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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Ein-Prozent-Regelung: Reform ist überfällig

Benjamin Fischer, Agora Verkehrswende
Benjamin Fischer, Agora Verkehrswende Foto: promo

Die Debatte über das Dienstwagenprivileg hat für Verwirrung gesorgt. Die Zahlen sprechen aber eine deutliche Sprache, betonen Benjamin Fischer und Carl-Friedrich Elmer von Agora Verkehrswende. Die Regelung verschaffe vor allem Menschen mit höherem Einkommen Vorteile und schade der Umwelt.

von Benjamin Fischer

veröffentlicht am 14.10.2022

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Die Besteuerung der privaten Dienstwagennutzung wirft Fragen auf: Ist es angemessen, von einem „Dienstwagenprivileg“ zu sprechen? Oder handelt es sich bei der pauschalen Bemessung des damit verbundenen geldwerten Vorteils lediglich um eine praktikable Steuervereinfachung? Nach der sogenannten Ein-Prozent-Regelung werden monatlich ein Prozent des Pkw-Listenpreises zum zu versteuernden Einkommen hinzugerechnet. Ist schon der Begriff „Privileg“ politisch motiviert, um den Menschen das Gefühl zu geben, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht? Und ist es vielleicht im Gegenteil so, dass die private Nutzung eines Dienstwagens in vielen Fällen steuerliche Nachteile mit sich bringt, gerade bei teuren Limousinen

Letzteres legen Berechnungen nahe, die Ende August in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS) veröffentlicht und dann in weiteren Beiträgen  diskutiert wurden. Wie passt das mit dem ökonomischen Forschungsstand zusammen? Der wesentliche Unterschied liegt, kurz gesagt, in den Annahmen, insbesondere denen zum Nutzungsumfang und zur Haltedauer der Dienstwagen. Die FAS-Szenarien mit den vermeintlich überraschendsten Ergebnissen sind unrealistisch, weil Unternehmen und Nutzer:innen in solchen Fällen auf günstigere Besteuerungsmodelle als die Ein-Prozent-Regelung umsteigen können.

Allgemeinheit finanziert Vorteil einer Minderheit 

Ökonomische Studien zeigen, dass die Besteuerung der privaten Dienstwagennutzung gegenwärtig den Charakter einer Subvention hat, die de facto überwiegend einkommensstarken Beschäftigten zugutekommt. Von einem Privileg zu sprechen – also einem Sonderrecht zugunsten einer bestimmten Gruppe –, entspricht daher dem Sinn des Wortes und dem bezeichneten Gegenstand. 

Die Regelung regt auch dazu an, dass Unternehmen und Beschäftigte tendenziell teurere, damit oft größere und leistungsstärkere Autos anschaffen und, vor allem mit Tankkarte vom Arbeitgeber, diese auch ausgiebig nutzen. Die Allgemeinheit finanziert also den Vorteil einer Minderheit und trägt darüber hinaus auch die Kosten, die durch den steuerlich geförderten Autoverkehr und dessen Emissionen entstehen.

Im Unterschied zu Studien, die die Dienstwagenbesteuerung umfassend und systematisch untersucht haben, konzentrieren sich die Rechnungen, die in der FAS präsentiert wurden, allein auf den Unterschied in der Bemessung des zu versteuernden geldwerten Vorteils im Vergleich zu den tatsächlichen Autokosten bei privater Haltung in einzelnen Fallbeispielen. Ein solch vereinfachender Ansatz kann im Sinne einer Überschlagsrechnung grundsätzlich nützlich sein, um die Richtung des steuerlichen Effekts im jeweiligen Szenario abzuschätzen.

Unrealistische Annahmen

Lässt man sich darauf ein, so kommt es bei der Betrachtung einzelner Fallbeispiele vor allem auf die zugrundeliegenden Annahmen an. Neben der Auswahl der Fahrzeugmodelle – Dienstwagen sind in der Regel größer und teurer als Privatwagen – erscheinen zwei Annahmen besonders diskussionswürdig, denn sie haben einen starken Einfluss auf das Ergebnis: Nutzungsumfang und Haltedauer der Dienstwagen. 

Die FAS-Berechnung betrachtet für vier Beispielfahrzeuge jeweils vier Nutzungsszenarien. Allen vier Szenarien gemein ist die Annahme eines Pendelweges von insgesamt 50 Kilometern für die Hin- und Rückfahrt. Bereits bei 200 Arbeitstagen jährlich werden also allein durch den Arbeitsweg die 10.000 Kilometer Jahresfahrleistung erreicht, die in der Rechnung der FAS als eines der vier Nutzungsszenarien dienen. Wenn ein Dienstwagen jedoch allein für den Arbeitsweg verwendet und eine Privatnutzung ausgeschlossen wird, muss diese auch nicht versteuert werden. Dass eines der Szenarien „mit 300 Euro Unterschied im Monat zu Lasten des Dienstwagens“ endet, kommt also durch eine Annahme zustande, die in der Realität kaum eintreffen wird. 

Vorteil schon bei moderater privater Fahrleistung

Für die Praxis relevant sind Szenarien, in denen der Dienstwagen über rein betriebliche und Arbeitswege hinaus auch für rein private Zwecke genutzt wird. Denn nur für diese Fälle ist die Ein-Prozent-Regelung gedacht. Und hier zeigt sich, dass die Pauschalbesteuerung schon bei vergleichsweise moderater rein privater Fahrleistung von jährlich 5000 Kilometern in den meisten realitätsnahen Konstellationen mit einer Steuerersparnis einhergeht. 

Für den Fall einer tatsächlich nur geringen privaten Fahrleistung steht mit der sogenannten Fahrtenbuchmethode eine steuerlich attraktive Abrechnungsalternative zur Verfügung. Das Steuerrecht bietet somit für Dienstwagenfahrende mit unterschiedlichen Nutzungsprofilen günstige beziehungsweise privilegierte Besteuerungsoptionen.

Die zweite Annahme, die einen entscheidenden Einfluss auf die Vorteilhaftigkeit der Ein-Prozent-Regelung hat, betrifft die Haltedauer des Dienstwagens. Die jährlichen Kosten, die durch den Wertverlust eines Pkw anfallen, sinken in der Regel (bei gegebener Fahrleistung) mit fortschreitendem Fahrzeugalter. Die Ein-Prozent-Regelung, die sich allein nach dem Bruttolistenpreis des Fahrzeugs bemisst, führt bei neuen oder jungen Pkw daher tendenziell zu einer Unterschätzung der tatsächlichen Kosten, bei älteren Fahrzeugen zu einer Überschätzung. Vergleichsrechnungen hängen deshalb maßgeblich davon ab, welches Alter und welche Nutzungsdauer als typische Konstellation unterstellt wird.

Die FAS setzt für Dienstwagen fünf Jahre Nutzungsdauer an und kommt zu dem Schluss, dass sich Oberklassewagen nur bei hoher privater Fahrleistung „lohnen“, Kleinwagen dagegen auch bei niedriger privater Fahrleistung. Doch schon bei vier Jahren Nutzungsdauer zeigt sich eine klare Vorteilswirkung der pauschalen Wertermittlung. Wird der Dienstwagen alle drei Jahre oder öfter gewechselt, fällt die absolute finanzielle Einsparung zudem bei Oberklassewagen am größten aus. Für die Praxis relevant sind vor allem die Fälle, auf die das Dienstwagenprivileg faktisch ausgerichtet ist: Wer seinen Dienstwagen nur wenige Jahre nutzt und anschließend ein neues Fahrzeug erhält, wie es in der Unternehmensrealität oft der Fall ist, spart im Vergleich zur Privatanschaffung mit dem teuren Oberklassewagen am meisten. 

Soziale und ökologische Schieflage korrigieren

Die absolute Steuerersparnis durch die Dienstwagenregelung steigt mit dem sogenannten Grenzsteuersatz und daher mit dem Einkommen. Dies verstärkt die ohnehin fragwürdige Verteilungswirkung, die bereits daraus resultiert, dass Dienstwagen vor allem einkommensstarken Haushalten zur Verfügung stehen. 

Zu dieser sozialen Schieflage kommt die ökologische. Innerhalb des Segments der Verbrenner gibt es für Arbeitnehmende – bei Bereitstellung einer Tankkarte – keinen Anreiz, einen spritsparenden Wagen auszuwählen. Zudem verleitet gerade die Tankkarte wie bei einer Flatrate dazu, möglichst viel (und schnell) zu fahren. 

Große Autos und hohe Fahrleistung – beides läuft den politischen Anstrengungen, den Verbrauch fossiler Energieträger und den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken, direkt entgegen. Die Bundesregierung sollte die Dienstwagenbesteuerung daher umgehend und umfassend reformieren. Ob Ein-Prozent-Regelung oder Fahrtenbuchmethode: Beides bietet in vielen Fällen Steuervorteile. 

Als Leitprinzip sollte Steuerneutralität gelten. Ob jemand einen Dienstwagen zur privaten Nutzung überlassen bekommt oder ein monetäres Gehaltsplus, mit dem das gleiche Auto privat angeschafft und genutzt werden kann, sollte steuerlich einen möglichst geringen Unterschied machen. 

Es gäbe eine unbürokratische Lösung

Eine klimapolitisch wirksame und sozial ausgewogene Dienstwagenbesteuerung würde Steuerneutralität auch in Fällen mit kurzer Haltedauer und signifikanter privater Fahrleistung sicherstellen und überdies dazu anregen, emissionsarme Fahrzeuge anzuschaffen und diese maßvoll zu nutzen. 

Dafür muss der zu versteuernde geldwerte Vorteil der privaten Dienstwagennutzung realistischer und damit höher angesetzt werden, vorzugsweise durch Hinzurechnung einer ökologisch reformierten, erstzulassungsorientierten Kfz-Steuer oder alternativ durch einen höheren Pauschalsatz. Zudem sollte auch der individuelle private Nutzungsumfang steuerlich berücksichtigt werden. 

Eine bürokratiearme Lösung bestünde darin, einen fixen prozentualen Anteil der Gesamtfahrleistung des Dienstwagens steuerlich als private Nutzung zu werten. Nach einer solchen Reform könnte dann auch der Begriff „Dienstwagenprivileg“ den Geschichtswissenschaften überlassen werden.

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