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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Die Länder als Problemlöser des Bundes

Christian Grotemeier, Professor für Mobilitätsmanagement an der Hochschule Rhein-Main
Christian Grotemeier, Professor für Mobilitätsmanagement an der Hochschule Rhein-Main Foto: privat

Die Länder könnten dem Bund einen Teil seiner Treibhausgas-Minderungslast im Verkehr abnehmen. Je besser sie abschneiden, desto stärker werden ihre jeweiligen Regionalisierungsmittel und Zuweisungen aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz angehoben.

von Christian Grotemeier

veröffentlicht am 13.10.2023

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Das Deutschlandticket hat derzeit keine gute Presse: Der Finanzierungsstreit zwischen Bund und Ländern hinterlässt einen unguten Eindruck bei den (potenziellen) Käufern dieses Tickets und kann im schlimmsten Fall zur Kaufzurückhaltung führen. Außerdem sind die Länge und die Wiederholung der Auseinandersetzung kein Zeugnis politischer Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit – Eigenschaften, deren Zuschreibung die Politik aber mehr denn je benötigt.

Welche Ansatzpunkte könnte es geben, um die Finanzierungsfrage des ÖPNV mittel- bis langfristig zu klären? Schließlich scheinen die Positionen von Bund und Ländern auf den ersten Blick unvereinbar: Die Länder argumentieren, dass die Einnahmeverluste aus dem Deutschlandticket sowie steigende Energiekosten zwingend höhere Finanzierungsbeiträge des Bundes erforderlich machen, ansonsten könne das Deutschlandticket nicht weiter aufrecht erhalten werden.

Der Bund sieht hingegen keine Veranlassung, den Ende 2022 beschlossenen Entwicklungspfad der Regionalisierungsmittel zu verlassen. Der Hinweis von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), es gebe Einsparmöglichkeiten bei Parallelstrukturen in der Nahverkehrsorganisation und beim Fahrscheinvertrieb, mag zutreffend sein, leistet aber keinen substanziellen Beitrag zum kurzfristigen Schließen der Finanzierungslücke. Zudem wären die erzielten Einsparungen nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Politischer Opportunismus statt wirksamer Instrumente

Was können in dieser Situation die Länder dem Bund anbieten, damit er einer höheren Beteiligung an der ÖPNV-Finanzierung zustimmt? In der Sprache des Marketings ist ein Produkt dann besonders erfolgreich, wenn es den Kunden die „Pain Pointsnimmt, indem es ein Problem der Kunden löst. Vielleicht können die Länder zum Problemlöser des Bundes avancieren und im Gegenzug eine höhere Finanzausstattung für ihren ÖPNV erhalten? 

Nach wie vor ist es eine ungelöste Aufgabe des Bundes, die Treibhausgasemissionen (THG) im Verkehr signifikant zu reduzieren. Der Expertenrat für Klimafragen hat den jeweils amtierenden Bundesverkehrsministern regelmäßig attestiert, in diesem Bereich beinahe untätig zu sein. Dies ist zum Teil verständlich, denn schließlich kann ein Bundesverkehrsminister nur bedingt neue Radwege bauen, verkehrsreduzierte Stadtquartiere entwickeln, und auch die lokale Nahverkehrsplanung liegt nicht im Kompetenzbereich des Bundesverkehrsministeriums. Gleichzeitig sind die Instrumente des Bundesverkehrsministers (zum Beispiel Tempolimits, Steuern auf Kraftstoffe) zur Beschleunigung der Verkehrswende in der automobilen Republik politökonomisch herausfordernd und fallen häufig dem politischen Opportunismus zum Opfer. 

Wie wäre es, wenn die Länder nun einen Teil der THG-Minderungslast vom Bund übernehmen und sich dafür bezahlen lassen würden? Neben dem Bundesklimaschutzgesetz gibt es bereits in einigen Bundesländern auch Landesklimaschutzgesetze. Viele Kommunen verfügen sogar über Klimapläne. Leider gibt es keinen föderalen Transmissionsmechanismus, der die Bundesziele auf Landesziele herunterbricht und diese wiederum auf die kommunale Ebene. Eine absurde Situation, dass es gerade beim Klimaschutz keine Top-Down-Ziele gibt und diese nicht mit Bottom-Up-Planungen plausibiliert werden. 

Wenn die Länder nun einen Teil der THG-Minderungslast des Bundes übernehmen würden, müsste es in jedem Bundesland ein Landesklimaschutzgesetz geben, das diese Ziele dann verbindlich festschreibt. Die Zielerreichung müsste wie beim Bundesklimaschutzgesetz durch ein unabhängiges Gremium in Zusammenarbeit mit den Landesstatistikämtern geprüft werden. In Abhängigkeit von der Zielerreichung bekämen die Länder ein finanzielles Plus auf die Regionalisierungsmittel. Es wäre auch möglich, die Dynamisierung weiterer Finanzierungsmittel im Verkehr, zum Beispiel das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, an die Entwicklung der THG-Emissionen zu koppeln.

Ein derartiges System könnte einen starken Anreiz bieten, Landes-, Regional- und Stadtplanung klimafreundlicher zu gestalten. Ein Blick auf die viel zitierten Städte wie Paris oder Kopenhagen zeigt, dass Emissionen auch durch lokale Politik, nicht zwingend nur durch nationale Politik, eingespart werden. 

Ein neues föderales Anreizsystem

Gleichzeitig würde ein derartiges föderales Anreizsystem die politökonomischen Lasten teilen. Die politischen Entscheidungsträger:innen vor Ort könnten verkehrspolitische Maßnahmen gegenüber den Bürger:innen nicht nur mit dem abstrakten Klimaschutz begründen, sondern auch mit den zusätzlichen Finanzmitteln vom Bund, die in Form von neuen Radwegen und ÖPNV-Linien die Städte lebenswerter machen. Eine Win-win-Situation?

Eine berechtigte Kritik wäre der bürokratische Aufwand, den ein solches Anreizsystem mit sich bringen würde, denn es müsste sichergestellt werden, dass die Erfolge der Länder bei der Reduktion der THG-Emissionen im Verkehrsbereich auch erfasst werden. Im Gegensatz dazu ist der Emissionshandel sicherlich der effizientere Mechanismus, um die THG-Emissionen zu reduzieren; nur werden durch ihn kurzfristig keine neuen ÖPNV-Angebote geschaffen und neue Radwege gebaut.

Außerdem könnte man im Sinne des US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Peter F. Drucker („You can‘t improve what you can’t measure“) entgegnen: Wie wollen wir das Klima schützen, wenn wir nicht in der Lage sind, konsistent auf allen Ebenen unseres Landes die Hauptursache für den Klimawandel zu erfassen?

Das Deutschlandticket stellt derzeit viele Gewissheiten im deutschen Nahverkehr infrage. Vielleicht wäre es an der Zeit, die bisherige Finanzierung zu vereinfachen und gleichzeitig Klimaschutz als gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern zu begreifen.

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