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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Berlin könnte Blaupause für Nachhaltigkeit liefern

Alexander Mönch, Präsident von Free Now in Deutschland und Österreich
Alexander Mönch, Präsident von Free Now in Deutschland und Österreich Foto: Foto: PR

Die Digitalisierung macht möglich, dass Mietwagen ad hoc und Taxi-ähnlich vermittelt werden. Aus Sicht der Fahrgäste eine Innovation und preisgünstige Alternative. Soweit die Theorie. In der Praxis höhlen illegale Wettbewerber das Taxigewerbe aus und vernichten eine wichtige Säule des ÖPNV.

von Alexander Mönch

veröffentlicht am 19.04.2024

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Wer in Berlin in ein Taxi steigt und mit den Fahrerinnen und Fahrern spricht, stellt schnell fest, dass sich viel Frust angestaut hat in der Hauptstadt. Frust gepaart mit Ärger, verlorenen Hoffnungen und klaren Forderungen an die Politik. Ein ungleicher und unfairer Wettbewerb auf den Straßen zwischen Spandau und Flughafen BER hat zu einer Entwicklung geführt, die Taxiunternehmer immer häufiger zur Aufgabe zwingt. 

Zu hart ist die Konkurrenz durch Mietwagen-Plattformen aus den USA oder dem Baltikum. Zu groß ist die Flexibilität, mit der Wettbewerber das Taxi preislich unterbieten dürfen und zu tief ist das dunkle Loch krimineller Strukturen im Geschäft mit Taxi-ähnlichen Mietwagen mit Fahrer.

Doch der Reihe nach: Das Taxi ist integraler Bestandteil des ÖPNV und genießt neben privilegierten Rechten (Aufnahme von Fahrgästen an vorgesehenen Halteplätzen und auf Anforderung am Straßenrand, reduzierter Mehrwertsteuersatz) auch gewisse Pflichten (Betriebspflicht, Beförderungspflicht oder Tarifpflicht). Der Mietwagen hingegen, seit den 1960er-Jahren im Personenbeförderungsgesetz verankert, darf seine Aufträge nur vom Betriebssitz aus durchführen, muss den vollen Umsatzsteuersatz erheben, darf aber dafür die Preise frei festlegen. 

In der Theorie belebt Konkurrenz das Geschäft

Die Abgrenzung zwischen Taxi und Mietwagen manifestiert sich also insbesondere durch die Tatsache, dass sich Mietwagen nicht frei in der Stadt bewegen und nach Aufträgen suchen dürfen. Historisch betrachtet war der Mietwagen insbesondere in Städten ein Transportmittel für ein anspruchsvolles Publikum und aufgrund dessen stets teurer als ein Taxi.

Der technische Fortschritt (Smartphone-Apps) hat ermöglicht, dass seit über fünf Jahren auch Mietwagen ad hoc und damit Taxi-ähnlich vermittelt werden. Das ist auf den ersten Blick innovativ, und es gab nicht wenige, die sagten, dass Taxis auch ruhig ein wenig Konkurrenz vertragen könnten. Die belebt bekanntlich das Geschäft und fördert die Qualität. Soweit die (im Grundsatz richtige) Theorie.

Bei genauem Hinsehen funktioniert die Theorie vom gesunden Wettbewerb aber nur, wenn alle Marktteilnehmer die gleichen Chancen haben. Und wenn wir uns darüber einig sind, dass Regeln zwar kritisiert und von Innovatoren strapaziert, aber nicht dauerhaft von ihnen gebrochen werden dürfen. Und dass, wenn diese Regeln dauerhaft gebrochen werden, die Politik und zuständige Behörden einschreiten und dem ein Ende bereiten müssen.

Gleiche Regeln für gleiche Dienstleistungen

Taxis und die von Plattformen vermittelten Mietwagen mit Fahrer bieten aus Fahrgast-Sicht exakt den gleichen Service. Einen bestellten Ad-hoc-Transport von A nach B gegen Entgelt. Wir sollten uns also darüber einig sein, dass die gleichen Services auch den gleichen Regeln unterliegen müssen. Denn nur dann ist der Wettbewerb fair, und alle Beteiligten haben die gleichen Chancen.

Im aktuellen Wettrennen gegen Mietwagen verliert die Taxibranche nicht nur Meter um Meter, sondern kann auf Dauer gar nicht mehr durch die Ziellinie kommen oder nochmal alle Reserven mobilisieren. Durch Subventionen haben sich Mietwagenunternehmen aufgebaut, die den Taxis die preisgünstigen Touren zum Teil weit unterhalb des kommunal verordneten Taxitarifs wegfahren. 

Viele Fahrgäste waren (nachvollziehbar) begeistert und wechselten vom Taxi oder der Straßenbahn in den billigen Mietwagen. Was sie nicht wissen, ist, dass der Mietwagen das Taxigewerbe aushöhlt und damit einen Teil der für viele Zielgruppen wichtigen Säule des ÖPNV vernichtet. Das Mietwagengewerbe selbst ist in seiner Billigstrategie nicht überlebensfähig und fördert somit zwangsläufig illegale Strukturen. 

Steuerhinterziehung und illegale Konzessionen

In den letzten Wochen und Monaten ist allerhand aufgedeckt worden: Steuerhinterziehung, Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz, weder Auftragseingang am noch Rückkehr zum Betriebssitz, illegale Konzessionen und gefakte Betriebsstätten etc. Als Fahrgast muss man unsicher sein, ob der Transport von registrierten Unternehmen und damit unter anderem unfallversichert erfolgt. 

Mehr als 12.000 Autos fahren durch die Bundeshauptstadt, doch kaum einer kommt legal über die Runden. Der von Free Now seit langem geforderte Datenaustausch zwischen Plattformen und der Genehmigungsbehörde Labo findet nun endlich statt. In der Folge dürfte die Anzahl der vermittelten Mietwagen deutlich reduziert werden. Andere Städte sollten diesem Beispiel folgen.

Zurück zum fairen Wettbewerb mit einer klaren Forderung an alle Großstädte, in denen sich der Taxi-ähnliche Mietwagen etabliert hat:

  1. Einführung eines Taxi-Tarifkorridors, innerhalb dessen es möglich ist, dem Fahrgast vorab einen verbindlichen Festpreis für eine Tour anzubieten. In München hat sich dieses Modell bereits etabliert und bewährt.
  2. Einführung eines Mindestbeförderungsentgelts für den Mietwagen auf Höhe des Taxitarifs beziehungsweise der Untergrenze des Taxi-Tarifkorridors. Erst dieses Instrument etabliert den fairen Wettbewerb und verhindert – nicht weniger wichtig – Sozialdumping.

Stakeholder des Gewerbes sollten neue Regeln festlegen

Auf dieser Basis sollten sich dann alle Stakeholder des Gewerbes treffen (Taxizentralen, Plattformen, Verbände, Genehmigungsbehörden, die Industrie- und Handelskammer und Verkehrspolitiker) und diskutieren, welche Regeln als veraltet gelten, welche neu hinzugefügt gehören und wie Qualität und Sicherheit gewährleistet werden können. 

Wie sollte ein moderner Gelegenheitsverkehr aussehen, würde man ihn heute erfinden? Bestenfalls bildet der so gebildete kleinste gemeinsame Nenner die Basis für die nächste Reform des Personenbeförderungsgesetzes.

Die Zukunft und Perspektive des Taxis sind aus unserer Sicht klar. Mit fairen Rahmenbedingungen bietet das Taxi eine komfortable, kundenfreundliche und vor allem wettbewerbsfähige Alternative im städtischen Gelegenheitsverkehr. Es kann durch eTaxi-Initiativen, die Einbindung in On-Demand-Dienste des ÖPNV, mit einer höheren Anzahl an rollstuhlgerechten Taxen etc. zu einer maßgeblichen Säule der Mobilitätswende werden. 

Erste Schritte zu fairen Wettbewerbsbedingungen

Dafür muss es intensiv in die Verkehrsplanungen und die ÖPNV-Anbindung neuer und bestehender Stadtquartiere integriert und als essenzieller Akteur betrachtet werden. Durch die Digitalisierung und die Nutzung von Multi-Mobilitäts-Apps wie Free Now ist das Taxi zugänglicher und einfacher zu nutzen als jemals zuvor. 

Durch die effiziente Nutzung von Fahrzeugkapazitäten und die flexible Anpassung an die Nachfrage trägt das Taxi dazu bei, die Verkehrsbelastung in städtischen Gebieten zu verringern und die Lebensqualität der Bewohner und Bewohnerinnen zu verbessern. 

Der Weg ist frei für eine gerechtere Zukunft des Taxigewerbes in Berlin. Die angekündigten Festpreise und die Prüfung von Mindesttarifen für Mietwagen markieren einen wichtigen Schritt hin zu fairen Wettbewerbsbedingungen. An diese erfreuliche Entwicklung lässt sich nun weiter anknüpfen.

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