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Standpunkte Wie das Vergaberecht die Verwaltungsdigitalisierung erschwert

Martin Schellenberg, Fachanwalt für Vergaberecht
Martin Schellenberg, Fachanwalt für Vergaberecht Foto: Imke Boy

Idealerweise soll die Verwaltung ebenenübergreifend kooperieren, um ihre IT-Systeme zu modernisieren und das Onlinezugangsgesetz umzusetzen. Doch das Vergaberecht ist dabei in seiner jetzigen Form hinderlich, meint der Rechtsanwalt Martin Schellenberg. Das daraus resultierende, komplexe System zur Beschränkung innerstaatlicher Zusammenarbeit sei nicht zielführend.

von Martin Schellenberg

veröffentlicht am 20.07.2023

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Wenn es in Deutschland nicht vorangeht, wird häufig das Vergaberecht – also das Regelwerk für den öffentlichen Einkauf – verantwortlich gemacht. Zu bürokratisch und zeitraubend sei das Verfahren, zu komplex die Regeln. Insbesondere bei der Bundeswehr ist dieser Vorwurf jüngst im Zusammenhang mit dem Sondervermögen erhoben worden. Nun hat das Oberlandesgericht Naumburg eine Entscheidung veröffentlicht (Beschluss vom 3. Juni 2022, AZ.: 7 Verg. 1/22), die dem schlechten Ruf des Vergaberechts weiter Vortrieb leistet. Das Thema: die Ausschreibungspflicht innerstaatlicher Zusammenarbeit. 

Zum Hintergrund: Der unbedarfte Betrachter wird meinen, dass nur staatliche Aufträge an die Privatwirtschaft ausschreibungspflichtig sind. Nur private Unternehmen muss der Staat gleichbehandeln, nur hier muss er ein transparentes wettbewerbliches Verfahren durchführen. Die innerstaatliche Zusammenarbeit dagegen, so sollte man meinen, ist hiervon nicht betroffen. Wie der Staat intern zusammen arbeitet, darf er frei entscheiden.

Doch hier kommt ein vergaberechtliches Regelwerk ins Spiel, das dem unbedarften Betrachter nur schwer zu vermitteln ist. Dieses Regelwerk erlaubt die innerstaatliche Zusammenarbeit nur unter engen Voraussetzungen. Zu prüfen sind Kontrolltatbestände und Umsatzgrenzen. Nur wenn die entsprechenden Vorgaben erfüllt sind, dürfen zwei rechtlich selbständige Einheiten der öffentlichen Hand frei zusammenarbeiten. Anderenfalls muss ausgeschrieben werden. Statt der gewünschten innerstaatlichen Zusammenarbeit, wäre möglicherweise ein Privater zu beauftragen.

Der OLG Naumburg-Beschluss hat die ohnehin schon schwer nachvollziehbaren Regeln noch verschärft: Gegenstand der Entscheidung war die Abwasserentsorgung. Zu beurteilen war ein Geflecht von öffentlichen Unternehmen, an denen verschiedene Kommunen beteiligt waren. Eines dieser Unternehmen sollte die Betriebsführung seiner Schwestergesellschaft übernehmen. 

Das OLG Naumburg hat dies für unzulässig gehalten, weil Auftraggeber und Auftragnehmer nur teilidentische Gesellschafter hatten. Eine Stadt hielt zwar an beiden Gesellschaftsanteile, am Auftragnehmer waren jedoch noch andere Kommunen beteiligt. Bisher ist man in der Rechtswissenschaft überwiegend davon ausgegangen, dass derartige „Halbschwester-Aufträge“ zulässig sind. 

Besonders pikant: Das OLG hat die Gesetzesmaterialien geprüft und festgestellt, dass der Gesetzgeber eine ausschreibungsfreie Zusammenarbeit in diesem Fall sogar zulassen wollte. Er habe jedoch versäumt, dies im Gesetzestext umzusetzen. Daher sei die Zusammenarbeit rechtswidrig.

Ausschreibungsfreie Kooperationen müssen möglich sein

Der OLG-Beschluss macht deutlich: Das Vergaberecht muss dringend reformiert werden. Das komplexe System zur Beschränkung innerstaatlicher Zusammenarbeit ist nicht sachgerecht. Besonders für die digitale Transformation der deutschen Verwaltung ist die ausschreibungsfreie Zusammenarbeit der Verwaltung essenziell. In der föderal organisierten Bundesrepublik müssen über 30.000 unabhängige rechtliche Verwaltungseinheiten mit sicherer IT ausgestattet werden.

Dies kann nur durch intensive Kooperation gelingen. Das Onlinezugangsgesetz fordert: Die benötigten Leistungen werden arbeitsteilig entwickelt und dann allen Verwaltungseinheiten zur Verfügung gestellt („Efa-Prinzip“). Eine Ausschreibungspflicht jeglicher Leistungen von Verwaltung zu Verwaltung wäre das Ende der Kooperation. Eine arbeitsteilige Zuständigkeitsverteilung für die einzelnen IT-Bereiche wäre dann nicht mehr möglich. 

Essenziell für die digitale Transformation ist es also, dass die Verwaltung für derartige Kooperationen von der Ausschreibungspflicht befreit ist. Um Ausschreibungen zu vermeiden, haben Bund, Länder und Kommunen ein Geflecht von gemeinsamen Gesellschaften, Genossenschaften und Anstalten errichtet, über die sie vergaberechtsfrei kooperieren können.

Manche dieser Konstrukte sind „doppelstöckig“ gefasst. Eine kleinere Kommune kann so zum Beispiel über einen Verband auf Leistungen zugreifen, die der Verband bei einem anderen Verband bezieht, an dem wiederum der Auftragnehmer beteiligt ist. Diese Konstruktionen sind vorwiegend der Einhaltung des Vergaberechts geschuldet. 

Der Gesetzgeber muss nun reagieren

Mit dem Beschluss des OLG Naumburg kommt nun zusätzliche Unsicherheit ins System. „Halbschwesteraufträge“ wären nicht mehr zulässig, wenn der Beschluss von anderen Gerichten aufgegriffen würde. Dringend erforderlich ist es nun, dass der Gesetzgeber reagiert. Im Rahmen der ohnehin anstehenden Reform des Vergaberechts muss er die Regeln reformieren und Rechtssicherheit für die Verwaltungskooperation herstellen.

Dazu gehört zunächst eine Klarstellung im Hinblick auf die „Halbschwesteraufträge“. Darüber hinaus muss es zulässig sein, dass Institutionen der öffentlichen Hand untereinander kooperieren können, ohne dass sie in einem Konzernverhältnis stehen. Die Bundesrepublik Deutschland ist kein hierarchisch gegliederter Konzern. Die Bundesrepublik besteht vielmehr aus Bund, Ländern und Kommunen, die voneinander weitgehend weisungsunabhängig sind. Eine Kooperation muss also auch außerhalb der Weisungsabhängigkeit möglich sein. 

Eine grundlegende Reform ist sicherlich nur auf europäischer Ebene möglich. Die Bundesrepublik hat ein essenzielles Interesse, vergaberechtlich den Zentralstaaten wie beispielsweise Frankreich gleichgestellt zu werden. Da die Umsetzung europäischer Reformen bekanntermaßen schwierig und aufwändig ist, wäre im nächsten Schritt eine „kleine Lösung“ auf der Ebene des deutschen Gesetzgebers wünschenswert. Sie kann „im bestehenden System“ erfolgen. 

Martin Schellenberg ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek in Hamburg. Er ist für verschiedene Bundes- und Landesministerien im Bereich Verwaltungsdigitalisierung tätig. 

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