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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Acht Learnings für ganzheitliche Mobilitätskonzepte

Anna Kracher, Senior Mobility Consultant, und Emil Pabst, Geschäftsleiter und Prokurist bei Veomo
Anna Kracher, Senior Mobility Consultant, und Emil Pabst, Geschäftsleiter und Prokurist bei Veomo Foto: PR

Um Städte lebenswert zu gestalten, sollte Mobilität bei der Planung und dem Bau neuer Immobilien mitgedacht werden. Dabei kommt es unter anderem auf eine genaue Standortanalyse und den regulatorischen Rahmen an.

von Anna Kracher und Emil Pabst

veröffentlicht am 19.03.2024

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Im Kontext wachsender Urbanisierung und sich wandelnder gesellschaftlicher Mobilitätsbedürfnisse steht die Frage im Zentrum, wie wir unsere Räume lebenswert gestalten möchten. Einen großen Einfluss auf die Stadt- und Regionalplanung hat dabei das Thema Mobilität. Neben kommunalen Akteuren trägt die Immobilienbranche als Gestalter von Lebensräumen eine große Verantwortung für die Schaffung attraktiver Mobilitätsangebote vor Ort. Durch die Planung und Umsetzung von Mobilitätslösungen in der Entwicklung und Verwaltung von Immobilien kann die Branche einen entscheidenden Beitrag leisten, um nachhaltiges Mobilitätsverhalten zu fördern. 

Im Alltag bedeutet dies, dass die Infrastruktur am Standort, – sei es der Wohnort, das Büro, der Nahversorger, das Fitnessstudio oder der Friseur –, maßgeblich beeinflusst, wie wir Wege zurücklegen. Die Entscheidung für das Auto, Fahrrad, öffentlichen Nahverkehr oder Sharing wird also durch die Angebote am Ausgangs- und Zielpunkt bestimmt. Im Rahmen von Mobilitätskonzepten für eine Immobilie oder ein Quartier werden die relevanten Einflussfaktoren von Mobilität analysiert und abgeleitet, basierend auf den Erkenntnissen, Handlungsmaßnahmen in unterschiedlichen Aktionsfeldern (unter anderem Fahrrad, Sharing, Pkw, Logistik, Mobilitätsmanagement). 

Im Folgenden werden acht wesentliche Erkenntnisse aus der Erstellung ganzheitlicher Mobilitätskonzepte zusammengefasst. Diese Learnings sind nicht zuletzt für Akteure der Immobilienbranche relevant, sondern bieten grundlegende Erkenntnisse, wie die Gestaltung von Mobilität zu zukünftigen Lebensräumen beitragen kann. 

1. Menschen in den Mittelpunkt 

Eine zentrale Herausforderung der Immobilienbranche ist, zu einem frühen Zeitpunkt die Bedürfnisse der zukünftigen Nutzergruppen mitzudenken. Weil Immobilien stets für Menschen geplant und errichtet werden, ist es unerlässlich, Mobilitätslösungen entsprechend den Anforderungen der Nutzenden auszurichten. Hierbei beeinflussen individuelle Faktoren wie Alter, finanzielle Mittel und gesundheitlicher Zustand, sowie die Wahl des Verkehrsmittels. In der Planung von Immobilien können Bedarfsanalysen eine zielgruppenspezifische Mobilität ermöglichen. Basierend auf der Erstellung von Nutzerprofilen und der Analyse des Mobilitätsverhaltens werden die Anforderungen an Mobilität am Standort abgeleitet. 

2. Standortanalyse endet nicht mit Google Maps 

Jede Projektentwicklung ist aufgrund der Anbindung, Nutzung, Mikro- und Makrolage einzigartig in Bezug auf die Anforderungen an Mobilität. Die Erreichbarkeit wichtiger Orte des täglichen Bedarfs sowie von Verkehrsknotenpunkten haben hierbei Einfluss auf die Anzahl und Länge der Wege, die im Alltag zurückgelegt werden. Im Sinne des Konzepts der 15-Minuten-Stadt ist hierbei unter anderem die Erreichbarkeit aktueller und geplanter Angebote für Einzelhandel, Schulen und KiTas, sowie Mobilitätsinfrastruktur im ÖPNV- und Sharing-Bereich relevant. Eine umfangreiche Analyse des Standortes ist damit essenziell für den Erfolg eines Mobilitätskonzepts und bildet die Grundlage für weitere Handlungsempfehlungen.

3. Es geht nicht ohne die Stadt und Gemeinde 

Kommunale Regelungen wie Stellplatzsatzungen beeinflussen die Handlungsspielräume von Projektentwicklern bei der Gestaltung von Mobilität. Der regulatorische Rahmen, in dem sich eine Immobilienentwicklung bewegt, ist dabei oftmals starr. Hier kann ein Spannungsfeld zwischen den festen Rahmenbedingungen und dem Bedarf nach Flexibilität entstehen, welches im Endeffekt die Schaffung neuen Wohnraums beeinträchtigt. Daher ist es wichtig, flexible Regelwerke zu schaffen, welche auf individuelle, lage- und nutzerspezifische Bedürfnisse eingehen. Um einen Konsens zu schaffen, können außerdem Bürgerbeteiligungen sowie städtebauliche Verfahren den Dialog fördern.

4. Lieber früher als später 

Die ganzheitliche Betrachtung von Mobilität sollte bereits in den frühen Planungsphasen erfolgen, denn Mobilitätsangebote beanspruchen eine beachtliche Fläche, welche die Pläne grundlegend beeinflusst. Praktisch bedeutet das, dass ein Fahrrad etwa 1,5 Quadratmeter, ein Lastenrad circa 3 und ein Pkw-Stellplatz im Durchschnitt zwölf Quadratmeter Abstellfläche einnimmt – zuzüglich von Verkehrsflächen. Durch eine frühzeitige Betrachtung können Handlungsspielräume geprüft werden, in denen mögliche Mobilitätsangebote entsprechend eingeplant sind.

5. Mobilität endet nicht mit der Tiefgaragen-Planung 

Zukunftsfähige Mobilität geht über die reine Bereitstellung von Tiefgaragenstellplätzen hinaus und setzt auf eine breite Palette an Angeboten, um den vielfältigen Mobilitätsbedürfnissen gerecht zu werden. Wichtige Überlegungen sind beispielsweise die Verortung nutzerfreundlicher Fahrradabstellanlagen in eingangsnahen, überdachten Außenanlagen und innerhalb von Fahrradräumen im Erdgeschoss oder in der Tiefgarage, welche über eine Rampe erreichbar ist. Zusätzlich können in sogenannten Mobility Hubs verschiedene Mobilitätsformen (unter anderem Sharing, Fahrrad, Pkw) gebündelt werden. Durch die Integration von weiteren Nutzungsformen (zum Beispiel Einzelhandel, Coworking) können diese neuen Räume außerdem als gesellschaftlicher Treffpunkt fungieren. 

6. Innovation liegt in der Detailarbeit 

Ein innovatives Konzept zeichnet sich nicht in erster Linie durch die Integration futuristischer Verkehrsmittel wie dem Flugtaxi aus, sondern durch ein detailliertes Verständnis über die Handhabung einzelner Mobilitätslösungen. Denn die Nutzung scheitert oftmals nicht an dem Innovationsgrad der Maßnahme, sondern an der Ausgestaltung und Umsetzung kleinster Details. Wenn die Nutzerperspektive bei der Konzeption unberücksichtigt bleibt, kann dies zu Nichtwissen, falscher Handhabung und sogar zur Abkehr einer Mobilitätslösung führen. Deswegen ist es wichtig, innerhalb von Mobilitätskonzepten die Umsetzung und Kommunikation einzelner Mobilitätsbausteine mitzudenken.

7. Das Mobilitätskonzept entwickelt sich

Wie insbesondere die letzten Jahre gezeigt haben, wandeln sich Mobilitätsbedürfnisse über die Zeit. Während vor fünf Jahren noch kaum jemand über autoreduzierte oder autofreie Quartiere gesprochen hat und der Fokus rein auf den starren regulatorischen Anforderungen für Pkw-Stellplätze beruhte, läuft heute kaum ein Bauvorhaben ohne ein Mobilitätskonzept. Umso wichtiger ist es, dass ein Mobilitätskonzept einem fortlaufenden Entwicklungsprozess unterliegt und regelmäßig auf sich ändernde Nutzeransprüche überprüft und angepasst wird. In einer frühen konzeptionellen Phase können beispielsweise Flächennutzungen flexibel eingeplant werden. Modulare Bauweisen von Hochgaragen können in der Planung und im Bau Flexibilität bieten. Im Betrieb kann durch einen Evaluationsprozess der Mobilitätsangebote auf Veränderungen reagiert werden.

8. Es lohnt sich 

Eine ganzheitliche Betrachtung von Mobilität bewährt sich durch einen sozialen, ökologischen und ökonomischen Mehrwert. Die Anpassung der Anzahl von Pkw-Stellplätzen an den tatsächlichen Bedarf und die Verlagerung in Hochgaragen trägt dazu bei, Ressourcen und Emissionen zu reduzieren. Geringere Baukosten durch die Einsparung von Stellplätzen können sich auch in niedrigeren Mietpreisen widerspiegeln und finanzieren nachhaltige Mobilitätslösungen. Ein geringerer Versiegelungsgrad von Freiflächen schafft Raum für Grünflächen, wodurch Hitzeinseln wird und die Aufnahmekapazität von Starkregen verbessert wird. Die Förderung von Fuß- und Fahrradinfrastruktur unterstützt außerdem die aktive Mobilität, die nicht nur die Gesundheit eines Individuums fördert, sondern auch langfristig gesellschaftliche Kosten reduziert. Ein ganzheitliches Mobilitätskonzept, welches unter den Aspekten der sozialen, ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit erstellt wird, trägt somit aktiv zur Verbesserung unserer Lebensräume bei. 

Fazit

Die frühzeitige Berücksichtigung von Mobilität bei Immobilienentwicklungen eröffnet die Möglichkeit, bedarfsgerechte Mobilitätsangebote in Immobilien zu integrieren und ist somit entscheidend für die Zukunftsfähigkeit unserer Städte. Hierbei ist von zentraler Bedeutung, Mobilität am Standort nicht isoliert zu betrachten, sondern sie nahtlos in eine umfassende Infrastruktur einzubetten. Dies bildet die Grundlage für den Mobilitätswandel und ermöglicht damit nachhaltige und lebenswerte Räume für heutige und kommende Generationen.

Die Autorin spricht zu dem Thema heute auf der Konferenz Mobilität und Immobilien in Düsseldorf.

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