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Sustainable Finance

Standpunkte Wir brauchen eine europäische zirkuläre Wertschöpfungsidee

Claas Oehlmann, Geschäftsführer BDI-Initiative Circular Economy
Claas Oehlmann, Geschäftsführer BDI-Initiative Circular Economy Foto: BDI

Mithilfe einer zirkulären Wertschöpfung ließen sich Rohstoffe sehr viel nachhaltiger gebrauchen und CO2-Emissionen reduzieren. Zwar gibt es im Rahmen des Green Deal schon eine ganze Reihe an Regelungen für Unternehmen. Es fehlt aber noch an einer marktwirtschaftlichen Dynamik auf dem gesamten europäischen Binnenmarkt, schreibt Claas Oehlmann, Geschäftsführer der BDI-Initiative Circular Economy in seinem Standpunkt-Gastbeitrag.

von Claas Oehlmann

veröffentlicht am 30.05.2024

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Die Circular Economy oder zirkuläre Wertschöpfung ist seit einigen Jahren Bestandteil der politischen Agenda, öffentlicher Berichterstattung und zunehmend auch unternehmerischer Strategiediskurse. Dabei werden unzählige Aspekte des Wirtschaftens, Konsumierens und Zusammenlebens einbezogen. Es geht um den richtigen Umgang mit Abfällen und deren mögliche Nutzung als Rohstoff in der Produktion. Es geht aber zunehmend auch um die Möglichkeiten, Produkte länger zu nutzen, zu teilen und zu reparieren. Das Thema sollte aber längst nicht nur auf Agenda der europäischen Politik stehen, viele Unternehmen versuchen längst, Zirkularität als Teil ihrer Unternehmensstrategie zu implementieren. Mittelfristig führt daran ohnehin kein Weg vorbei.

Zirkuläre Wertschöpfung als positive Antwort

Denn allein der jährliche Ressourceneinsatz pro Person liegt in Deutschland bei gut 16 Tonnen, darin enthalten sind auch fossile Energieträger. Damit belegt Deutschland weltweit einen Spitzenplatz beim Rohstoffgebrauch, was angesichts einer industriell geprägten Volkswirtschaft nicht verwundern kann. Es ist allerdings kein Geheimnis, dass die Verfügbarkeit vieler Rohstoffe in der Natur begrenzt ist und der Abbau von Rohstoffen Auswirkungen auf die Umwelt hat und Treibhausgase erzeugt. Zudem sind Rohstoffe zunehmend Bestandteil geopolitischer Auseinandersetzungen.

Doch wie kann angesichts dessen eine Zukunftsvision aussehen, in der unsere Ökonomie und die Industrie weiterhin die Ressourcen für Innovationen, Investitionen und attraktive Arbeitsplätze zur Verfügung stellen? Ein Teil der Antwort auf diese Frage hängt mit der Art und Weise zusammen, wie wir zukünftig das Zusammenspiel von Produktion, Produkten, Konsum und Menschen gestalten.

Das Spannungsfeld der Circular Economy reicht von der klassischen Abfallbewirtschaftung bis hin zur neuen sogenannten R-Economy (Repair, refurbish, remanufacture, Reuse, rethink etc.). Ihr Wertschöpfungsmodell basiert auf einer Systemperspektive des Wirtschaftens, die den maximalen Werterhalt von Produkten, Materialien und Ressourcen anstrebt. Zentrale Säulen der Circular Economy sind daher:
– das auf Kreislauffähigkeit ausgerichtete Produktdesign
– die Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie für Produktions- und Verwertungsprozesse
– die Existenz von am Kreislaufgedanken ausgerichteten Geschäftsmodellen und Konsummustern.

Die Hierarchie zum Umgang mit Abfällen besteht aus den fünf Stufen: Vermeidung, Vorbereitung zur Wiederverwendung, Recycling, sonstige Verwertung und Beseitigung. Übergeordnete Ziele der Circular Economy sind die Schonung von Rohstoffvorkommen, die Verringerung von CO2-Emissionen und die Verringerung der Eingriffe in Ökosysteme. Doch wie passen industrielle Realität, politische Rahmenbedingungen und zirkuläre Vision zusammen?

Im Rahmen des Green Deal der Europäischen Union rückten in den vergangenen Jahren die Anforderungen an Produkte in den Mittelpunkt der politischen Debatte um die Kreislaufwirtschaft. Mit der Verabschiedung einer Ökodesign-Verordnung als Rahmen für die Entwicklung von Kriterien für zirkuläre Produkte (Langlebigkeit, Reparierbarkeit, Recyclingfähigkeit), einer Batterieverordnung, einer Verpackungsverordnung, einer Bauproduktverordnung, einer Verordnung zur Versorgung der EU mit kritischen Rohstoffen (Critical Raw Materials Act) und einer Richtlinie für die Ansprüche auf Reparatur bestimmter Produkte seien hier nur einige Beispiele genannt, die die Rahmenbedingungen für Produktion, Produkte und Rohstoffe der Circular Economy in den kommenden Jahren fundamental verändern können. Mit der kürzlich überarbeiteten Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung werden zudem erstmals auch Berichtpflichten zur zirkulären Performance von Unternehmen festgelegt.

In fünf Schritten von der Theorie zur Praxis

Mit dem in vielen Bereichen vollzogenen Perspektivwechsel, vom Abfall als Problem zu einem integrierten Ansatz, ist grundsätzlich der richtige Weg eingeschlagen. In den kommenden Jahren geht es nun darum, dass die politische Vision in eine unternehmerische und gesellschaftliche Praxis überführt wird. Wir haben daher jetzt die Chance und Aufgabe, ein neues und zukunftsfähiges Wertschöpfungsmodell zu gestalten. Folgende fünf Bereiche werden entscheidend sein:

1. Die genannten neuen Vorgaben für die Circular Economy müssen im Detail ausgestaltet werden. Dabei geht es zum Beispiel um Standards für das Produktdesign, wie etwa Reparaturoptionen, Recyclingfähigkeit oder Demontage. Es muss also gelingen, Expert:innen aus Unternehmen, Behörden, der Wissenschaft und Verbraucher:innen so in diese Prozesse zu integrieren, dass durch Transparenz eine möglichst hohe Akzeptanz und Verständnis entstehen. Nur wenn Wirtschaft und Gesellschaft auf dem Weg zu neuen Produkten und Formen der Produktnutzung mitgenommen werden, können neue Geschäftsmodelle und Konsummuster entstehen.

2. An Produkten sollen zukünftig digitale Produktpässe angebracht werden. Es geht dabei um Schnittstellen wie einen QR-Code, über die Informationen zum Produkt ausgelesen werden können. Dabei kann es sich um Informationen zu enthaltenen Rohstoffen, Demontage-Optionen oder schlichtweg um eine digitale Bedienungsanleitung handeln. Dieser Ansatz bietet die Chance, durch eine verbesserte Informationslage Produkte und Materialien länger und sicher in Kreisläufen zu führen. Wichtig ist jedoch, dass die technische Infrastruktur für Produktpässe allen Anwender:innen möglichst kostenlos zur Verfügung steht und die Datensammlung sicher und streng zweckorientiert erfolgt, um den Aufwand für alle Beteiligten innerhalb und außerhalb Europas zu rechtfertigen. Für Unternehmen muss zudem die Möglichkeit bestehen, neben den gesetzlichen Pflichten zur Datentransparenz auch daten-ökonomische Geschäftsmodelle mit ihren Produkten zu verknüpfen. Letztlich können digitale Produktpässe auch nur einen wirklichen Mehrwert entfalten, wenn alle am Wertschöpfungskreislauf Beteiligten, von Unternehmen über Behörden bis hin zu Konsument:innen, über eine entsprechende digitale Infrastruktur verfügen.

3. Zukünftig sollen Rohstoffe aus der Circular Economy vermehrt Primärrohstoffe ersetzen und damit einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit und Defossilisierung leisten. Aktuell liegt deren Anteil am Gesamtrohstoffeinsatz in Deutschland und Europa noch bei rund 13 Prozent. Dabei ist zu beachten, dass der Traum eines endlosen Rohstoffkreislaufs, der alle Bedarfe einer Volkswirtschaft abdeckt, aktuell unrealistisch ist. Der Einsatz von Rohstoffen der Circular Economy kann und muss aber deutlich gesteigert werden. Die Herstellung von Kunststoffen aus recycelten und biobasierten Materialien ist angesichts des Ausstiegs aus der Nutzung fossiler Rohstoffe wie Öl zum Beispiel zwangsläufig. Die Ziele zum Wohnungsbau und zur Sanierung, zum Ausbau der Schieneninfrastruktur oder die Produktion von Batterien für die Mobilitätswende sind aber allein mit zirkulären Rohstoffen nicht erreichbar. Daher wird eine differenzierte Strategie zur Versorgung mit Rohstoffen erforderlich sein, die nachhaltig gewonnene heimische und importierte Rohstoffe ebenso wie das zirkuläre Potenzial berücksichtigt. Eine solche Strategie kann und muss auch gut gerechtfertigte Eingriffe in Märkte erlauben, um zum Beispiel den Markthochlauf beim Recycling bestimmter Materialien zu unterstützen.

4. Die Verbindung zwischen Klimaschutz und Zirkularität muss stärker werden. Der Einsatz von recycelten Materialien allein spart oftmals erhebliche Mengen an Treibhausgasemissionen ein. Daher muss es für Unternehmen möglichst internationale Standards geben, wie durch zirkuläre Strategien (vom Repair bis zum Recycling) eingesparte Emissionen bilanziert und positiv angerechnet werden können.

5. Der Übergang zur zirkulären Wertschöpfung wird Investitionen und neue ökonomische Anreize erfordern. Dabei geht es um Investitionen in die Sammlung sowie in Anlagen zur Sortierung und Verwertung von Abfällen, die erforderliche Digitalisierung von Produktion, Produkten und Behörden bis zur Etablierung neuer Logistiksysteme. Daher müssen Anreize zur Mobilisierung von privatem und öffentlichem Kapital geschaffen werden, die zirkuläres Handeln von Unternehmen und Konsument:innen belohnen. Die öffentliche Hand, mit ihrem Beschaffungsvolumen von mehreren hundert Milliarden Euro jährlich allein in Deutschland, kann und muss hier ebenfalls eine Rolle spielen. Wichtig ist zudem, dass finanzielle Anreize und Maßnahmen nicht so komplex ausgestaltet werden, dass durch Betrieb und Personalintensität große Teile des intendierten Anreizes direkt wieder verloren gehen. Ausgangspunkt muss daher immer eine vorherige, valide Kosten-Nutzenanalyse sein.

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