Es ist wenig verwunderlich, dass sich Ärzt:innen aus dem Ausland recht erfolgreich von deutschen Krankenhäusern locken lassen – diese versprechen oftmals bessere Verdienstmöglichkeiten, eine bessere Ausstattung und ein geringeres Arbeitspensum. Das führt besonders in Grenzregionen dazu, dass vor allem junge Mediziner:innen nach Deutschland gehen. Dieses auch „Brain-Drain“ genannte Phänomen hat entsprechend negative Folgen für die Gesundheitsversorgung in ihrem Herkunftsland. Doch es geht auch anders: durch Kooperation statt Wettbewerb.
Grenzübergreifendes Projekt an der Oder
Ein 2022 gestartetes, innovatives Pilot-Projekt zum Ärzteaustausch zwischen Frankfurt (Oder) und der polnischen Partnerstadt Słubice zeigt einen vielversprechenden Ansatz, um den Ärztemangel nicht einfach nur über die Grenze zu verlagern. Das Ziel ist eine Verbesserung der medizinischen Zusammenarbeit und Versorgung beiderseits der Oder, sowie die Verhinderung der Abwanderung junger polnischer Ärzt:innen. Denn auch in Polen wächst die Sorge um den Ärztemangel, weshalb eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen gefordert wird. Konkret sieht das Projekt so aus: Das medizinische Zentrum Brandmed in Słubice, das Ärzt:innen verschiedener Fachrichtungen beherbergt, bietet eine grenzüberschreitende Versorgung für Patient:innen aus Deutschland und Polen, finanziert durch deutsche Krankenkassen. Brandmed erfreut sich auch bei deutschen Patient:innen großer Beliebtheit, was zur Vision eines gemeinsamen deutsch-polnischen Medizinzentrums beiträgt und als Beispiel für weitere grenzüberschreitende Gesundheitsprojekte dienen soll.
Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, um den Ärztemangel in beiden Ländern anzugehen und gleichzeitig die Qualität der medizinischen Versorgung für alle zu verbessern.
Zerren um Ärzt:innen auch im Dreiländereck
Das Phänomen eines verschobenen Ärztemangels kennen wir aber natürlich auch andersherum – zwischen Deutschland und Österreich. Denn Österreich hat ebenfalls ein Problem mit dem Fachärztemangel und bemüht sich aktiv um Zuwanderung aus dem Ausland. Großstädte wie Wien haben weniger Probleme als Grenzregionen oder Bundesländer wie Vorarlberg und Tirol, die zudem mit der Konkurrenz der hohen Gehälter in der Schweiz zu kämpfen haben.
Bereits Studierende zieht es von Deutschland ins Nachbarland, schließlich erwartet sie statt Numerus-Clausus-Druck lediglich ein Aufnahmetest. Auch wenn mehr als 75 Prozent von ihnen das Land nach dem Studium wieder verlassen, arbeiten heute mehr als 3000 Deutsche als Ärzt:innen in Österreich. Auch das ist wenig verwunderlich: Die bürokratischen Hürden sind gering, das Gehaltsniveau vergleichbar, der Lebensstandard ist hoch und Wien eine der lebenswertesten Städte der Welt.
Ran an die Ursachen statt an die Symptome
Deutsche Kliniken werben Ärzt:innen aus Polen ab, österreichische Krankenhäuser locken die Deutschen und die Schweizer versuchen Österreicher:innen sowie Deutsche für sich zu gewinnen – es liegt auf der Hand, dass der Ärztemangel so lediglich über Landesgrenzen hinweg verlagert, aber nicht gelöst wird.
Dass zwischen Nachbarländern ein gewisser Wettbewerb herrscht, ist normal und sogar nötig, um Veränderung voranzutreiben. Es braucht aber vor allem auch mehr Kooperation und bestenfalls gemeinsame Lösungen, wie das Pilotprojekt an der Oder.
Statt gegen die Symptome des Ärztemangels in Deutschland anzukämpfen – etwa durch das Abwerben aus anderen Ländern –, gilt es die Ursache am Schopfe zu packen! Arzt oder Ärztin im Heimatland zu sein, muss endlich wieder attraktiv werden und Arbeitgeber müssen alles daran setzen, dies in die Realität umzusetzen. Weniger Druck und Bürokratie, mehr Digitalisierung und Work-Life-Balance sind dabei zumindest ein erster Anfang.
Konstantin Degner ist Recruiting-Experte und unterstützt bei „Ärztestellen“, dem Stellenmarkt des Deutschen Ärzteblattes, Personalverantwortliche im Gesundheitswesen in Sachen Recruiting und Retention.