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Standpunkte Verschärfung der Entscheidungslösung nötig

Lars Castellucci ist stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestages sowie Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion
Lars Castellucci ist stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestages sowie Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion Foto: DBT/Stella von Saldern

Zwei Jahre liegt die Entscheidung des Deutschen Bundestags zur Organspende nun zurück. Ein guter Zeitpunkt, um eine Zwischenbilanz zu ziehen und Vorschläge zu unterbreiten, wie die Zahl der Organspenden effektiv erhöht werden kann.

von Lars Castellucci

veröffentlicht am 29.02.2024

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Über 9000 Menschen warteten 2019 in Deutschland auf ein Spenderorgan. Gut jeder Zehnte verstarb, weil akut keines zur Verfügung stand. Damit war der dringende Handlungsbedarf für den Deutschen Bundestag gegeben. Zwei Anträge standen Anfang 2020 zur Debatte, die aus den Reihen der Abgeordneten eingebracht worden sind – mit dem Ziel, die Zahl der Organspenden zu erhöhen. Zum einen der Gesetzentwurf zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende und zum anderen der Entwurf zur Regelung der doppelten Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz. In dritter Beratung entschied sich die große Mehrheit der Abgeordneten für die sogenannte Entscheidungslösung.

Damit sollte ein bundesweites Online-Register aufgebaut werden, in dem unkompliziert die Entscheidung zur Organspende eingetragen werden kann. Außerdem sollten Erklärungen zu einer Organ- und Gewebespende auch in Ausweisstellen vorgenommen werden können. Und schließlich sollten Hausärzte ihre Patienten regelmäßig beraten und zur Eintragung in das Online-Register ermutigen. Der unterlegene Gesetzentwurf zur Regelung der doppelten Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz sah hingegen vor, dass alle potenzielle Organspender werden, die zu Lebzeiten keinen Widerspruch erklärt haben. Für beide gab es gute Argumente. Ich selbst habe gegen die doppelte Widerspruchslösung und für die Weiterentwicklung des Modells der Entscheidungslösung gestimmt.

Schweigen bedeutet nicht automatisch Zustimmung

Das wichtigste Argument war für mich die Selbstbestimmung. Schweigen bedeutet auch in viel weniger existenziellen Feldern nicht einfach Zustimmung, nehmen wir nur den Datenschutz. Ausgerechnet da, wo es um die Unversehrtheit des eigenen Körpers geht, soll dieser Grundsatz umgedreht werden? Ich denke nein.

Wir sind als Menschen aber nicht nur selbstbestimmte, sondern auch soziale Wesen, also aufeinander angewiesen. Entscheidend ist deshalb, das Selbstbestimmungsrecht zu achten und gleichzeitig alles zu tun, damit das Aufkommen an Spenderorganen steigt. Es macht keinen Sinn, eine Widerspruchsregelung hierzulande abzulehnen, dann aber Spenderorgane aus Ländern mit Widerspruchsregelung zu importieren. Gerade eine Widerspruchsregelung kann jedoch einen gegenteiligen Effekt haben: Anstatt mich mit diesen Fragen zu beschäftigen, widerspreche ich eben und bin das Thema dann los.

Wir sammeln aber im Laufe unseres Lebens Erfahrungen und stellen uns manchen Fragen erst mit der Zeit. Aus meiner Sicht macht es daher Sinn, den Organspendeausweis nicht nur einmal mit der Post zugestellt zu bekommen, sondern regelmäßig aktiv gefragt zu werden, ob ich spenden will oder nicht.

Bessere Organisation in den Krankenhäusern

Vor allem lassen sich die Zahlen erhöhen durch eine bessere Organisation in den Krankenhäusern, die wir bereits beschlossen haben. Unter anderem geht es um Personal, das genau für diese Frage ausgebildet und freigestellt ist, um Betroffene und ihre Angehörigen zu beraten und begleiten. Wesentlicher Bestandteil des neuen Gesetzes ist, dass jedem ab 16 Jahren, der einen Personalausweis oder Reisepass beantragt oder verlängert, bei den Bürgerämtern ein Organspendeausweis und Informationsmaterial ausgehändigt wird. Sich beim Behördengang mit der eigenen Organspende konfrontiert zu sehen, befremdet nach allen Erfahrungen allerdings eher, als dass es die eigene Entscheidung befördert.

Das digitale Organspenderegister, in dem man sich direkt beim Bürgeramt oder später zu Hause eintragen kann, soll erst in diesem Frühjahr eingerichtet werden und steht den Bürgerämtern noch gar nicht zur Verfügung. Ein Monitoring, wie gut Menschen tatsächlich erreicht werden, gibt es bisher nicht.

Das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende trat schließlich vor zwei Jahren, am 1. März 2022 in Kraft. Was hat sich in dieser Zeit getan? Tatsächlich warten nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation immer noch mehr als 8400 Menschen in Deutschland auf ein Spenderorgan. Allein 2022 starben 743 Menschen, da sie nicht rechtzeitig ein Spenderorgan erhielten. Coronabedingt war die Zahl der Organspenden im Jahr 2022 auf 2795 eingebrochen. 2023 stieg die Zahl auf 2985, was dem Niveau vor der Coronapandemie entspricht.

Handlungsbedarf ist unverändert

Auch drei Jahre nach der Reform von 2020 und den verstärkten Aufklärungsbemühungen stagniert die Zahl der Organspender aber auf niedrigem Niveau. Die Dramatik für die betroffenen schwerkranken Menschen auf der Warteliste ist offensichtlich. Dabei ist die Zahl der Menschen, die zu einer Organspende bereit sind, in letzter Zeit tendenziell gestiegen. Nach einer Umfrage etwa der Barmer Krankenkasse aus dem vergangenen Jahr erklärten 39 Prozent, dass sie zur Organspende nach ihrem Tod bereit wären. 2022 lag dieser Wert noch bei 34 Prozent.

Nicht gestiegen indes ist laut dieser Umfrage der Anteil der Versicherten mit einem Organspendeausweis. 39 Prozent der Befragten gaben an, einen Organspendeausweis zu besitzen. Dringender Handlungsbedarf besteht also unverändert. Ende 2023 sprach sich der Bundesrat für eine Reform der Organspende in Deutschland aus. Er appellierte an die Bundesregierung, das Transplantationsgesetz zu ändern und nun doch eine Widerspruchslösung als Grundlage für die Zulässigkeit der Organentnahme im Transplantationsgesetz einzuführen.

Die Lücke zwischen Bereitschaft und tatsächlicher Organspende müssen wir schließen. Ich habe damals die geltende Regelung unterstützt, aber auch gesagt, dass ich beobachten werde, ob sie fruchtet. Natürlich hat uns die Coronapandemie zurückgeworfen, diese liegt nun aber auch wieder einige Zeit zurück. So wie es ist, kann es nicht bleiben. Das Thema muss zurück auf die politische Tagesordnung. Wir müssen die Verbindlichkeit erhöhen.

Entscheidungslösung verschärfen

Ich plädiere für eine Verschärfung der derzeit geltenden Entscheidungslösung, in Form einer verpflichtenden Entscheidungslösung: Nach beispielsweise dreimaliger Information oder Beratung wäre es jedem zumutbar, für sich eine Entscheidung zu treffen. Auch sollten die technischen Voraussetzungen geschaffen werden, um die persönliche rechtskonforme elektronische Organspendeerklärung auf der elektronischen Gesundheitskarte speichern zu können.

Das Gleiche gilt für Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten. Bei der Speicherung müssten auch Widersprüche angezeigt werden, wenn beispielsweise in der Patientenverfügung verfügt wird, im Sterbeprozess nicht mehr an Apparate angeschlossen zu werden und potenzielle Organe für die Transplantation dadurch gar nicht mehr zur Verfügung stehen. Bislang haben gesetzlich Krankenversicherte nur die Möglichkeit, Hinweise auf das Vorhandensein von Erklärungen zur Organ- und Gewebespende auf der Gesundheitskarte zu speichern. Mein Kollege Stephan Pilsinger (CSU) hat höhere Krankenkassenbeiträge für diejenigen vorgeschlagen, die keine Entscheidung bezüglich der Organspende treffen und sich nicht in das Onlineregister eintragen wollen. Wir sollten überlegen, welche positiven Anreize wir für Organspenden setzen können. Die Bereitschaft ist da, sie kann aber noch gesteigert und vor allem muss sie realisiert werden.

Ich wünsche mir, dass wir die Diskussion wieder aufnehmen, im Parlament und auch in der Bevölkerung. Wir leben nicht nur für uns allein.

Professor Lars Castellucci (SPD) ist stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestages sowie Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion.

Korrektur: In einer ersten Version des Textes war vom Vorschlag des CSU-Abgeordneten Stephan Pilsinger die Rede, in dem höhere Krankenkassenbeiträge für GKV-Versicherte gefordert würden, die sich gegen eine Organspende entscheiden. Der Vorschlag war damit falsch wiedergegeben. Die Stelle wurde vom Standpunktautoren korrigiert.

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