Die Situation im deutschen Mobilitätssektor ist komplex. Es gibt viele Akteure, unterschiedliche Verkehrsmittel und Perspektiven. Zwei Dinge, die dabei oftmals unter die Räder kommen, sind das Fahrrad und die Frauen.
Das ist natürlich etwas verkürzt dargestellt, also lassen Sie es mich bitte erklären. Beginnen wir beim Fahrrad, das leider immer wieder bei elementaren Entscheidungstreffen zu Mobilität im Kanzleramt und bei wegweisenden innovativen Forschungen schlichtweg vergessen wird.
Das ist nicht nur sehr schade, weil das Fahrrad einen Beitrag zur Mobilitätswende für den Großteil der Wege, der unter fünf Kilometern liegt, beitragen kann, sofern es die richtigen infrastrukturellen Bedingungen vorfindet. Sondern das Fahrrad kann auch mehr Menschen Lust auf schnelle, einfache und bequeme Bewegung machen, die gesellschaftliche Vorteile (Gesundheit) bietet, anstatt ihr zur finanziellen Last zu fallen.
Schauen wir auf die Frauen, sehen wir, dass diese im Mobilitätssektor heute immer noch stark unterrepräsentiert sind. Eine Analyse der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2019 geht davon aus, dass in Europa im gesamten Verkehrssektor nur 22 Prozent Frauen arbeiten. Leider gibt es in Deutschland noch keine verlässlichen Zahlen hierzu, womit wir direkt beim Gender Data Gap sind.
Wenig Daten über die Rolle der Frauen
Aber was wir wissen, ist, dass nur jedes zehnte Rathaus von einer Frau regiert wird und im Bundestag mit 31 Prozent so wenig Frauen sind, wie schon lange nicht mehr. Und gleiches gilt auch für die Mobilitätswirtschaft, in der es mehr Führungspersonen mit den Vornamen Thomas und Michael als Frauen gibt. Zumindest bei den Verbänden gibt es meistens mehr Frauen. Sobald es sich aber um Führungspositionen handelt, kehrt sich das Geschlechterverhältnis oft um.
Um noch mal auf den Gender Data Gap zurückzukommen: Eine Datengrundlage ist wichtig, um unterschiedliche Bedürfnisse auf der Straße und am Arbeitsplatz zu erkennen und Gründe ableiten zu können, die in neuen Handlungsweisen auf ein gerechteres Geschlechterverhältnis einwirken können.
Zur gemeinsamen Förderung der beiden Perspektiven Frauen und Fahrrad haben wir ein Bündnis namens „Women in Cycling Germany“ auf die Beine gestellt. An diesem Freitag treffen sich mehr als 100 Frauen aus dem Fahrradsektor (also aus der Fahrradwirtschaft, Kommunen/Verwaltung, Sport, NGOs, Planung, Wissenschaft/Forschung), um sich akteursübergreifend zu Geschlechtergerechtigkeit im Fahrradsektor auszutauschen, gemeinsam Aktionsfelder zu beschließen, Arbeitsgruppen zu bilden, um die individuelle und strukturelle Veränderung für Frauen im Fahrradsektor zu verändern.
Diverse Repräsentation in den Schaltzentralen
Der Fokus liegt zum einen wie oben beschrieben auf individuellen Verbesserungsansätzen in Form von Mentoring, Job- und Karrierechancen oder Leadership-Förderung. Wir nehmen aber auch das große Ganze in den Blick und zielen auf systemische, gesellschaftliche und politische Veränderung, die durch Gender Data Gap, Gender Pay Gap, neue gesetzliche Rahmenbedingungen und diverse Repräsentation an den Macht- und Schaltzentralen angegangen werden soll.
Wir stärken Frauen und wir verändern das System. Wir sind uns bewusst, dass es neben Frauen eine Vielzahl weiterer Gruppen und Perspektiven gibt, die im bestehenden (Rad-)Verkehrssystem in Wirtschaft, Politik und Planung nicht gesehen werden. Mit der systemisch-strukturellen Aufweitung bereiten wir den Weg für eine Vielzahl weiterer Perspektiven.
Unter dem Namen „Women in Cycling Germany“ werden alle Frauen adressiert, die beruflich mit dem Fahrrad zu tun haben, egal ob sie in der kommunalen Radverkehrsplanung, im Fahrradladen oder im Verband arbeiten. Und das Gute ist, wir müssen den Weg der Veränderung nicht alleine gehen, sondern bauen auf das starke nationale Netzwerk von Women in Mobility auf und arbeiten synergetisch zusammen, indem dort auch mehr Frauen aus dem Fahrradsektor präsent sind.
Britinnen und Französinnen schon weiter
International gibt es seit 2021 eine Europäische Fahrradsektor-Initiative namens „Women in Cycling“ auf deren Grundgedanken wir aufbauen, aber zu Gunsten einer stärkeren Repräsentation, struktureller Verbesserungen und einer Anlaufstelle zum Austausch für Frauen innerhalb Deutschlands. Repräsentationsfragen, Recruiting und Mentoring sind im nationalen Kontext oft leichter umzusetzen, da sprachliche Hürden fehlen oder nationale Besonderheiten berücksichtigt werden.
Der europäische Austausch und der internationale Blick sind wichtig, denn zum Beispiel unsere Freundinnen in England sind hier bereits weiter. Der Britische Fahrradwirtschaftssektor unter der Führung von Sally Middlemiss und die British Bicycle Association zeigten in einer intensiven Umfrage zu Diversität, Gleichstellung und Inklusion die Lage des britischen Sektors auf. Ganz konkret werden darin zehn Handlungsfelder empfohlen, darunter prominent die Verbesserung von Einstellungsprozessen.
Recruiting und Verbesserungen im Bereich Fachkräftemangel sind ein wesentlicher Beitrag von Frauennetzwerken, wenn auf Jobs aufmerksam gemacht wird und individuelle Karrierechancen gefördert werden. Aber auch die Veränderung von strukturellen Rahmenbedingungen, New Work und Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sind heiße Themen. Gender-Pay-Gap-Gefälle, vor allem im privaten Teil des Sektors, teilweise unflexible Arbeitsmodelle und Teams müssen verändert werden.
Das Ziel sind systemische Veränderungen
Es lohnt sich aber auch ein Blick zu unseren Wegbereiterinnen nach Frankreich. Dort wurde akteursübergreifend bei „Les Femmes à Vélo“ mit Frauen aus allen Teilen des Sektors ein Manifest entwickelt, das sowohl mehr Frauen in Arbeit im Fahrradsektor fördert, als auch mehr Frauen auf Fahrrädern auf die Straßen bringt. Florence Gall koordiniert das Netzwerk und ist zufälligerweise auch Koordinatorin des französischen Fahrradsektors.
Frauennetzwerke sind besser für alle. Deswegen starten wir „Women in Cycling Germany“ und machen uns auf, individuelle und systemische Veränderungen voranzutreiben.