicht von den Sozialsystemen. Und das, obwohl allen Seiten geholfen wäre, auch den behandelnden Ärzt:innen und dem medizinischen Personal. Zudem würde der Dienst die Versorgungsqualität verbessern.
Sprachmittlung kostet Geld, keine kostet mehr Geld
Warum wird an der Stelle gespart? Sind es Bedenken vor zusätzlichen Kosten im Gesundheitssystem? Schließlich sollten alle Patient:innen gleich behandelt werden, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft und auch Sprachkenntnissen. Zudem hat jede und jeder in Deutschland das Recht, im Vorfeld einer Behandlung umfassend über Art, Umfang und Risiken aufgeklärt zu werden. Dieses Recht ist in § 630e BGB abgesichert. Das Gespräch muss für die Patient:innen verständlich sein und bei Sprachbarrieren zwischen medizinischem Versorger und Patient:innen gedolmetscht werden.
Sprachmittlung zu finanzieren und flächendeckend einzuführen, macht zudem volkswirtschaftlich Sinn. Darauf weisen weltweit Studien hin. Allgemein behindert eine geringe Sprachkompetenz den Zugang zur Gesundheitsversorgung. So zeigt eine Analyse aus Schweden, dass 65 Prozent der Geflüchteten im Land eingeschränkte Sprachkompetenzen haben. Über ein Drittel von ihnen verzögert infolgedessen den Gang in die Arztpraxis oder Klinik. Krankheiten werden verschleppt, verschlimmern sich, Therapieaussichten werden geschmälert. Die Folge: weitere und teurere Behandlungen. Eine aktuelle Studie der renommierten Mayo Clinic in den USA vergleicht die Kosten für kritisch kranke Patient:innen mit eingeschränkten Englischkenntnissen gegenüber Patient:innen mit guten Englischkenntnissen. Das Ergebnis: signifikant höhere Kosten in der Behandlung in der ersten Gruppe.
Ein wesentlicher Punkt bleibt zudem, gerade in der Gesundheitsversorgung, bis heute oft unbeachtet: die Opportunitätskosten. Darauf hat bereits 2011 ein Forscherteam der medizinischen Fakultät an der Universität Wisconsin, USA, hingewiesen. Dazu gehören zum Beispiel andere Krankenhausmitarbeiter:innen, die jenseits ihrer eigentlichen Funktion als Ad-hoc-Dolmetscher:innen hinzugezogen werden und dann woanders fehlen. Durch Misskommunikation passieren medizinische Fehler oder Erkrankungen chronifizieren sich. All das müsste theoretisch konsequent gegen die Kosten für Sprachmittlung gerechnet werden.
Die Zeit drängt. Denn die Zahl derer, die über nur geringe Deutschkenntnisse verfügen, nimmt zu. Umso wichtiger ist es, dass Versorger:innen und Patient:innen nicht allein gelassen werden, sondern die Sprachmittlung auf ein sicheres und solides Fundament gestellt wird. Dazu gehört die Aufnahme der Sprachmittlung als Regelleistung, zum Beispiel in der GKV oder im Sozialsystem.
Versorgungslücken schließen
Selbstverständlich wäre es wünschenswert, dass alle bestmöglich ausgebildete Dolmetscher:innen an die Seite gestellt bekommen. In einer Meta-Studie der Universität Aarhus, Dänemark, zeigen die Forschenden auf, dass die besten Ergebnisse für Patient:innen durch hochqualifizierte Dolmetscher:innen erzielt werden. Doch es gibt gar nicht so viele Hoch- und Höchstqualifizierte, um den nicht-planbaren Bedarf ad hoc zu decken.
In Deutschland wird diese Lücke von engagierten Menschen im Ehrenamt geschlossen, zum Beispiel über Triaphon, die mehrsprachige, geschulte Sprachmittler:innen rund um die Uhr via Telefon zuschalten. Der Blick in die Schweiz, wo mehrere tausend Menschen in Sprachmittler-Pools organisiert sind, zeigt: Sprachmittlung funktioniert auch, wenn nicht alle auf dem gleichen Niveau dolmetschen können. Diese Beobachtung wird durch ein weiteres Ergebnis der Aarhus-Studie gestützt: Jedwede Form von Sprachmittlung ist besser als keine. Selbstverständlich sollen vereidigte Dolmetschende vor Ort zum Einsatz kommen, wenn es um komplexe Gesprächsinhalte geht und die Termine vorab planbar sind (zum Beispiel Psychotherapie, elektive Aufklärungsgespräche). Das medizinische Personal sollte situativ entscheiden können, welche Dolmetschlösung es wählt.
Umkehr der Debatte dringend erforderlich
Die Überwindung von Sprachbarrieren im Gesundheitswesen sollte eine gesellschaftliche Priorität sein, um Komplikationen zu vermeiden, die die Sicherheit der Patient:innen und die Qualität der Versorgung beeinträchtigen. Aus ethischen, rechtlichen und finanziellen Gründen ist die systematische Finanzierung durch den Staat oder die Krankenversicherungen unumgänglich. Mehr noch: Es ist dringend an der Zeit, endlich eine Umkehr in der Debatte einzuleiten, eine kopernikanische Wende in der Sprachmittlung. Die Frage sollte nicht mehr lauten, ob und wie Sprachmittlung in jedweder Form finanziert sein sollte, sondern wie es sein kann, dass dies nicht schon längst der Fall ist.
Marthe Hammer ist Geschäftsführerin von Triaphon, einem gemeinnützigen Unternehmen, das Krankenhäusern und medizinischen Einrichtungen rund um die Uhr eine Dolmetsch-Hotline für die medizinische Versorgung anbietet.