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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Mit Digitalisierung und Open-Street-Map-Daten zum lebendigen Radnetz

Christoph Kollert, Verbundkoordinator NUDAFA-Reallabor für interkommunale Radverkehrsförderung
Christoph Kollert, Verbundkoordinator NUDAFA-Reallabor für interkommunale Radverkehrsförderung Foto: privat

Mehr Radverkehr ist überall gewollt, aber die Umsetzung kommt in den Kommunen nur schleppend voran. Mit dem „Radverkehrsatlas“ erprobt ein Reallabor derzeit einen neuen Ansatz, mit dem Radnetze gerade für kleine und mittlere Kommunen einfacher, schneller und günstiger entwickelt und umgesetzt werden können.

von Christoph Kollert

veröffentlicht am 09.05.2023

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In vielen der über 10.700 Kommunen in Deutschland will eine breite Allianz aus Politik, Bevölkerung und Verwaltung den Radverkehr einfacher, komfortabler und sicherer machen. Für alle Altersgruppen, im Alltag und auch in der Freizeit. Allerorts werden durchgehende, sichere und vor allem umgesetzte Radnetze gefordert. Für einen zielgerichteten, effektiven und systematischen Ausbau der Infrastruktur brauchen die Kommunen jedoch erst einmal fundierte und praxistaugliche Radverkehrskonzepte. Dies wiederum setzt Geld im Haushalt, Zeit, qualifizierte Planungsbüros und letztendlich auch eine Motivation in den Kommunen voraus. 

Dabei brauchen Kommunen Radverkehrskonzepte, weil sich die Stadtgesellschaft darin – oft mit Unterstützung von Fachplanern – auf Ziele und Prioritäten einigt und Maßnahmen räumlich so verortet, dass sich nach und nach ein attraktives, durchgehendes Netz zusammenfügt. Auch begleitende, oft kostengünstige und kurzfristig umzusetzende Maßnahmen im Bereich Kommunikation, Service und Öffentlichkeitsarbeit sollten dabei mitbedacht werden. Mit einem entsprechenden Beschluss wird die Verwaltung dann offiziell mit der Umsetzung beauftragt und ein Zeitplan für die Umsetzung sowie die Finanzierung festgelegt. Gleichzeitig ist ein vorhandenes Konzept oft auch Voraussetzung für die Beantragung von Fördermitteln

Auf dem Weg zu schnellerer und günstigerer Planung

Wenn ein Planungsbüro beauftragt wird, dauert es je nach Größe der Kommune oft 12, gerne auch mal 18 bis 24 Monate – bei intensiven Diskussionen bis zu drei Jahre bis zur Fertigstellung des Radnetzes und eines Umsetzungsplans. Die Umsetzung erster Maßnahmen wird bis dahin oft erst einmal zurückgestellt. Im schlimmsten Fall landet das Konzept dann erst einmal in der Schublade, denn teils haben sich das Personal oder die Rahmenbedingungen schon so weit verändert, dass es überholt ist. Dabei sind die Abläufe der Konzepterstellung oft ähnlich, sodass sich insbesondere die Analyse des Bestands und der Bedarfe – vor allem in kleineren und weniger komplexen Kommunen – automatisieren und der Planungsprozess deutlich beschleunigen ließe. 

Mit Fokus auf die Bedarfe gerade in kleinen und mittleren Kommunen geht das „NUDAFA-Reallabor für interkommunale Radverkehrsförderung“ aktuell der Frage nach, wie die Erstellung eines Radnetzes schneller und gegebenenfalls auch kostengünstiger realisiert werden, wie die Bevölkerung bei der Konzepterstellung mitwirken könnte und welche Vorteile sich ergeben würden. Maßgeblich beteiligt sind neben den Daten- und Kommunikationsexperten von FixMyCity auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung als Fördermittelgeber. 

In dem Projekt werden die „klassischen“ Schritte der Radnetzplanung mit Hilfe von Open Street Map (OSM) und gemeinfrei lizenzierten (Open Source) Datenverarbeitungstools digital und kollaborativ abgebildet. Im sogenannten „Radverkehrsatlas“ werden für die Planung benötigte OSM-Daten prozessiert und visualisiert. Bürger:innen können bei der Datenvervollständigung helfen, die Verwaltung kann die ausgewerteten Daten einsehen und prüfen. Auch Gefahrenpunkte zum Beipsiel vor Schulen und Routenvorschläge aus der Zivilgesellschaft wurden im Atlas einbezogen. So soll das “Hinterzimmer- beziehungsweise Experten-Thema“ Radnetzentwicklung der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Denn das Kommunizieren und Diskutieren komplexer räumlicher Zusammenhänge, gerade auch mit Varianten, ist dabei nicht nur für ungeübte Laien, sondern auch für Politiker und sogar Fachleute nach wie vor eine Herausforderung. 

Testlauf in Eichwalde

Neue Daten und umgesetzte Maßnahmen können dabei im Laufe der Zeit ergänzt und das Zielnetz bei Bedarf auch überarbeitet und aktualisiert werden. Das Konzept kann so „lebendig“ werden und mitwachsen. Gerade bei kleinen und mittleren Kommunen und bei begrenzten Kapazitäten reicht ein bereits relativ grober Überblick aus für erste strategische Entscheidungen, für die Umsetzung erster Maßnahmen und interkommunale Kooperationen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Zivilgesellschaft auch ohne breite Unterstützung der Politik oder Verwaltung in der Lage wäre, konkrete Handlungsbedarfe darzustellen und erste Projektideen mit nachvollziehbaren Argumenten zu unterlegen. 

Ein Prototyp des Radverkehrsatlas wird derzeit in Eichwalde und einigen angrenzenden Kommunen mit einem Prototyp erprobt. Unter www.nudafa.de wird das Vorgehen in Eichwalde anhand mehrerer Themenkarten erläutert. Dabei werden die „klassischen“ Planungsschritte der Radnetzplanung mit sogenannten Themenkarten abgebildet. 

In der Karte „Quellen und Ziele“ werden Siedlungszentren, sowie typische Ziele wie Arbeit, Freizeit oder Bildung gemeinsam mit Barrieren (Gewässer, Bahntrassen, et cetera) und vorhandenen Netzen dargestellt. Auf dieser Basis werden Zielpunkte und Verbindungslinien (Wunschlinien) definiert. 

Die Themenkarten „Radinfrastruktur“ und „Komfort“ bilden die vorhandene Infrastruktur und ihre Qualität ab. So werden bereits Lücken und Ausbaupotenziale sichtbar.

Die Themenkarte „Sicherheit“ verdeutlicht, wo akute Handlungsbedarfe bestehen. Dazu werden Daten des Unfallatlas mit Ergebnissen der SimRa-App (damit melden Radfahrende Beinah-Unfälle) sowie einer Umfrage zu Schulwegen und unsicheren Abschnitten kombiniert. 

Für die Suche nach geeigneten Routenführungen zur Umlegung der Wunschlinien bieten die Straßentypen eine gute Orientierung, hier werden Straßen klassifiziert nach ihren Voraussetzungen für die Radverkehrsführung. Es werden (vereinfacht) Nutzungszwecke, Kfz-Aufkommen und Ausbaustandards zusammengefasst. In Kombination mit vorhandener Radinfrastruktur und Oberflächen kann so gut abgewogen werden, welche Anforderungen an die Radinfrastruktur es gibt und welche Maßnahmen geeignet – und finanzierbar – wären (beispielsweise eine Fahrradstraße in der Nebenstraße mit wenig Verkehr ein baulich getrennter Radweg an einer Hauptstraße). Dies hilft bei der gemeinsamen Festlegung des „Zielnetzes“. 

In der Anwendung der Karten zeigt sich bereits jetzt, dass die Verfügbarkeit der Informationen im Austausch mit lokalen Akteuren helfen, ein gemeinsames Verständnis für die Radverkehrsförderung in der Region zu entwickeln. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Prozesse in den Kommunen teils sehr unterschiedlich laufen und nicht über einen Kamm geschert beziehungsweise „automatisiert“ werden können. Hier zeigt sich jedoch, dass sich der Radverkehrsatlas situationsbedingt, flexibel und zu unterschiedlichen Zwecken einsetzen lässt. 

Feedback erwünscht

Gerade für die tatsächliche Umsetzung von Infrastruktur sind besonders die hier beschreibenen Prozesse der Anbahnung, Abwägung und Vorbereitung (als Phase 0) entscheidend, in der sich die relevanten Akteure auf gemeinsame Projekte einigen, die Finanzierung bereitstellen und die Umsetzung einleiten. Der Radverkehrsatlas hilft hier durch eine objektive und gemeinsame Datengrundlage, insbesondere in der interkommunalen Zusammenarbeit ist diese in der Regel nicht vorhanden, lückenhaft oder veraltet. 

Die Nutzung von Open Street Map in Kombination mit dem Radverkehrsatlas bietet hier noch einen weiteren großen Vorteil für Kommunen. Die dort erfassten Daten können, nachdem sie einmal initial erfasst und geprüft wurden, mit geringem Aufwand dauerhaft gepflegt und aktuell gehalten werden. So zeigt der Radverkehrsatlas (in seiner nächsten Version) zu allen Themenkarten, welchen Daten sich in Open Street Map seit der letzten Prüfung geändert haben. Die Kommune kann die Daten aber auch selbstständig ergänzen, wenn eine Planung umgesetzt wurde. 

Der vorgestellte Ansatz bildet daher eine vielversprechende Grundlage, die es auch andernorts zu erproben gilt. Bereits jetzt arbeitet FixMyCity mit weiteren Kommunen an der Übertragung und Weiterentwicklung des Ansatzes.

Unter www.radverkehrsatlas.de können sich interessierte Kommunen informieren und auf die Warteliste setzen lassen. Wir freuen uns über Rückmeldungen und Anmerkungen aus Kommunen, die Interesse an einem Austausch oder einer Kooperation mit dem NUDAFA-Reallabor oder FixMyCity haben.

Autoren: Christoph Kollert, Sachgebietsleiter Projekte bei der Gemeinde Eichwalde und Verbundkoordinator NUDAFA-Reallabor für interkommunale Radverkehrsförderung, und Heiko Rintelen, Co-Geschäftsführer und Co-Gründer bei FixMyCity

Das Potenzial von Open Data für die Planung von Radinfrastruktur ist auch heute Thema bei der Velocity in Leipzig


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