Die europäische Fahrradindustrie startet in guter Stimmung in ihre wichtigste internationale Messe. Die Verkäufe steigen weiter, und die Europäische Kommission hat kürzlich einen Strategieplan für das Fahrrad beschlossen, der die Branche weiter stärken wird. Die Industrievertreter sind anlässlich der Eurobike in Frankfurt davon überzeugt, dass sie angesichts des Klimawandels und der drohenden Energiekrise ihren Beitrag leisten können, um den grünen Wandel in Europa voranzutreiben. Dazu gehört auch eine ambitioniertere Mobilitätspolitik.
Die Branche bereitet sich auf weiteres Wachstum vor. Dazu entwickelt sie Strategien, um den zuletzt üblichen jährlichen Absatz von 20 Millionen Fahrrädern pro Jahr bis 2030 auf 30 Millionen pro Jahr zu steigern. Führend sind dabei E-Bikes, die im gleichen Zeitraum mehr als 50 Prozent des europäischen Marktes ausmachen dürften – in den Niederlanden ist dieses Niveau bereits erreicht.
Die Industrie ist sich bewusst, dass der Verkauf von Fahrrädern allein nicht ausreicht, um mehr Menschen zum Radeln zu bewegen. Sie setzt sich deshalb gemeinsam mit der Zivilgesellschaft dafür ein, dass die Staaten und die europäischen Institutionen den Schwung der Pandemiezeit nutzen und vor Ort bessere Bedingungen fürs Radfahren schaffen. Zu den Forderungen zählen beispielsweise weitere zehn Milliarden Euro aus bestehenden EU-Finanzierungsströmen für Radverkehrsinfrastruktur an Mitgliedstaaten, Regionen und Städte fließen zu lassen. Maßnahmen für den Radverkehr könnten in den wichtigsten EU-Rechtsvorschriften zur städtischen Mobilität verbindlich vorgeschrieben werden. Ein weiterer Vorschlag ist, einer Million EU-Bürgern das Radfahren durch Förderung in Form von Kaufprämien (insbesondere für E-Bikes), bezahlte Abonnements für geleaste Fahrräder und den kostenlosen Zugang zu Sharing-Rädern zu ermöglichen.
Die Unternehmen sind bereit, vollwertige und aktive Partner zu sein
Die Branche ist zuversichtlich, dass die EU einige dieser Maßnahmen im Rahmen ihres Strategieplans unterstützen wird. Ende Juni feierten die führenden Vertreter der europäischen und weltweiten Fahrradindustrie in Kopenhagen gleich zwei große Siege: Den Start der Tour de France 2022 in Kopenhagen und die Ankündigung einer neuen europäischen Fahrradstrategie durch EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans.
Aus unserer Sicht sind die Unternehmen bereit, ein vollwertiger und aktiver Partner der europäischen Institutionen, Regierungen und Städte zu sein, um den Radverkehr in Europa zu fördern. Um als Sektor Einfluss zu gewinnen, muss die Industrie laut Timmermans ihre Kapazitäten in Europa stärken. Aber auch seitens der EU sind zusätzliche Anstrengungen nötig, um den Radverkehr zu fördern. Kommission und Parlament werden beim Erstellen einer EU-Radverkehrsstrategie kooperieren, die die wichtigsten politischen Vorgaben bündelt. Laut Timmermans soll künftig die Umwelt-, Industrie- und Mobilitätspolitik der EU „eine Fahrraddimension“ haben.
Außerdem betonte er, dass die Radverkehrsrevolution in den Städten und Gemeinden stattfinden muss und dass die EU diese voll unterstützen wird. Von der Industrie fordert Timmermans nachdrücklich, mehr Fahrräder in der EU herzustellen und Arbeitnehmer aus anderen Sektoren für die Fahrradproduktion umzuschulen. Außerdem sollten E-Bikes von der EU-Batteriestrategie profitieren.
Radbranche sollte zu strategischer EU-Industrie werden
Es ist zu begrüßen, dass die Kommission mehr Radverkehr als wesentlich für das Erreichen der ehrgeizigen klima-, wirtschafts-, industrie- und sozialpolitischen Ziele der EU anerkannt hat. Er ist außerdem ein Mittel, den RePower-EU-Plan voranzutreiben und die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas zu reduzieren.
Auf der Eurobike in Frankfurt wird sich die Branche damit befassen, wie sich das Wachstum der Fahrradindustrie weiter steigern lässt. Die Störungen in den Lieferketten haben die Industrie vor Herausforderungen gestellt. Dennoch ist es dem Fahrradsektor gelungen, im Jahr 2020 Produkte im Wert eines ganzen Jahres in wenigen Monaten zu verkaufen. Jetzt fordert die Wirtschaft die EU auf, die Steigerung und Stabilität der Fahrradproduktion als EU-weite Priorität zu behandeln.
Die Radindustrie sollte in die Liste der strategischen EU-Industrien aufgenommen werden. Dadurch erhalten die Unternehmen Zugang zu Ressourcen für die Widerstandsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Digitalisierung der europäischen Industrie. In allen Regelwerken und Unterstützungsprogrammen für die Radindustrie sollten die Herausforderungen in Bezug auf Lieferketten und Nachhaltigkeit berücksichtigt werden.
Klar ist: Eine einheitliche EU-Radverkehrspolitik, die das Rad auf die gleiche Ebene wie andere Verkehrsträger und Industriesektoren stellt, hätte eine kohärentere politische Unterstützung, Konsistenz zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und potenziell mehr Milliarden für Radverkehr zur Folge. Jetzt, auf der Eurobike, muss die Branche mobilisiert werden. Ziel ist, neben den Investitionen in bessere Radinfrastruktur auch Tausende von hochwertigen grünen Arbeitsplätzen in Europa zu schaffen.