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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Viel versprochen, nichts passiert

Thomas Moormann ist Leiter des Teams Gesundheit & Pflege im Verbraucherzentrale Bundesverband
Thomas Moormann ist Leiter des Teams Gesundheit & Pflege im Verbraucherzentrale Bundesverband Foto: Gert Baumbach / vzbv

Das Patientenrechtegesetz soll Patient:innen schützen – etwa bei Behandlungsfehlern oder vor aufdringlichen Angeboten für Selbstzahlerleistungen. Echte Verbesserungen brachte das mittlerweile zehn Jahre alte Gesetz allerdings nicht. Das Bundesgesundheitsministerium hatte daher angekündigt, das Gesetz noch im Jahr 2023 zu überarbeiten. Eckpunkte oder gar ein Gesetzentwurf lassen allerdings auf sich warten.

von Thomas Moormann

veröffentlicht am 12.12.2023

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Es sollte ein gutes Jahr für die Rechte von Patient:innen werden. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) lobte das Jahr 2023 öffentlichkeitswirksam zum „Jahr der Patientenrechte“ aus. Mit einem Festakt im Februar 2023 feierte das BMG das 10-jährige Jubiläum des Patientenrechtegesetzes – verbunden mit dem Versprechen, dieses Gesetz „in Kürze“ weiterzuentwickeln. Doch statt wie angekündigt Eckpunkte und konkrete Gesetzgebungsvorschläge vorzulegen, ist es ist still geworden um das Patientenrechtegesetz. Seit dem Festakt im Februar ist scheinbar nichts passiert.

Das Patientenrechtegesetz aus dem Jahr 2013 bündelt alle Rechte und Pflichten, die mit einer ärztlichen Behandlung zusammenhängen. Es hatte das Ziel, die Rechte von Patient:innen bei Behandlungsfehlern zu stärken und sie vor aufdringlichen Angeboten für Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), auch bekannt als Selbstzahlerleistungen, zu schützen. Denn Selbstzahlerleistungen bringen vor allem Geld ins Portemonnaie der Ärzt:innen und selten einen echten Nutzen für Patient:innen. Teilweise können sie sogar schädlich sein. Trotzdem machen die Arztpraxen ungebremst hohe Umsätze mit den Selbstzahlerleistungen.

Ein weiteres Problem: Laut des IGeL-Reports kennt die überwiegende Mehrheit der Patient:innen ihre Rechte bei Selbstzahlerleistungen nicht. Dass es durch das Patientenrechtegesetz verbindliche Regeln gibt, wie Ärzt:innen über die Leistungen informieren und aufklären müssen, war fast drei Viertel der Befragten nicht bekannt. Beispielsweise müssen Ärzt:innen ihre Patient:innen vorab schriftlich über die Kosten der Leistung informieren. Das war aber laut des Reports nur bei 57 Prozent der Befragten der Fall. Die Hälfte gab außerdem an, dass die IGeL positiver als die Kassenleistung dargestellt worden ist. Auch gab es Rückmeldungen, dass Befragte bei der Entscheidung für oder gegen eine IGeL zeitlich unter Druck gesetzt worden sind oder dass ihre Behandlung mit der Kassenleistung vom Kauf der IGeL abhängig gemacht worden ist. Das verletzt Patientenrechte in eklatanter Weise.

Angebot als private Leistung 

Einige Arztpraxen gehen offenbar noch einen Schritt weiter: Sie bieten Leistungen zur Früherkennung, die zum Repertoire der gesetzlichen Kassen gehören, als Selbstzahlerleistungen an und rechnen diese privat ab. Ein prominentes Beispiel ist das Hautkrebsscreening. Gesetzlich Versicherte ab 35 Jahren haben alle zwei Jahre Anspruch auf diese Krebsfrüherkennung. Diese Leistung können Haus- und Hautärzte erbringen und gegenüber den Krankenkassen abrechnen, wenn sie über die notwendige Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung verfügen. Mit der Genehmigung weisen Ärzt:innen nach, dass sie qualifiziert sind, das Hautscreening durchzuführen.

Die Verbraucherzentralen berichten aus ihren Beratungen, dass viele Ärzt:innen auf diese Genehmigung mittlerweile verzichten und sich die Untersuchung von ihren Patient:innen privat bezahlen lassen. Möglicherweise eine Folge von Aufrufen wie dem der Landesvertretung des Berufsverbandes Deutscher Dermatologen (BVDD) aus Baden-Württemberg Anfang des Jahres 2020. Der Verband forderte seine Mitglieder auf, ihre Genehmigungen für die Hautkrebsfrüherkennung zurückzugeben und die Leistung nur noch als IGeL anzubieten – aus Unzufriedenheit darüber, wie die Leistung finanziell entlohnt wird. Krebsfrüherkennung also nur noch für die Menschen, die es sich leisten können.

Das Beispiel des Hautkrebsscreenings ist leider kein Einzelfall. Ein Marktcheck der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen Anfang 2022 hatte herausgefunden, dass gesetzlich Versicherten die Knochendichtemessung oftmals als Kassenleistung verwehrt wird, obwohl sie bei einem erhöhten Osteoporoserisiko seit 2013 rechtlichen Anspruch darauf haben. Stattdessen wird die Untersuchung als IGeL angeboten. Und scheinbar machen Selbstzahlerangebote der Vertragsärzte selbst vor Corona-Impfungen nicht Halt. Den vzbv erreichten Berichte von Patient:innen aus Risikogruppen, dass Ärzt:innen ihnen die neuen Corona-Impfungen nur als IGeL-Leistung anboten. Ein starker Widerspruch zu den jüngsten Appellen aus der Ärzteschaft, dass sich wieder mehr Menschen – insbesondere aus Risikogruppen – auch in diesem Jahr gegen Corona impfen lassen sollten.

Überarbeitung des Gesetzes notwendig

Das derzeitige Patientenrechtegesetz schützt Verbraucher:innen nicht ausreichend vor unrechtmäßigem Verhalten bei Selbstzahlerleistungen. Darum ist die Überarbeitung des Gesetzes dringend notwendig. Um Patient:innen tatsächlich zu schützen, bedarf es aus Sicht des vzbv weitreichende Änderungen. Bei Selbstzahlerleistungen sollten Ärzt:innen verpflichtet werden, standardisierte Informationsblätter für Patient:innen auszuhändigen. Diese müssen unter anderem über die Wirksamkeit der angebotenen Leistung, deren potenziellen Nutzen und die Risiken sowie zu möglichen Alternativen neutral informieren. Einige Ärzt:innen lassen sich von ihren Patient:innen Verzichtsformulare unterschreiben, wenn sie die angebotene Selbstzahlerleistung ablehnen. Diese Verzichtsformulare müssen nach Ansicht des vzbv verboten werden. Sie schüren unnötige Ängste bei den Patient:innen und setzen sie unter Druck, die Leistung doch in Anspruch zu nehmen.

Auch in anderen Punkten braucht es mehr Verbraucherfreundlichkeit im Patientenrechtegesetz. Stichwort Behandlungsfehler: Der Gesetzgeber muss die Beweislast bei Behandlungsfehlern gerechter verteilen. Patient:innen sollten grundsätzlich nur nachweisen müssen, dass ein erlittener Schaden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf einen erfolgten Behandlungsfehler zurückgeht. Nach derzeitiger Gesetzeslage muss dies zu 100 Prozent abgesichert werden. Für Betroffene ist dieser Nachweis so gut wie unmöglich. Die Folge: Sie kommen nicht zu ihrem Recht.

Härtefall- und Entschädigungsfonds nötig

Ohnehin ist es für Patient:innen oftmals ein langwieriger Weg, ihr Recht geltend zu machen. Der vzbv fordert daher einen Härtefall- und Entschädigungsfonds für Betroffene. Ähnlich wie in Österreich sollten Opfer von Behandlungsfehlern in bestimmten Fällen zunächst durch diesen Fonds entschädigt werden, bis sie ihren Schadenersatz gerichtlich geltend machen können. Darüber hinaus benötigen betroffene Patient:innen psychosoziale und organisatorische Unterstützung, wenn es darum geht, ihre Ansprüche durchzusetzen.

Und zu guter Letzt: Die maßgeblichen Patientenorganisationen, zu denen der vzbv gehört, brauchen mehr Rechte und mehr Unterstützung für ihre Aufgaben als Patientenvertreter in der gemeinsamen Selbstverwaltung des Gesundheitswesens. Nur so können sie bereits vorab ungünstige Regelungen für Patient:innen verhindern.

Wenn es der Gesetzgeber ernst meint mit dem Schutz der Patient:innen, müssen den Worten nun Taten folgen. Die Bundesregierung muss ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einhalten und die Position der Patient:innen im Gesundheitssystem deutlich stärken. Denn: Wer recht hat, muss auch Recht bekommen.

Thomas Moormann ist Leiter des Teams Gesundheit & Pflege im Verbraucherzentrale Bundesverband.

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