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Standpunkte Bahn und Wissing gehen lässig mit Steuergeld um

Thomas Ehrmann, Professor am Institut für strategisches Management, Universität Münster
Thomas Ehrmann, Professor am Institut für strategisches Management, Universität Münster Foto: promo

Die Steuerung der Deutschen Bahn durch den Bund ist ein Desaster. So zeichnet sich ab, dass die in „Eigenverantwortung“ der Bahn ablaufende Generalsanierung des Schienennetzes Flickwerk werden wird: zu teuer, zu wenig und mit unklarer Mittelverwendung.

von Thomas Ehrmann

veröffentlicht am 05.03.2024

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Stolz verkünden Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und die Deutsche Bahn: Das derzeit hochbelastete Netz soll bis 2030 zum Hochleistungsnetz ausgebaut werden. Mehr Qualität, mehr Pünktlichkeit und deutlich weniger Störungen an der Infrastruktur: Dafür macht die DB auf 40 Streckenabschnitten mit einer Gesamtlänge von mehr als 4000 Kilometern in den kommenden Jahren eine Generalsanierung.

Als Begründung für diese Generalsanierung gibt Infrastrukturvorstand Berthold Huber an: Das Netz sei „zu voll, zu alt, zu kaputt“.  Warum benötigt die Bahninfrastruktur eine Generalsanierung? Das Netz wird schließlich seit 2008 vom Bund hinsichtlich der Ersatzinvestitionen der Infrastruktursparte auf Basis der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) finanziert. Die DB Netz verpflichtet sich darin, Ersatzinvestitionen in die Schienenwege mindestens in einer vereinbarten Höhe vorzunehmen, einen Mindestinstandhaltungsbeitrag zu leisten, einen Eigenbeitrag für die Erhaltung des Bestandsnetzes einzusetzen und ihre Schienenwege in einem qualitativ hochwertigen Zustand zu erhalten. Es gibt mit Sanktionen bewehrte Qualitätskennzahlen. Bei Nichterreichung könnte der Bund seinen Infrastrukturbeitrag ganz oder teilweise zurückfordern.

Die DB liefert also seit 2008 Qualitätskennzahlen für einen jährlichen Infrastrukturzustandsbericht. Bis Ende 2022 war die Qualität des Netzes laut dieser Berichte und laut Eigeneinschätzung der DB AG in Ordnung. (Von den Informationen von Wettbewerbern und Bahnkunden sei hier einmal abgesehen, die dem Ministerium schon früh andere Einschätzungen geliefert haben.)

Kennzahlen von der Bahn bewusst anspruchslos gewählt

Aus dieser Perspektive hätte also Ende 2022 weder die Bahn noch das Ministerium die Generalsanierung ausrufen können. Bevor vielleicht jemand anders auf den Gedanken kommt, hat die Bahn einen eigenen, sehr kritischen Netzzustandsbericht nach anderen Kennzahlen erstellt. Bahnchef Richard Lutz hat selbst zugegeben, dass die in den Qualitätsberichten verwendeten Key Performance Indicators (KPI) so gewählt waren, dass sie immer leicht zu erreichen waren.

Die DB AG hat gemacht, was man Big Bath Accounting nennt: Sie hat den Zustand des Netzes so dramatisch dargestellt, dass sie die Regierung quasi drängte, weitere Mittel über die LuFV hinaus für die Herstellung eines ordnungsgemäßen Zustandes bereitzustellen. Man muss sich als Bahn dann nicht mit einem nur auf dem Papier einwandfreien Netz herumschlagen, nein, man kann sich dafür feiern lassen, das Netz aus einem sehr schlimmen Zustand in einen halbwegs erträglichen zu überführen. Die Bahn hat des Weiteren die Schuld für den schlechten Zustand des Netzes dem Bund zugeschoben, da dieser zu wenig in das Bahnnetz investiert habe. Mit der Losung von Minister Wissing „keine Ursachenforschung, sondern positiver Blick nach vorne“ bleibt diese Behauptung der Bahn unwidersprochen.

Nicht das Ministerium, das mit Steuern die Bestandsnetzfinanzierung gewährleistet, hat festgestellt, dass die Bahn es versäumt hat, eine ordentliche Gegenleistung für die Mittel zu erbringen. Nein, der Mittelempfänger selbst weist öffentlich darauf hin, dass die Kontrolle des Mittelgebers schwach war. Das ist, als ob ein dauernd durchfallender Schüler, der seinen ihn alimentierenden Eltern immer positive Schulgeschichten erzählt hat, diesen eines Tages zuruft: „Ihr qualifiziert euch aber auch täglich schlechter.“

Nun reagieren Eltern zeitnah auf alle Anzeichen für Schulversagen, zumal, wenn sie ihren Schützlingen einimpfen: bitte keine Überraschungen. Die Bahn hätte seit 2008 Zeit gehabt, selbst auf eine unzulängliche Finanzierung des Bestandsnetzes hinzuweisen. Der Staat hätte sich mehr um die Mittelverwendung bei der Bahn kümmern müssen.

Nur als Hinweise für eine zukünftige Ursachenanalyse: Die DB Netz hat von 2011 bis 2021 knapp 2,3 Milliarden Euro über Ergebnisabführungsverträge an die DB AG abgeführt. Zusätzlich erhielt die DB Netz in 2017 eine Milliarde neues Eigenkapital. Über die Zeit ist eine Erhöhung des Anlagenalters bei der DB Netz zu konstatieren, mithin scheinen die Ersatzinvestitionsmaßnahmen der LuFV nicht großflächig gegriffen zu haben.

Verzicht des Ministers auf Ursachenanalyse

Der Verzicht des Ministers auf Ursachenanalyse ermöglicht neben der Schuldzuweisung der Bahn wieder ex ante einen lässigen Umgang mit Steuergeld. Was sind bei der locker beschriebenen Generalsanierung Investitionen und was Instandhaltung? Bei Investitionen wird der Vermögensgegenstand über den ursprünglichen Zustand hinaus erweitert. Instandhaltungsaufwand liegt dann vor, wenn nur dessen uneingeschränkte Nutzungsfähigkeit wiederhergestellt wird.

Das bisherige Finanzierungsmodell der LuFV baute darauf, dass die Bahn selbst den vereinbarten Mindestqualitätszustand durch Instandhaltung mit eigenen Mitteln zu finanzieren hat. Ersatzinvestitionen werden vom Bund finanziert. Wird also bei der Ausrufung der Generalsanierung die Unterlassung von Instandhaltung einfach unter den Teppich gekehrt? Was soll mit dem neuen Geld passieren?

Die Mittel für Generalsanierung werden als Eigenkapital ausgereicht (siehe Artikel oben). Das heißt: Die Verwendung obliegt ohne Verwendungsnachweise nur den Organen der Unternehmensgesellschaften und kann damit nicht weiter nachverfolgt werden. Die Eigenkapitalausreichung erfolgt auch – Glück im Unglück für die DB –, weil die Beteiligung an Staatsunternehmen außerhalb der Schuldengrenze läuft. Man stelle sich vor, die Generalsanierung würde zum Beispiel wie bei der Commerzbank über Fremdkapital finanziert, für das der Bund eine Garantie leistet. Solche Hilfen sind genau fixiert und überwacht worden, was bei Eigenkapital definitionsgemäß unmöglich ist. 

Es wird uns sprachlich suggeriert, dass dieses Hochleistungsnetz etwas ganz Neues sei. Bei Ansicht einer Karte des deutschen Netzes gilt „zu voll, zu alt und zu kaputt“ uneingeschränkt. Ohne Ausbaumaßnahmen, also neue Investitionen, die bei der Generalsanierung praktisch nicht vorgesehen sind, wird sich an dem Urteil „zu voll“ schon wegen der Verkehrszunahmen nichts ändern.

Keine finanziellen Einbußen aufgrund schlechter Leistung

Es ist fraglich, ob angesichts jetzt schon absehbarer Baukostenüberschreitungen und Bauzeitverlängerungen auch nur die Kapazitätserhaltung gelingt. Sicher ist aber, mit der Generalsanierung werden die Wettbewerber Probleme bekommen, die auf dem in der Sanierungsphase an Kapazitätsrückgang leidenden Netz weiter ihr Geschäft betreiben müssen. Ausweichrouten etc. werden nicht frühzeitig, überhaupt nicht oder nicht kostengünstig zur Verfügung gestellt. 

Eine Ursachenanalyse des LuFV-Desasters ist wichtig, weil ohne Kenntnis der Systemfehler diese nicht abzustellen sind. Bei der Generalsanierung handelt es sich um ein klassisches Moral Hazard Problem. Die DB AG hat gegenüber dem Eisenbahn-Bundesamt (EBA) und dem Ministerium Informationsvorteile. Diese haben der DB AG erlaubt, ihre Situation lange Zeit gut darzustellen, sodass sie keinerlei Finanzierungseinbußen aufgrund von Minderqualität zu erwarten hatte.

Die LuFV wurde von der DB als Grundfinanzierung genutzt, wohl wissend, dass man einseitig auf Qualitätsverschlechterung setzen konnte, weil es keine Sanktionen geben würde. Es hat sich damit aus Sicht der Bahn gelohnt, Instandhaltung zu unterlassen, weil man wusste, dass es zu einem Bail-out durch den Bund kommen würde. Es zeichnet sich ab, dass die ohne entscheidend verbesserte Kontrolle des Bundes in „Eigenverantwortung“ der Bahn ablaufende Generalsanierung wahrscheinlich Flickwerk werden wird: zu teuer, zu wenig und mit unklarer Mittelverwendung.

Auf dem Weg dahin werden Wettbewerbsunternehmen wegen weiterer Minderleistungen unter wirtschaftlichen Druck gesetzt. In einigen Jahren wird wahrscheinlich die Bahn der dann aktuellen Ministerin die Generalsanierungsprobleme von Ex-Minister Wissing zuschieben. Man hofft dann auf Widerspruch.

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