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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Stiller Killer HPV

Marisol Touraine von Unitaid und FDP-Politiker Andrew Ullmann
Marisol Touraine von Unitaid und FDP-Politiker Andrew Ullmann Foto: promo

Alle zwei Minuten stirbt eine Frau an Gebärmutterhalskrebs, dabei könnte eine Impfung beide Geschlechter vor HPV schützen. Wie Andrew Ullmann (FDP) und die ehemalige französische Gesundheitsministerin Marisol Touraine schreiben, heißt es neben der Vorbeugung auch die Diagnose zu verbessern.

von Andrew Ullmann und Marisol Touraine

veröffentlicht am 14.07.2023

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Die Krebsgefahr zu reduzieren und es nicht zu tun, ist unmenschlich. Mit der Impfung gegen das Humane Papillomavirus (HPV) und der Frühdiagnostik von Gebärmutterhalskrebs bietet sich eine einzigartige Möglichkeit, potenziell den Kampf gegen Gebärmutterhalskrebs zu gewinnen. Die Tragik daran ist, dass wir kaum darüber aufklären und nur wenigen die Bedeutung der Impfung und der Frühdiagnostik bewusst ist. Auf diese Weise hat sich das HP-Virus zum stillen Killer entwickelt.  

Etwa 80 Prozent aller Frauen und Männer infizieren sich im Laufe ihres Lebens mit genitalen HP-Viren. Diese verursachen weltweit etwa 5 Prozent aller Krebserkrankungen. Alle zwei Minuten stirbt eine Frau an Gebärmutterhalskrebs. Das bedeutet, alle zwei Minuten verlieren Familien ihre Töchter, Mütter und Ehefrauen. Das macht Gebärmutterhalskrebs zur vierthäufigsten Krebsart bei Frauen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass HPV auch bei Männern gesundheitliche Probleme verursachen kann. Es kann zu genitalen Warzen führen und in einigen Fällen das Risiko von Krebserkrankungen wie Analkrebs, Peniskrebs und Oropharynxkarzinom erhöhen.

Durch die Impfung von Frauen reduzieren wir die Verbreitung des HPV und minimieren somit auch das Risiko von HPV-assoziierten Erkrankungen bei Männern. Zudem trägt die Bekämpfung von Gebärmutterhalskrebs zur Förderung der allgemeinen sexuellen Gesundheit bei. Die Aufklärung und Impfung von Frauen schafft eine Kultur des Schutzes und der Prävention von sexuell übertragbaren Infektionen. Dies trägt dazu bei, das Bewusstsein für sexuelle Gesundheit, die Geschlechtergerechtigkeit und das Wohlbefinden aller Menschen zu fördern. 

Kritik an Fokus auf Frauen

Unnötiges Leid von Millionen von Menschen könnte durch Impfung und besseres Screening verhindert werden. Daher hat die WHO für 2030 ambitionierte Ziele gesetzt: Impfung von 90 Prozent der Mädchen, HPV-Vorsorgeuntersuchung für 70 Prozent der Frauen im Alter von 35 und 45 Jahren und die Behandlung von 90 Prozent der Patientinnen mit Gebärmuttererkrankung. Ein großer Kritikpunkt dabei ist allerdings der alleinige Fokus auf die Frauen und Mädchen.  Daher wird in Deutschland durch die Ständige Impfkommission (Stiko) eine HPV-Impfung auch bei Jungen und jungen Männern empfohlen.

In Deutschland sind unter den 15-Jährigen nur 54 Prozent Mädchen und sogar nur 27 Prozent der Jungen vollständig gegen HPV geimpft. Der Aufholbedarf ist also beachtlich, wenn man das WHO-Ziel erreichen möchte. Der Blick auf andere Regionen der Welt zeigt allerdings ein noch viel düsteres Bild: Weltweit sind nur etwa 15 Prozent der Mädchen und vier Prozent der Jungen vollständig gegen HPV geimpft. In der sich entwickelnden Welt sind es sogar weniger als drei Prozent. Das Impfziel der WHO liegt also in weiter Ferne.

Leider gibt es eine weitere Tragik beim Gebärmutterhalskrebs. Denn auch die Diagnose von Krebsvorstufen oder frühe bösartige Stadien ist möglich, wird aber zu selten durchgeführt. Auch sie ist ein unabdingbarer Baustein zur Bekämpfung von vermeidbarem Leid und Todesfällen. Denn je früher eine Therapie zum Einsatz kommt, desto geringer ist das Risiko einer Infektion weiterer Menschen und des Fortschreitens der Erkrankung bis hin zum Tod.  

Diagnose-Kit zum Selbsteinsatz

Darauf setzt Unitaid, eine Partnerschaft, die sich die Förderung von Frauengesundheit und Innovation zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs zur Aufgabe gemacht hat. Das gelingt maßgeblich durch enge Zusammenarbeit mit Implementationspartnern vor Ort in Afrika und Asien. Dort ist die Krankheitslast am höchsten. Rund 80 Prozent der Fälle von Gebärmutterhalskrebs treffen Frauen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. In 21 von 48 Ländern Afrikas südlich der Sahara ist Gebärmutterhalskrebs die häufigste krebsbedingte Todesursache.  Das liegt zum einen an der niedrigen Impfrate und zum anderen am Mangel landesweiter Krebsvorsorge- und Behandlungsangeboten.

Daher wurde im Rahmen des Unitaid-Programmes ein skalierbares Präventionsmodell für ressourcenärmere Länder entwickelt, das unter anderem die Schulung von Gesundheitsfachkräften sowie die Ausweitung von Vorsorgeuntersuchungen beinhaltet. Einen enormen Beitrag zur Früherkennung kann dabei der Einsatz von innovativen Diagnose-Kits für die selbstständige Durchführung eines HPV-Abstriches leisten. Denn so werden nicht nur das lokale Gesundheitssystem und Gesundheitspersonal entlastet, sondern explizit unabhängig vom oftmals schambehafteten Arztbesuch die Aufklärung und Selbstwirksamkeit von Mädchen und Frauen nachhaltig gefördert.

Hier öffnet sich sehr konkret die Tür für eine geschlechtertransformative Entwicklungspolitik, die heranwachsende Mädchen und Frauen durch integrierte Gesundheitsdienste erreicht und somit Krankheit, Leid, Arbeitsplatzverlust, Bildungsnachteile und Armut verhindert. Das macht Gesellschaften insgesamt stärker, fördert Wachstum und Wohlstand. 

„Die Anstrengungen lohnen sich“

Wir als politische Akteure müssen die historische Chance ergreifen, eine häufige Krebsform zu minimieren. Das ist ehrgeizig, aber machbar. Alle Instrumente sind vorhanden. Nun gilt es, diese zu nutzen und allen Menschen weltweit zugänglich zu machen. Die Anstrengung lohnt sich allemal.

Andrew Ullmann ist gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und Vorsitzender des Unterausschusses Globale Gesundheit.

Die ehemalige Gesundheitsministerin Frankreichs, Marisol Touraine, ist Board Chair von Unitaid.

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