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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Blitzerwarnungen: Deregulierung als Schlüssel zu mehr Wachstum?

Christian Øyrabø, CEO des dänischen Tech-Unternehmens Ooono
Christian Øyrabø, CEO des dänischen Tech-Unternehmens Ooono

Geräte und Apps wie der „Co-Driver“ von Ooono warnen Autofahrer:innen unter anderem vor Blitzern. Blitzerwarnungen werden in Deutschland kontrovers diskutiert, weil damit laut Kritiker:innen das System „ausgetrickst“ werden würde. Das ist bedauerlich, denn so verhindert die Politik Innovation.

von Walther Øyrabø

veröffentlicht am 20.09.2023

aktualisiert am 21.09.2023

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Würde ich ein überstrapaziertes politisches „Instrument“ in der Geschichte benennen müssen, dann wäre es wohl die Prohibition. Aber funktioniert sie wirklich wie beabsichtigt? Meistens hat sie eine abschreckende Wirkung. Dennoch sieht man oft, dass die Menschen auf erfinderische Wege kommen, um ein Verbot zu umgehen. Schweden etwa verbietet den freien Verkauf von Alkohol. Vielleicht ist das der Grund, warum die Schwedinnen und Schweden zu den Menschen gehören, die am meisten Zucker kaufen. Nun, wer schon einmal eine Hausbrennerei gesehen hat, weiß: Zucker ist eine wesentliche Zutat für die Herstellung von Alkohol.

Auch im Verkehr unterliegen Gesetze und Verordnungen derselben Kontroverse – sie bestehen hauptsächlich aus Verboten und strengen, wenig interpretierbaren Regeln. Das Ergebnis ist, dass die Gesetzgebung auf diesem Gebiet selten innoviert wird und kaum infrage gestellt wird. Aber ist das richtig so? 

Die deutschen Behörden haben sich dafür entschieden, Warnungen vor Geschwindigkeitskontrollen (oder auch: Blitzern), zu verbieten, im Gegensatz zu allen Nachbarländern – mit Ausnahme der Schweiz. Das gilt auch für Warnungen, die von Autofahrer:in zu Autofahrer:in kommuniziert werden, um sich gegenseitig im Straßenverkehr zu unterstützen. Das Argument für das Verbot: Die Fahrer:innen würden das System „austricksen“, wenn sie eine App oder ein Gerät mit diesen Funktionen verwenden. Die meisten dieser Kommunikationstools bieten jedoch auch andere, legale Arten von Hinweisen, zum Beispiel Warnungen vor Gefahren im Straßenverkehr oder Rotlichtkameras.

Blitzerwarnungen verhindern, dass Autofahrer zu schnell fahren

Nehmen wir letzteres als Ausgangspunkt: Eine Warnung vor einer Rotlichtkamera soll dazu dienen, zu verhindern, dass Autofahrer bei Rot über die Ampel fahren, was tragische Folgen haben kann. Man könnte genauso gut argumentieren, dass eine Warnung vor einer Geschwindigkeitskamera dazu beitragen soll, dass Autofahrer nicht zu schnell fahren.

Schließlich sind zu hohe Geschwindigkeiten ebenfalls äußerst riskant: Bei Unfällen können nicht nur Tragödien geschehen. Oft sind auch Hunderte oder Tausende von Menschen stundenlang im Stau gefangen, was wiederum negative Konsequenzen nach sich zieht, wie etwa den Verlust ertragreicher Arbeitszeit oder hohe Behandlungskosten bei Unfällen. Am Ende stellt sich also die Frage, ob die Einnahmen durch geahndete Geschwindigkeitsverstöße der richtige, moralisch vertretbare und letztendlich profitablere Weg sind.

Die Autofahrer:innen scheinen genauso zu denken, denn sie informieren sich weiterhin gegenseitig – sei es über eine App, ein Gerät oder ein Online-Forum. Denn, wie gesagt, Menschen finden kreative Wege, um bestimmte Vorschriften zu umgehen. Produkte und Dienstleistungen entwickeln sich weiter –  warum nicht auch das Verkehrsrecht?

Gesetzgebung steht Innovationen im Weg 

Viele Produkte und Dienstleistungen sind noch nicht ausgereift, wenn sie auf den Markt kommen. Sie richten sich anfangs oft an die Konsument:innen, die ein ganz bestimmtes Problem gelöst haben wollen. Wer in den 70er Jahren geboren wurde, erinnert sich vielleicht noch daran, dass ein Telefon nicht viel mehr konnte als telefonieren. Heute kann ein Smartphone im Grunde genommen ein Raumschiff landen. Dasselbe gilt für viele andere Produkte. Wenn die Konsument:innen das einfache Produkt angenommen haben, beginnt der Kopf zu arbeiten – sowohl bei den Konsument:innen als auch bei den Unternehmern – und neue Innovationen folgen. 

Wer sich eine App oder ein Gerät zulegt, das über Geschwindigkeitskontrollen informiert, will mehr: Informationen über Unfälle, plötzliche Stauenden, ein liegengebliebenes Fahrzeug oder Fahrzeugteile am Straßenrand, Fahrstrecken oder über freie Parkplätze. Nur die Fantasie setzt dabei Grenzen. Oh, und offenbar auch die Gesetzgebung. Im Moment steht die nämlich im Weg neuer Innovationen, weil so eine App oder so ein Gerät in den Augen einiger nicht angemessen ist. 

Ich hatte das Glück, bereits mit vielen deutschen Politiker:innen zu sprechen. Jedes Mal, wenn ich sie mit diesem Dilemma konfrontiere, erkennt die Mehrheit an, dass die aktuelle Gesetzgebung keinen Sinn macht. Andere schlagen vor, die Blitzerfunktion zu entfernen, aber das wäre so, als würde man ein Smartphone kaufen und die Möglichkeit, Anrufe zu tätigen und zu empfangen, deaktivieren. 

Doppelmoral beim Gesetzgeber

Die meisten Menschen kaufen sich ein Telefon, um mit der Außenwelt zu kommunizieren. Dabei sollten alle Einschränkungen der Kommunikation immer sorgfältig abgewogen werden, damit wir nicht in Zensur enden. Theoretisch kann man also derzeit an einem Blitzer vorbeifahren, eine:n Freund:in anrufen und ihn oder sie darüber informieren. Mit einem einzigen Knopfdruck auf die App oder das Gerät ist das jedoch nicht erlaubt.

Warum sollte das Teilen von Information nur auf den näheren Umkreis beschränkt, und nicht innerhalb einer ganzen Community erlaubt sein? So wie im Radio, denn hier ist das öffentliche Teilen der Standorte von Geschwindigkeitskontrollen wiederum erlaubt. Für mich klingt das nach Doppelmoral.

Es ist kein Geheimnis, dass Technologie neue Möglichkeiten schafft. Aus diesem Grund würde ich mir wünschen, dass Politiker:innen visionärer sind und etwas aus diesen Möglichkeiten machen, statt sie einzuschränken. Die Welt verändert sich, und das sollten auch die Gesetze. 

Deregulierung als Voraussetzung für Fortschritt

Wir sind es gewohnt, dass neue Technologien von den großen Tech-Konzernen in den USA kommen, die wir ohne größere Einwände konsumieren. Gleichzeitig haben wir europäische Politiker:innen, die verzweifelt versuchen, vergleichbare Tech-Unternehmen in Europa aufzubauen. Allerdings sind sie nicht bereit, die notwendigen Deregulierungen vorzunehmen, um es zu ermöglichen, ein massives Tech-Unternehmen in Europa zu gründen und wachsen zu lassen. Das Argument lautet in der Regel, dass die Führung eines Unternehmens immer innerhalb der bestehenden Regeln und Gesetze erfolgen sollte. Nun, mit dieser Denkweise wären wir nie von der Pferdekutsche zum Auto übergegangen.

Mein Appell an diese Politiker:innen kommt deshalb nicht unerwartet: Ihr sitzt auf einer der größten Wachstumsmaschinen der Welt, aber ihr erlaubt nur, dass sie mit halber Geschwindigkeit läuft. Es gibt keine einfache Lösung, das schnell zu beheben, aber die Deregulierung ist zwangsläufig ein wichtiger Teil davon. 

Ich behaupte nicht, dass alle deutschen Politiker:innen Angst vor Technologie haben. Allerdings wurde ich oft mit dem Satz „Das ist in Deutschland nicht machbar“ konfrontiert. Er weist darauf hin, dass die Deutschen neuen Technologien gegenüber wohl nicht offen sind. Meine Erfahrung zeigt jedoch, dass die Realität anders aussieht: Deutsche Autofahrer:innen sind mehr als bereit, Kommunikationstools im Straßenverkehr zu nutzen. Dadurch können sie sich gegenseitig über wichtige Verkehrssituationen informieren, um sicherer unterwegs zu sein. Ich denke, diese Gelegenheit sollten wir nicht verpassen.

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