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Standpunkte Verwaltungsmodernisierung: Kleine Schritte oder großer Wurf?

Marcel Schepp von der Konrad-Adenauer-Stiftung
Marcel Schepp von der Konrad-Adenauer-Stiftung Foto: KAS

Die Modernisierung der Verwaltung sei in erster Linie eine normative Aufgabe und beginne mit der Erkenntnis, dass nicht alles bis ins kleinste Detail geregelt werden muss, schreibt Marcel Schepp von der Konrad-Adenauer-Stiftung.

von Marcel Schepp

veröffentlicht am 10.08.2023

aktualisiert am 12.09.2023

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„Deutschland ist, denkt und handelt zu kompliziert“, so befindet der Nationale Normenkontrollrat 2021. Damit korrespondiert das Narrativ des trägen Beamten, das Legitimität gern mit Leistung gleichsetzt und im gleichen Atemzug die Infrastrukturprojekte autoritärer Staaten preist.

Die Bedenken sind berechtigt: Knapp unter dem OECD-Durchschnitt, stagniert die Digitalisierung der deutschen Verwaltung auf dem 19. Rang innerhalb der EU, sodass nur noch 38 Prozent der Bürger Vertrauen in den Staat haben. Das wiederum ist ein Problem für unsere Demokratie. Effizienz allein ist kein Kriterium für die Legitimität staatlicher Leistungen, Effektivität indes sehr wohl.

Vorschläge für die Modernisierung der deutschen Verwaltung sind Legion, unterscheiden sich selten in ihren Zielen, vernachlässigen dabei jedoch allzu oft die schiere Vielzahl widersprüchlicher Interessen. Verwaltungsmodernisierung ist eben kein Nullsummenspiel, sondern ein gemeinsames Ziel, dessen Erreichen auch Zugeständnisse verlangt. Wo aber anfangen?

Wo kämen wir denn da hin?

Um die Verwaltung effektiver zu gestalten, lohnt es sich, nach Redundanzen zu suchen: Nahezu jede Bundesbehörde hat eine eigene Personalabteilung, die die gleichen Aufgaben erfüllt. Es spricht vieles dafür, zumindest die Personalreferate der Ministerien in das Bundesverwaltungsamt auszugliedern und dort zu einem professionellen Personalmanagement des Bundes zusammenzuführen.

Bei bundesweit derzeit 962 Behörden und dem engen Rahmen, den das Grundgesetz für eine eigene Bundesverwaltung vorsieht, könnten zudem die meisten Anstalten, Dienste, Institute, Ämter und Stellen schlicht als Organisationen eigener Rechtsform aus- oder in vorgeordnete Behörden eingegliedert werden.

Die Kompetenzen für den öffentlichen Dienst mit der Föderalismusreform 2006 in die Hand der Länder zu legen, erschließt sich nicht mehr. Allein 68 Gesetze unterschiedlichen Inhalts regeln Beamten-, Besoldungs-, Versorgungs- und Laufbahnrecht – ein Umstand, den sowohl der Deutsche Beamtenbund (dbb) als auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisiert haben. Das Beamtenrecht sollte in die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes zurückgeführt und ein einheitlicher Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes für den Bund und die Länder verhandelt werden.

Das Verwaltungsverfahrensgesetz, das in Bund und Ländern fast wortgleich gilt, könnte Planfeststellung und Genehmigung einheitlich regeln. Übergeordnete Verfahren, zum Beispiel Raumordnung, wären damit obsolet. Den prinzipiellen Einsatz von Präklusionsvorschriften (Nichtberücksichtigung von Einsprüchen bei Fristversäumnis) und Genehmigungsfiktionen (Erteilung von Genehmigungen bei Ablauf einer Frist) gilt es, mit einer möglichst frühen und grundsätzlich auch digitalen Öffentlichkeitsbeteiligung zu kombinieren. Verfahren würden dadurch nicht nur schneller, sondern auch zugänglicher und transparenter.

Dafür bin ich nicht zuständig.

Vorschläge für Verwaltungsmodernisierung sind zumeist exekutiv und bundespolitisch geprägt oder technisch und auf Digitalisierung fokussiert. Ersteres entspringt dem Wunsch, möglichst vielen Problemen mit einer durchgreifenden Lösung – dem großen Wurf – beizukommen. Im Vollzug jedoch sind Länder und Kommunen die Schwergewichte.

Zwar keine eigene Staatsebene, beschäftigen Kommunen knapp ein Drittel des Personals des öffentlichen Dienstes, der Bund nur ein Zehntel und die Länder die Hälfte. Gleichzeitig fanden zwei Drittel des Stellenabbaus der letzten 30 Jahre in den Kommunen statt. Mehr als die Hälfte des kommunalen Personals wird in den nächsten 20 Jahren in Rente gehen. Im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes vollziehen Länder und Kommunen 80 Prozent der Verwaltungsleistungen, während die Regelungskompetenz zu 85 (!) Prozent beim Bund liegt. Die Diskrepanzen sind offenkundig und legen nahe, Verwaltungsmodernisierung inhärent kommunal zu denken und die kommunale Selbstverwaltung zu stärken.

Das haben wir schon immer so gemacht.

Die zweite Perspektive folgt der agilen Arbeitsweise der Digitalwirtschaft: Modernisierung wird als ein iteratives Verfahren kleiner Schritte begriffen, da – so das implizite Argument – eine große Staatsreform schon allein politisch viel zu lange dauere, um mit der Digitalisierung Schritt zu halten.

Verwaltungsmodernisierung derart findet nämlich schon längst statt, und zwar durch die sogenannten Innovationsagenturen des Bundes wie das Cyber Innovation Hub der Bundeswehr oder die Bundesagentur für Sprunginnovationen. Indes gilt auch hier das Ressortprinzip sowie die Diagnose des dbb: „Zu viele Aufgaben, zu wenig Personal“.

Ohne diese in Abrede zu stellen, sei die Frage erlaubt, ob sich die Gleichung nicht auch gen weniger Aufgaben auflösen ließe. Schließlich hilft es wenig, wenn immer neue agile Prozesse auf bestehende Strukturen aufgesetzt werden, die diesen weder genügen noch sie personell absorbieren können, während ineffektive oder redundante analoge Prozesse schlechterdings parallel weiterlaufen oder – schlimmer noch – schlecht digitalisiert werden.

Wenn alles vor die Klammer gezogen wird, was bleibt dann übrig?

Die Gretchenfrage der Verwaltungsmodernisierung lautet also: Wie viel effektiver kann Verwaltung werden, wenn das Mittel dafür stets mehr Verwaltung ist? Wie viel besser kann ein Staat funktionieren, wenn ihm mit jeder Krise mehr Aufgaben angetragen werden? Muss er wirklich das Beet eines jeden Bedürfnisses bewässern oder doch gleich den ganzen Garten gießen? Allzu viele Ansprüche an einen funktionierenden Staat ignorieren, dass Modernisierung zunächst eine normative und erst dann eine regulatorische Frage ist. Eine Frage wohlgemerkt, deren Antwort schlicht lauten mag, manches einfach nicht zu regeln.

Marcel Schepp ist Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung und befasst sich seit 2021 intensiv mit Staats- und Verwaltungsmodernisierung. Der Beitrag beruht auf Auszügen des in Kürze auf www.kas.de erscheinenden „Analyse und Argumente“ über Prinzipien der Verwaltungsmodernisierung.

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