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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Die Politik manövriert den Güterverkehr ins Abseits

Peter Westenberger, Geschäftsführer beim Verband Die Güterbahnen
Peter Westenberger, Geschäftsführer beim Verband Die Güterbahnen Foto: NEE

Im neuen Bundesschienenwegeausbaugesetz ist der Güterverkehr voraussichtlich nicht berücksichtigt. Bund und Länder haben sich gegen die Abfederung von Zusatzkosten bei den Unternehmen ausgesprochen. Und die Branche muss weitere Belastungen stemmen. Das hat Folgen – auch für den Klimaschutz.

von Peter Westenberger

veröffentlicht am 10.06.2024

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Am Freitag griff das Bundesverkehrsministerium noch einmal in die Trickkiste. Während die Bundesländer noch über einem letzten Anlauf zu Änderungen am Kompromissvorschlag zum umstrittenen Bundesschienenwegeausbaugesetz (BSWAG) brüteten, streute das Haus an der Berliner Invalidenstraße bereits, dass der Beschlussvorschlag für den vom Bundesrat angerufenen Vermittlungsausschuss am Mittwoch dieser Woche fertig sei.

So oder so „raus“: der Schienengüterverkehr. Im mehr als einjährigen Gesetzgebungsverfahren haben sich erst das Bundesverkehrsministerium, dann die ganze Regierung, dann die Ampel-Koalition im Bundestag und zuletzt auch die Bundesländer gegen die Abfederung von Zusatzkosten bei den Güterbahn-Unternehmen ausgesprochen. Konkret geht es dabei um zwei Dinge: um die Förderung von sogenannten ETCS-On-Board-Units auf Loks und Triebzügen und Zahlungen für den Ersatz- und Umleitverkehr.

Dem Güterverkehr drohen Zusatzkosten in dreistelliger Millionenhöhe

Ohne die teure Nachrüstung der Fahrzeuge kann die europäische Leit- und Sicherungstechnik nicht an Strecken und in Stellwerken eingebaut werden. Während die Bundesländer für „ihre“ Nahverkehrsflotten im BSWAG eine Rechtsgrundlage für die Bundesförderung und sogar zumindest politische Förderquoten der ObU verankern konnten, erklärte das Bundesverkehrsministerium, dass im Güterverkehr, wenn überhaupt, weniger stark gefördert werden soll. Noch deutlicher ist der Unterschied bei Ersatz- und Umleiterverkehren der 41 großen „Korridorsperrungen“. Im Unterschied zu den bisher überwiegend üblichen eingleisigen Sperrungen für Baumaßnahmen produzieren monatelange Vollsperrungen deutlich höheren Aufwand für Ersatzbusse im Nahverkehr und teils über 300 Kilometer lange Umleitungen von Tausende Tonnen schweren Güterzügen.

Für den Nahverkehr konnten die Länder dem Bund zusätzliche Mittel hierfür abtrotzen. Die anfangs auch für den Güterverkehr erhobene Forderung ließen sie im Verfahren fallen. Konsequenz: Allein 2026 erwartet der Güterverkehr Mehrbelastungen von über 230 Millionen Euro, die er an seine Kunden weiterberechnen muss. Allein die neunmonatige Sperrung der Verbindung von Hamburg nach Berlin dürfte 2025 die betroffenen Güterbahnen mit Zusatzkosten in dreistelliger Millionenhöhe belasten.

Der Schlag ins Kontor kommt nicht allein. Für drastisch höhere und weiter steigende Kosten der Schienengüterverkehrsbetreiber hat die Bundesregierung in jüngster Zeit in kurzer Folge gesorgt:

  • Seit 2019 haben über fünf Milliarden Euro Eigenkapitalzuführungen des Bundes an die DB für Schieneninfrastrukturvorhaben die Grundlagen für höhere Trassenpreisforderungen an die transportierenden Unternehmen geschaffen. Im ersten Jahr der bundeseigenen, formal „gemeinwohlorientierten“ DB InfraGo AG hebt diese 2024 das Nutzungsentgelt für Standard-Güterzüge um 16,2 Prozent an. Möglich ist das, weil Deutschland 2016 eine EU-weit einzigartige Fehlkonstruktion zur gewinnorientierten Trassenpreisermittlung gesetzlich beschlossen hat.
  • Im Bundeshaushalt 2024 wurde die 2018 zum Nachteilsausgleich gegenüber dem Lkw eingeführte Bundesförderung der Trassenpreise um 30 Prozent gekürzt. Ihr Schicksal 2025 ist offen, im Sommer 2023 hatte die Regierung in ihrer mittelfristigen Finanzplanung noch eine kontinuierliche Reduktion auf Null bis Ende 2027 beschlossen. Weitere haushaltskonsolidierende Förderkürzungen summierten sich auf 85 Millionen Euro.
  • Doch jetzt soll es erst richtig losgehen. Durch die 2024 vorgesehene und noch deutlich größere Eigenkapitalzuführung an die DB sowie allgemeine Kostensteigerungen drohen 2025 bis zu 50-prozentige Trassenpreissteigerungen.
  • Weitere Steigerungen in dieser Größenordnung drohen auch in den drei folgenden Jahren der geplanten Erhöhung des DB-Eigenkapitals durch den Bund. Und niemand kann sagen, wofür die höheren Einnahmen eigentlich verwendet werden sollen.

Den klimafreundlichen Güterverkehr auf der Schiene treffen die staatlichen Kostensteigerungen in einer besonders kritischen Phase. Konjunkturell rückläufige Transportmengen haben schon seit Ende 2022 zur Rückverlagerung von Verkehren auf den Lkw geführt. Nach den am Freitag veröffentlichten Zahlen der Bundesnetzagentur hat die Schiene 2023 zehn Prozent an Leistung verloren. Einem Gutachten des Verkehrsministeriums zufolge lag das Minus auf der Straße bei nur 4,7 Prozent. Der Schiene machen schon so die schlechte Infrastruktur und nur sehr langsam wieder sinkende Strompreise das Leben schwer.

Insbesondere im kombinierten Verkehr Straße/Schiene haben Spediteure quasi täglich die Wahl: So lange genug Fahrpersonal verfügbar ist, rollen viel mehr der vorhandenen Lkw die komplette Route auf der Autobahn, statt auf langen Mittelstücken die Schiene zu nehmen. Den Unterschied macht der Preis. Die nach mehrjähriger Pause 2023 um knapp 80 Prozent erhöhte – und auch nur auf Bundesfernstraßen erhobene – Lkw-Maut wird schon im kommenden Jahr durch Kostensteigerungen bei der Schiene neutralisiert.

Bund und Länder lassen Güterverkehr hängen

Die Verlierer? Alle! Höhere Transportpreise belasten vor allem internationale Industrien und den Handel – fast die Hälfte des Umschlags im Hamburger Hafen rollt im Hinterland heute auf der Schiene. Natürlich sinken auch die Trassenpreiseinnahmen der DB InfraGO, wenn Verkehr auf die Straße abwandert. Autobahnen werden noch voller. Und dass mehr Schiene gerade im Güterverkehr mit seinem 7,5-fachen Klimavorteil und hoher Energieeffizienz sinnvoll ist, unterschreiben alle. Seit vielen Jahren. Nur wenn es konkret wird, scheint es immer Wichtigeres zu geben.

Bund und Länder unterscheiden sich da nicht. Sie haben gemeinsam das Ziel ausgerufen, bis 2030 den Schienenanteil am Güterverkehr von heute knapp 20 auf 25 Prozent zu erhöhen. Die dargestellte Kaskade der gefassten, anstehenden und verpassten Beschlüsse wird allerdings im Gegenteil den Marktanteil auf Talfahrt schicken. Es wird nicht ewig dauern, bis die CO2-Emissionen des wachsenden Güterverkehrs die des Personenverkehrs überholen werden und die Schäden an der Straßeninfrastruktur durch den Schwerverkehr ganz neue Höhen erreichen. Wer wird sich dann dazu bekennen, bei Gelb vor der Ampel nicht gebremst zu haben?

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