Haben Sie beim Blick in das Auto auf der Nebenspur schon mal jemanden eine Flasche Korn trinkend hinter dem Steuer gesehen? Wahlweise mit Whiskey, Rum oder Gin? Nein, ich auch nicht! Dabei wäre der Konsum von Alkohol beim Autofahren theoretisch sogar grundsätzlich legal – hat man doch erst ab einem Wert von 0,3 Promille bei „relativer Fahruntauglichkeit“ eine Strafe zu erwarten.
Seit dem 1. April dieses Jahres ist nun auch der Konsum von Cannabis in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen legal und plötzlich hat die öffentliche Debatte mancherorts ein Level der Aufregung erreicht, als ob demnächst die halbe Republik mit einem Joint am Lenkrad sitzen würde. Gefährliches Halbwissen in puncto Cannabiskonsum und Verkehrssicherheit verbreitet sich seit der Teil-Legalisierung in rasender Geschwindigkeit – höchste Zeit, den drei größten Irrtümern entgegenzutreten:
1. Cannabiskonsum am Steuer ist nicht legal.
„Nach Legalisierung von Cannabis darf auch beim Autofahren konsumiert werden – Behörden arbeiten Maßnahmen aus“ titelten am 3. April die „Lübecker Nachrichten“ und auch manch andere Medien haben in den vergangenen Wochen diese gefährliche Lüge in ihrer Leserschaft verbreitet. Richtig ist: Wer direkt vor der Autofahrt oder währenddessen einen Joint raucht, erreicht nach unumstrittenen wissenschaftlichen Erkenntnissen ein Vielfaches des vorgeschlagenen Grenzwertes von 3,5 ng THC/ml Blutserum, den wir nun in das Straßenverkehrsgesetz (StVG) aufnehmen werden. Es ist somit vollkommen ausgeschlossen, dass jemand, der „frisch bekifft“ oder während des Kiffens Auto fährt, den legalen Grenzwert nicht überschreitet. Cannabiskonsum am Steuer ist also definitiv unter keinen Umständen legal.
2. Cannabisrausch am Steuer bleibt nicht straffrei.
Schwer berauschte Kiffer hätten künftig einen „Freifahrtschein“ und würden erst beim zweiten Vorfall ausreichend hart bestraft – auch diese Behauptung habe ich in den vergangenen Wochen so oder so ähnlich gelesen und halte sie für falsch. Denn die direkten Sanktionsmaßnahmen für Rauschfahrten unter Drogeneinfluss werden durch das Cannabis-Gesetzespaket weder geändert noch reduziert und sind nach wie vor erheblich:
Wer im Cannabisrausch Auto fährt, aber keine Auffälligkeiten im Verhalten aufweist, muss bereits bei der ersten Polizeikontrolle mit einer Geldstrafe von 500 Euro, zwei Punkten im Fahreignungsregister und einem Monat Fahrverbot für die begangene Ordnungswidrigkeit rechnen. Wer im Cannabisrausch am Lenkrad sitzt und dabei zum Beispiel Schlangenlinien fährt oder desorientiert wirkt, hat darüber hinaus ein Strafverfahren wegen sogenannter Trunkenheit im Verkehr (§316 StGB) zu erwarten, an dessen Ende meist eine zusätzliche Geld- oder sogar Freiheitsstrafe steht. Häufig erfolgt dabei auch ein gerichtlicher Entzug der Fahrerlaubnis, der schon vor dem Urteil angeordnet werden kann.
Einen „Freifahrtschein“ oder eine unzureichende Sanktionierung kann ich bei dieser Rechtslage nicht erkennen. Wir haben mit dem Gesetzespaket lediglich dafür gesorgt, dass künftig nicht mehr bei jedem erstmaligen Verstoß zwingend eine MPU durch die Fahrerlaubnisbehörde angeordnet werden muss. Dies entspricht der Rechtslage bei Alkoholverstößen. Bei einer Straftat, schweren Verkehrsverstößen oder dem Verdacht auf eine Abhängigkeit kann weiterhin – unabhängig vom Rauschmittel – unverzüglich eine MPU angeordnet werden. Und das ist auch gut so.
3. Die Erhöhung des THC-Grenzwertes ist nicht unverantwortlich.
Weniger erfreulich ist, dass derzeit kaum ein Tag vergeht, an dem sich nicht eine Landesregierung mit großer Vehemenz gegen die geplante Erhöhung des THC-Grenzwertes ausspricht. Ich will den Kolleginnen und Kollegen ihre Sorge um die Verkehrssicherheit nicht absprechen, aber doch dafür werben, sich noch einmal intensiver mit der Thematik zu befassen. Der Cannabis-Wirkstoff THC ist anders als Alkohol im Blut deutlich länger nachweisbar, als er die Fahrtauglichkeit tatsächlich einschränkt.
Die derzeitige Rechtslage mit dem untersten Nachweiswert von 1,0 ng/ml führt dazu, dass Autofahrerinnen und Autofahrer noch mehrere Tage nach dem Konsum von Cannabis den Führerschein verlieren können, ohne jemals berauscht am Steuer gesessen zu haben. Die Festlegung eines neuen, moderat erhöhten Grenzwertes im StVG ist daher notwendig, um diese Ungerechtigkeit zu beenden.
Wie dies gelingen kann, ohne gleichzeitig die Verkehrssicherheit zu gefährden, haben die Expert*innen der unabhängigen Arbeitsgruppe des BMDV und vorher auch andere Wissenschaftler*innen aus meiner Sicht überzeugend dargelegt: Bei dem Grenzwert von 3,5 ng/ml handelt es sich um einen konservativen Ansatz, der hinsichtlich des Risikos in etwa mit dem Wert von 0,2 Promille Blutalkohol vergleichbar ist. Wer sichergehen will, diesen neuen Grenzwert nicht zu überschreiten, muss nach dem Cannabiskonsum auch künftig mehrere Stunden bis hin zu einem Tag warten, bevor eine aktive Teilnahme im Verkehr mit einem Auto wieder möglich ist.
Die Befürchtungen, die Anzahl von Unfällen würde durch die Gesetzesänderungen im Rahmen der Cannabis-Teillegalisierung ansteigen, teile ich daher ausdrücklich nicht. Was die Verkehrssicherheit allerdings aus meiner Sicht sehr wohl gefährdet: Wenn Gegner der Legalisierung Fake-News verbreiten und damit den falschen Eindruck erwecken, Cannabiskonsum am Steuer sei von nun an gesetzlich erlaubt.
Uns alle eint das Ziel der Vision Zero. Ich lade dazu ein, gemeinsam gesetzliche Regelungen für den Erhalt der Verkehrssicherheit zu beschließen: mit einem moderat erhöhten THC-Grenzwert, einem Verbot des Mischkonsums von Cannabis und Alkohol und einem strikten Cannabisverbot für Fahranfänger*innen.