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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Wenn der Patient nicht ins System passt

Friedrich-Wilhelm Mehrhoff, Geschäftsführer Deutsche Parkinson-Vereinigung
Friedrich-Wilhelm Mehrhoff, Geschäftsführer Deutsche Parkinson-Vereinigung

Parkinson-Patienten sind auf eine ungestörte Medikation angewiesen, damit zumindest die Symptome ihrer unheilbaren und stetig fortschreitenden Erkrankung gelindert werden können. In der Praxis wird dieses Erfordernis jedoch systematisch unterminiert, meint Friedrich-Wilhelm Mehrhoff, Geschäftsführer der Deutschen Parkinson-Vereinigung.

von Friedrich-Wilhelm Mehrhoff

veröffentlicht am 09.04.2020

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„Schüttellähmung“ war der Begriff, mit dem das Bild des Morbus Parkinson früher beschrieben wurde. Tatsächlich leiden die Betroffenen unter einer Vielzahl von Störungen – unwillkürliche oder verlangsamte Bewegungen bis hin zur Erstarrung, Schmerzen, Depressionen, aber auch Inkontinenz und eine gestörte Magen-Darm-Funktion gehören dazu. Jeder Verlauf ist unterschiedlich. Gemeinsam schlagen den Betroffenen Unverständnis und Ungeduld ihrer Mitmenschen entgegen. Viele ziehen sich aus Scham zurück.  

Mangels einer Heilungschance besteht die Behandlung in der Symptomkontrolle, und das ist schwierig genug: Parkinson-Patienten benötigen eine individuelle Kombination vieler verschiedener Wirkstoffe. Manchmal sind es 15, die pünktlich zu verschiedenen Zeiten eingenommen werden müssen. Wichtig ist, diese Kombination solange beizubehalten, bis eine neue Kombination erforderlich wird. Im Verlauf der Erkrankung erfolgen medikamentöse Neueinstellungen auf neurologischen Stationen, wo zwei Wochen lang ausprobiert, beobachtet und geändert wird, bis die neue Kombination wieder passt. Die Abstände zwischen den Neueinstellungen werden im Verlauf der Krankheit immer kürzer. 

„Wirkstoffgleich“ ist nicht „baugleich“ 

Glücklicherweise gibt es heute viele verschiedene Parkinson-Medikamente, die inzwischen fast alle generisch sind. Insofern ist auch das moderate Preisniveau einer Parkinson-Kombinationstherapie dem Umstand zu verdanken, dass Kassen mit den Herstellern günstige Rabattverträge abschließen können. Dadurch können über alle Indikationen hinweg hohe Einsparungen erzielt werden – wovon insbesondere die chronisch Kranken profitieren. 

Der Haken besteht in der Aut-idem-Regel, die vorschreibt, wirkstoffgleiche Präparate auszutauschen. Was bei Gesunden oder bei anderen Krankheiten oft kein Problem darstellt, ist für Parkinson-Patienten gefährlich: Sie können Arzneimittel schlecht verstoffwechseln, weil ihr Magen-Darm-Trakt durch die Erkrankung in Mitleidenschaft gezogen wird. Bei einem Medikamentenaustausch können sie selbst die zulässigen Abweichungen der Bioverfügbarkeit wirkstoffgleicher Arzneimittel häufig nicht verkraften.  

Bereits eine veränderte Galenik kann zu heftigen Wirkungsschwankungen führen. Es kann zu „Off-Phasen“ oder heftigen Überbewegungen, zu akuten Schmerzen und sogar zu lebensbedrohlichen Krisen kommen. Das hören wir immer wieder aus dem Kreise unserer 23.000 Mitglieder. In einer Umfrage sagten über 80 Prozent, dass sie derartige Folgen eines Aut-idem-Austauschs kennen. Hier entsteht zusätzliches Leid für die Betroffenen. Und die Versichertengemeinschaft muss unnötige Kosten tragen – insbesondere, wenn die Patienten zur Neueinstellung wieder ins Krankenhaus müssen.  

Parkinson-Patienten passen einfach nicht ins System  

Seit Jahren setzt sich die Deutsche Parkinson-Vereinigung für eine Ausnahme aus der Aut-idem-Regel ein. Wir haben vor dem Reichstag demonstriert, 57.000 Unterstützer für eine Petition gefunden, Stellungnahmen eingeholt, Dutzende Gespräche mit Abgeordneten und Journalisten geführt, die Medikationskosten untersuchen lassen, eine Kasse für ein Versorgungsforschungsprojekt gesucht, das Problem im Gemeinsamen Bundesausschuss und im Gesundheitsministerium vorgetragen. Und wir haben vorgerechnet, was es kostet, wenn nur jeder Zwanzigste Parkinson-Patient nach einem „Aut-idem-Unfall“ ins Krankenhaus muss: Bei durchschnittlichen Kosten einer zweiwöchigen Neueinstellung von 7.000 Euro sind das sage und schreibe 150 Millionen Euro. 

Meist stieß unser Anliegen auf Verständnis. Oft wurde uns Unterstützung zugesagt. Eine Ausnahme haben wir bislang trotzdem nicht erreicht. Zu groß erscheint wohl die Gefahr, eine Aut-idem-Ausnahme könnte Schule machen.  

Stattdessen werden uns Alternativen vorgeschlagen, die allesamt nicht weiterführen: 

  • Zwar können Ärzte die Aut-idem-Regel natürlich außer Kraft setzen. Wenn sie das aber ständig machen, riskieren sie eine Wirtschaftlichkeitsprüfung. Insofern muss der Versuch scheitern, das Problem auf die Ärzte zu verlagern – es sei denn, man machte eine erfolgreiche Parkinson-Therapie von furchtlosen Einzelkämpfern abhängig.
  • Zwar hat der Gesetzgeber mit der sogenannten Substitutionsausschlussliste eine Möglichkeit geschaffen, einzelne Wirkstoffe von der Austauschpflicht auszunehmen. Was nützt das aber den Parkinson-Patienten, wenn sie eine Medikamentenkombination benötigen, die schon durch den Austausch eines einzelnen Wirkstoffs gefährdet wird? Was nützt ihnen eine Verbotsliste, die an der Eigenschaft eines Wirkstoffs ansetzt, wenn doch der Patient als solcher hier das Problem darstellt?
  • Zwar kann eine ungestörte Dauermedikation im Rahmen eines Disease-Management-Programms einfacher realisiert werden. Darüber haben wir mit den Fachgesellschaften aber schon vor Jahren diskutiert: Leider verläuft der Morbus Parkinson für eine standardisierte Behandlung viel zu individuell.
  • Zwar wäre es richtig, die Evidenz des Austauschproblems bei Parkinson durch eine großangelegte Studie zu ermitteln. Leider übersteigt ein solches Projekt aber die finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten einer Patientenorganisation, der noch dazu eine Kasse als Partner fehlt.  

Insofern bleibt es die Regel, dass Parkinson-Patienten mit einer neuen Kombinationsmedikation aus dem Krankenhaus entlassen werden, die schon beim ersten Besuch in der Apotheke verändert wird. Entstehen dadurch gesundheitliche Folgen, muss der Patient erneut medikamentös eingestellt werden. Das Leid trägt der Patient, die Kosten teilt sich die Versichertengemeinschaft. Das alles, weil es innerhalb eines kostensparenden Rabattvertragssystems nicht möglich ist, ein und dasselbe Generikum solange zu verabreichen, bis aus medizinischen Gründen eine Änderung nötig ist. Dagegen muss und wird sich die Parkinson-Vereinigung auch weiterhin wehren. 

Friedrich-Wilhelm Mehrhoff ist Geschäftsführer der Deutschen Parkinson-Vereinigung. Die Selbsthilfegruppe wurde 1981 gegründet. Der Verein ist mit seinen rund 23.000 Mitgliedern der siebtgrößte Selbsthilfeverband in Deutschland.

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