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Standpunkte Was ist uns gute medizinische Versorgung wert?

Johannes Wagner, Grünen-Abgeordneter und Mediziner
Johannes Wagner, Grünen-Abgeordneter und Mediziner Foto: privat

Ausgebrannte Ärzte, gefährdete Patienten, ein falsches Finanzierungssystem: Die Krankenhäuser in Deutschland benötigen weitreichende Reformen. Helfen könnte zum Beispiel eine Vorhalte-Finanzierung und ein fester Arzt-Patienten-Schlüssel, meint der Grünen-Abgeordnete Johannes Wagner. Dass Berliner Mediziner heute zum Streik aufrufen, damit politisch endlich Tempo gemacht wird, kann er als ehemaliger Klinikarzt gut verstehen.

von Johannes Wagner

veröffentlicht am 05.10.2022

aktualisiert am 03.01.2023

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Die Berliner Ärzt:innen sind erschöpft und wollen nicht mehr weiter über ihre Belastungsgrenzen gehen. Dass sie für Mittwoch zum Streik aufrufen, kann ich gut nachvollziehen. Bis zur Bundestagswahl vor einem Jahr habe ich selber noch als Kinderarzt in Weiterbildung an einem Krankenhaus gearbeitet. Dass die Zustände an deutschen Kliniken seit langem dramatisch sind, zeigt auch eine aktuelle Mitgliederbefragung des Marburger Bundes: Ein Viertel der in Krankenhäusern angestellten Ärzt:innen denkt derzeit über einen Berufswechsel nach. Als Begründung nennen sie die steigende Arbeitsbelastung, eine unzureichende Personalausstattung und fehlende Wertschätzung für die ärztliche Arbeit – alles eindeutige Symptome eines kranken Systems.

Doch nicht nur das Personal bekommt die Auswirkungen in unseren Kliniken zu spüren, auch die Patient:innen. Erst diese Woche etwa hat Orkan Özdemir, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, seinen Frust über einen Besuch in einer Berliner Kinderrettungsstelle auf Twitter bekannt gemacht. Die dort geschilderte Überlastung des Personals deckt sich mit den Brandbriefen der Initiative der Berliner Kinderkliniken aus den letzten Monaten. Assistenz-, Fach- und einige Oberärzt:innen warnen darin, dass die medizinische Versorgung in den nächsten Infektwellen nicht gewährleistet sein wird, wenn es keine einschneidenden Veränderungen gibt. Sie sehen die Gesundheit ihrer Patient:innen in Gefahr.

Helfen könnte ein fester Arzt-Patienten-Schlüssel

Solche Schilderungen können niemanden kalt lassen. Ich habe selbst erlebt, wie es sich anfühlt, wenn man als Arzt in einem Krankenhaus für die Gesundheit seiner Patient:innen verantwortlich ist und dabei nicht allen Anforderungen gerecht werden kann. Es frustriert, wenn ich meinen Patient:innen die bestmögliche Betreuung zukommen lassen möchte, das aktuelle System mir diese Möglichkeit aber nicht bietet.

Die Initiative der Berliner Kinderkliniken fordert daher einen festen „Arzt-Patienten-Schlüssel“. Meiner Ansicht nach wäre dieser aber nicht nur für die Kinder- und Jugendstationen ein geeignetes Mittel, sondern auch für das gesamte Krankenhaus. Für die Pflege gibt es einen solchen Schlüssel bereits in Form von Pflegepersonaluntergrenzen, die die Qualität in den Kliniken sichern sollen. Qualität hängt aber auch an Mediziner:innen, die Zeit haben, sich um ihre Patient:innen zu kümmern.

Angeboten wird oft nur, was sich rechnet

Während dem sicher viele beipflichten würden, hakt es dabei aber, wie so oft, auch noch am Geld. Bei der Krankenhausfinanzierung muss noch einiges verbessert werden. Erstens müssen die Länder endlich ihrer Verpflichtung nachkommen und den Kliniken ausreichend Mittel zur Finanzierung der Investitionskosten zur Verfügung stellen. Aktuell wird das zu sehr vernachlässigt. Die Auswirkungen sehen wir heute schon überall: Kliniken müssen notwendige Investitionen querfinanzieren und haben deswegen zu wenig Mittel für Personal.

Ich will es mir aber nicht bequem machen und allein auf Fehler in der Landespolitik verweisen. Auch auf Bundesebene ist der Reformbedarf groß. Das System der Krankenhausfinanzierung über Fallpauschalen, das 2003 eingeführt wurde, legt den Fokus zu wenig auf die tatsächlichen Bedarfe der Patient:innen und liefert zu viele ökonomische Fehlanreize. So wird bisweilen nicht angeboten, was gebraucht wird, sondern was sich am meisten rechnet. Teilweise sogar zu Lasten der Patient:innen.

Auch das Vorhalten von Personal muss bezahlt werden

Gerade in der Kinderheilkunde ist eine ausschließliche Finanzierung über Fallpauschalen wegen der stark schwankenden Belegungszahlen zwischen Sommer und Winter nicht sinnvoll. Es wäre Unsinn, für jede Krankheitswelle neue Pflegekräfte und Ärzt:innen einzustellen und ihnen danach wieder zu kündigen. Das aktuelle Finanzierungssystem, das immer nur eine geleistete Behandlung vergütet, trägt dem Vorhalten von personellen Ressourcen nicht Rechnung.

Im Koalitionsvertrag haben wir daher festgeschrieben, eine sogenannte Vorhaltekosten-Finanzierung einzuführen. Damit werden wir die Vergütung von Kliniken grundlegend verändern und sie somit spürbar entlasten.

Die Ärzt:innen der Charité, die Initiative der Berliner Kinderkliniken und Patient:innen machen es deutlich: Die Zustände in unseren Kliniken sind dramatisch. Wir müssen weitreichende Reformen angehen – und zwar jetzt. Wir dürfen keine weitere Zeit verlieren, sonst verlieren wir unsere Ärzt:innen.

Johannes Wagner (31) ist Bundestagsabgeordneter der Grünen und Mitglied des Gesundheitsausschusses. Vor seinem Einzug ins Parlament arbeitete er im Regiomed-Verbundskrankenhaus Coburg als Arzt in der Kinderklinik.

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