Während in Deutschland 56 Prozent der Bürger:innen E-Government-Angebote nutzen, verwenden laut Digital Citizen Report von Publicis Sapient fast alle Australier:innen staatliche Online-Services. Die Angebotszufriedenheit ist hoch bis sehr hoch und die Nutzung im Vergleich zum Vorjahr in allen Altersgruppen gestiegen, am stärksten bei über 80-Jährigen auf 85 Prozent. Doch die Vorstellung, allein der bequemere digitale Weg zum Rathaus im Outback sei für die hohe Nachfrage verantwortlich, greift zu kurz. Laut der Studie sind Menschen in ländlichen Gebiete sogar am zurückhaltendsten bei der Nutzung. Es lohnt sich daher, drei Kernelemente des australischen Erfolgsrezepts am Beispiel des Bundesstaates New South Wales (NSW) anzusehen.
Ein digitaler Lebensstil als Basis
Digital Government in Australien profitiert von günstigen Rahmenbedingungen wie einer hohen Internetnutzungsrate (96 Prozent), verbreiteten Digitalkompetenzen und einer hohen Alltagsdigitalisierung. Hierzu finden sich zahlreiche Beispiele:
Schon ab fünf Jahren gehört die schulische Vermittlung von Digitalkompetenzen zu fächerübergreifenden Lernschwerpunkten. Das Konzept ist erfolgreich: 63 Prozent der Bevölkerung besitzen bereits umfangreiches Wissen über aufkommenden Technologien. Die Regierung setzt sich kontinuierlich für die Kompetenzverbesserung ein.
In Kindertagesstätten erfolgt die Kommunikation mit Eltern vorrangig über Apps, in denen Lehrpläne einsehbar sind, kommentiert werden können sowie die Aktivitäten des Kindes mit Zustimmung der Eltern dokumentiert werden.
Der internationale Papier-Impfausweis gilt als unsicher und unpraktikabel. Nachweise werden stattdessen digital gespeichert.
Bargeldloses Zahlen ist die Norm. Immer mehr Banken reduzieren ihre Bargeld-Services, so dass digitale Transaktionen zunehmend den Alltag vieler Menschen dominieren.
Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass die intensive Nutzung digitaler Verwaltungsdienste auch auf eine grundsätzlich hohe Akzeptanz digitaler Services im australischen Alltag und einer Befähigung der Bürger:innen im Sinne einer geeigneten Infrastruktur und entsprechender Kompetenzen zurückgeführt werden kann.
Digitale und analoge Dienstleistungen gehen Hand in Hand
Der Bürger:innen-nahe Ansatz der australischen Verwaltungsmodernisierung zielt darauf ab, das Leben der Menschen durch eine Kombination digitaler und analoger Dienstleistungen zu erleichtern. Es gibt zahlreiche Beispiele für die zweite Zutat des australischen Erfolgsrezepts:
Verwaltungsmitarbeiter:innen sind bei Bedarf online oder vor Ort erreichbar. Und das nicht in abgelegenen Gegenden, sondern dort, wo das Notwendige mit dem Nützlichen oder Angenehmen verbunden werden kann. Mitarbeiter:innen der Stadtverwaltung Sydney können zum Beispiel in Bibliotheken und die des Bundesstaates NSW in Einkaufszentren aufgesucht werden.
Benötigt man ein neues Führerscheinfoto, wird es vom Verwaltungspersonal mit einer Kamera im Schreibtisch selbst angefertigt. Das erspart den Menschen und auch der Verwaltung Zeit, Kosten und Aufwand. Überlegungen, wie Fotografen die Fotos ihrer Kunden an Behörden übermitteln könnten, wirken in diesem Zusammenhang wie antiquierte Workarounds.
Australien belegt im E-Participation-Index der UN den zweiten Platz. Es mag also wenig überraschen, dass in den Stadtteilen Sydneys regelmäßig Online-Konsultationen durchgeführt werden und etwa nach Problemen im Straßenverkehr oder Vorschlägen zur Gestaltung von Parks und Bibliotheken gefragt wird. Damit auf die Einladung zur Beteiligung eine rege Teilnahme folgt, muss das Angebot aber bekannt sein – eine Nutzungshürde, die bei Online-Verwaltungsangeboten im Allgemeinen aber im Speziellen auch bei E-Partizipationsverfahren Relevanz besitzt. Um diese Barriere zu adressieren, nutzt die Verwaltung digitale und analoge Kanäle parallel. Registrierte Nutzer:innen einer Beteiligungsplattform erhalten automatisch E-Mails zu neuen Umfragen. Gleichzeitig werden betroffene Haushalte unter anderem per Postwurfsendung und Flyer informiert.
Die Beispiele zeigen, dass bei der Verwaltungsmodernisierung in Australien nicht die Bereitstellung von Technologie im Fokus steht. Sondern eine User Experience, die digitale und analoge Maßnahmen intelligent verbindet. Damit sind wir bei der dritten und wichtigsten Zutat in diesem Zusammenhang angelangt.
Erst auf Nützlichkeit folgt Nutzung
Über 75 Prozent aller Führerscheinbesitzer in NSW nutzen den digitalen Führerschein. Eine benutzerfreundliche Gestaltung macht eine Anwendung leichter oder – mit Blick auf digitale Barrierefreiheit – möglicherweise für viele überhaupt erst zugänglich. In wenigen Minuten lässt sich der digitale Führerschein über die Service NSW-App installieren, die bis heute von 85 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in NSW heruntergeladen wurde. Die Bedienung der Führerscheinanwendung ist intuitiv und einfach. Der Hauptgrund, warum sich so viele Menschen für den digitalen Führerschein entscheiden, ist jedoch weniger seine Zugänglichkeit, sondern der Nutzen, den er bietet: Der digitale und der traditionelle Führerschein besitzen denselben rechtlichen Status als amtliche Dokumente. Dadurch kann der digitale Führerschein im Alltag als alternativer Identitätsnachweis genutzt werden. Wer keinen Führerschein besitzt, kann sich mit der „Digital Photo Card“ identifizieren.
Diese und viele weitere Beispiele in NSW zeigen, dass der praktische Nutzen entscheidend dafür ist, ob ein digitales Verwaltungsangebot in den Smartphone-Shops verstaubt oder zur bevorzugten Wahl wird.
Fazit: Lernen von Down Under
Wie Australien haben inzwischen viele Länder eigene Digitalagenturen gegründet, verfolgen fortschrittliche Digitalstrategien oder setzen auf Plattformansätze und innovative Technologien, um neue Verwaltungsservices zu realisieren. Bleibt es jedoch bei abgegriffenen Schlagworten, Maßnahmenhülsen mit vielen schönen Worten ohne wirksamen Inhalt, oder bei halbherzig kommunizierten Angeboten, sind höhere Nutzerquoten, zufriedenere Bürger:innen oder ein höheres Vertrauen der Menschen in die digitale Kompetenz und Problemlösungsfähigkeit des Staates kaum zu erwarten.
Eine ganzheitliche und nachhaltig erfolgreiche, also wirkungsvolle Verwaltungsdigitalisierung, bedarf einer soliden Basis, zu der unter anderem eine geeignete technische Infrastruktur, frühzeitige Kompetenzvermittlung und eine intelligente Kombination von digitalen und analogen Services gehören. Insbesondere braucht es aber Lösungen, die geeignet sind, bestehende Probleme der Menschen tatsächlich zu lösen und ihr Leben spürbar zu verbessern.
Robert Gerlit ist Informatiker und Staatswissenschaftler und hat seit 2022 seinen Lebensmittelpunkt in Sydney, Australien. Als Remote-Dozent lehrt er im Studiengang Digitales Verwaltungsmanagement an der Hochschule Landshut. Parallel befindet er sich in Elternzeit von seiner Rolle als stellvertretender Referatsleiter in der Abteilung für Digitale Verwaltung, IT-Strategie und IT-Recht im Bayerischen Staatsministerium für Digitales. Zuvor war er unter anderem wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der Technischen Universität München (TUM), wo er zum Thema Digitale Verwaltung geforscht und im Kontext von Open Government promoviert hat.