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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Gestaltender Datenschutz – Warum Innovationsfähigkeit im Kopf beginnt

Wilhelm Stork, Direktor für eingebettete Systeme und Sensortechnik am Forschungszentrum Informatik (FZI)
Wilhelm Stork, Direktor für eingebettete Systeme und Sensortechnik am Forschungszentrum Informatik (FZI) Foto: FZI

KI-basierte Gesundheitsanwendungen finden selten den Weg in die medizinische Regelversorgung, beklagt Wilhelm Stork, Direktor für eingebettete Systeme und Sensortechnik am FZI. Das liege unter anderem am schlechten Datenfluss. Deshalb fordert er ein neues Mindset und einen gestaltenden Datenschutz, der die Gesundheitsversorgung in Deutschland verbessere.

von Wilhelm Stork

veröffentlicht am 18.06.2024

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Seit Veröffentlichung von ChatGPT im Winter 2022 wurde der breiten Öffentlichkeit bewusst, wie viel Potenzial in der Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) steckt. Doch obwohl KI vielseitige Möglichkeiten bietet, finden bislang nur wenige KI-basierte Gesundheitsanwendungen in der Praxis ihren Einsatz in der medizinischen Regelversorgung.

Die Gründe für die fehlende Translation sind vielfältig, bereits lange bekannt und dennoch aktuell. Auch das vom baden-württembergischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration geförderten Forschungsprojekt ROUTINE, ein Reallabor zum Transfer digitaler Gesundheitsanwendungen und KI ins Gesundheitswesen, hat dazu geforscht. So zeigt die aktuelle Erhebung innerhalb des Projekts, dass der Datenzugang, Datenschutz und die ausufernde Regulatorik weiterhin die größten Hindernisse in der Entwicklung KI-basierter Gesundheitsanwendungen sind. Insbesondere ein zu Teilen vorauseilender Gehorsam in der überstrengen Auslegung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Vergleich zu Nachbarstaaten sowie mitunter fehlendes pragmatisches Denken in Behörden und Rechtsabteilungen von Forschungsinstituten, Kliniken und Universitäten.

Ein Beispiel aus der Praxis: Für die Entwicklung eines KI-Modells zur Identifizierung von Risikofaktoren in der Demenz sollten Daten von einem Forschungsinstitut in Deutschland für eine deutsche Universität zur Verfügung gestellt werden. Der Prozess von der ersten Antragsstellung bis hin zur Bereitstellung der Daten zog sich über sieben Monate.

Aktuelle Gesetzgebung stellt Besserung in Aussicht

Zwar zeigt die Politik mit den Gesetzesinitiativen zum Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) und dem Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (DigiG), dass sie sich der Probleme rund um Datenbeschaffung und -schutz bewusst ist und diese auch gewillt ist anzupacken. Jedoch reichen diese Bemühung allein nicht aus. Datenschutz scheitert aktuell an zwei Dingen: überbordenden Prozessen und einem innovationsorientiertem Mindset.

Ein wichtiger Baustein, um Innovation im Gesundheitswesen zu fördern, ist ein neues Mindset aller Beteiligten. Von Bedenkenträgern und Verhinderern zu Innovationstreibern. Wir brauchen Visionäre und Vorreiter mit einem möglich-macher Mindset in allen Stakeholdern. Möglichmachen soll hier explizit nicht heißen die geltende Datenschutzgrundverordnung zu missachten oder auszuhöhlen. Im Gegenteil – das Ziel Datenschutzgrundverordnung ist nicht der Schutz des einzelnen Datums, sondern der Schutz der Person. Mit diesem Ziel im Hinterkopf kann „eine gelingende Balance aus [dem] Schutz sensibler Daten und Innovationsförderung“ wie es treffend im vergangenen baden-württembergischen Koalitionsvertrag (2016-2021) beschrieben wurde gefunden werden. Bei diesem sogenannten gestaltenden Datenschutz arbeiten verschiedene Stakeholder gemeinsam am gleichen Ziel: die Gesundheitsversorgung in Deutschland zu verbessern.

Projekte gemeinsam realisieren

Der gestaltende Datenschutz versteht Datenschutz als gemeinsame Aufgabe. Statt Vorhaben abzulehnen, müssen wir in einen gestaltenden, beratenden Prozess kommen, indem Antragsteller und Beaufsichtigende in den Behörden, Rechtsabteilungen von Instituten, Kliniken und Universitäten einen gemeinsamen Weg finden, unter Sicherstellung der Wahrung des Datenschutzes gemeinsam Projekte zu realisieren. Deutschland braucht Juristen und Sachbearbeiter, die sich als Möglichmacher sehen. Statt einem Gegeneinander, wo Anträge zwischen Entwicklern/Forschern auf der Einen und Rechtsabteilungen auf der Anderen hin und her geschoben werden, sollte es ein proaktives Mit- und Füreinander geben mit dem Ziel einer besseren Gesundheitsversorgung.

Um diesen gestaltenden Datenschutz in die Realität umzusetzen, braucht es mehr Ressourcen in den entsprechenden Stellen, eine weniger strenge Auslegung der DSGVO und die Entwicklung neuer Prozesse für die Zusammenarbeit zwischen Entwickelnden und Datenschützern.

Wilhelm Stork ist Direktor für eingebettete Systeme und Sensortechnik am Karlsruher Forschungszentrum Informatik (FZI), das das Reallabor ROUTINE für die Nutzung von KI in der Gesundheitsversorgung eröffnet hat. AM FZI liegen seine Schwerpunkte in den Bereichen E-Health und Ambient Assisted Living (AAL).

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