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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Digitale Bedarfsverkehre bringen den Nahverkehr in die Fläche

Jan Lüdtke, Geschäftsführer DACH bei Via
Jan Lüdtke, Geschäftsführer DACH bei Via Foto: Promo

Digitale Bedarfsverkehre können Millionen von privaten PKW von der Straße holen, CO2-Emissionen kurzfristig senken und wirtschaftliche Entlastung bieten. Dafür braucht es aber eine langfristige Finanzierung. Die im Koalitionsvertrag angekündigte Erhöhung der Regionalisierungsmittel muss kommen und Bedarfsverkehre berücksichtigen.

von Jan Lüdtke

veröffentlicht am 10.10.2022

aktualisiert am 12.01.2023

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Der Verkehrssektor hat seine Klimaziele zuletzt eindeutig verfehlt. Statt einer Reduktion der CO2-Emissionen sind diese in 2021 auf 148 Millionen Tonnen gestiegen und liegen 3 Millionen Tonnen über dem Sektorziel. Gleichzeitig lassen hohe Energiekosten sowie die gesamtwirtschaftliche Situation den finanziellen Druck auf private Haushalte und Familien steigen. Ein Schlüsselelement, um sowohl der Klimakrise als auch der sich zuspitzenden wirtschaftlichen Situation vieler Familien in Deutschland schnell zu begegnen, ist die Ausweitung nachhaltiger und erschwinglicher öffentlicher Verkehrsangebote.

Für solch eine erfolgreiche Verkehrswende sind jedoch nicht nur der Erhalt bestehender Infrastruktur sowie die Deckung steigender operativer Kosten notwendig, sondern auch eine nachhaltige Steigerung der Verfügbarkeit und Attraktivität des ÖPNV. Die Bundesregierung sollte daher mit ihrem angekündigten „Modernisierungspakt“ Länder und Kommunen in die Lage versetzen, den ÖPNV insgesamt attraktiver und komfortabler zu gestalten. Die Zeit zum Handeln ist gekommen, wenn Deutschland seine Klimaziele im Verkehrssektor bis 2030 noch erreichen will.

Es braucht mehr Angebot

Erschwingliche und nutzerfreundliche Tarifstrukturen wie das Neun-Euro-Ticket sind ein erster wichtiger Schritt zur Attraktivierung des ÖPNV und zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation privater Haushalte. Dies gilt jedoch nur für Menschen, die Zugriff auf ein gut ausgebautes ÖPNV-Angebot haben. Daher muss das ÖPNV-Angebot in der Breite verbessert werden – insbesondere in suburbanen und ländlichen Räumen, wo der ÖPNV aktuell keine Alternative zum privaten PKW darstellt.

Tief in den ÖPNV integrierte digitale Bedarfsverkehre leisten bereits heute einen wichtigen Beitrag zur Attraktivierung des ÖPNV. Durch die Reform des Personenbeförderungsgesetzes und die Schaffung eines gesetzlichen Rahmens für digitale Bedarfsverkehre wurden seit 2019 bereits über 80 digitale Bedarfsverkehrsangebote in Deutschland erfolgreich etabliert. Im Gegensatz zu ÖPNV-Infrastrukturmaßnahmen können digitale Bedarfsverkehre effizient bestehende Lücken in ÖPNV-Netzwerken schließen und in nur wenigen Monaten umgesetzt werden.

Es gibt erfolgreiche Beispiele

So stellt beispielsweise das digitale Bedarfsverkehrsangebot „sprinti“ der Region Hannover unter Beweis, wie digitale Bedarfsverkehre ein bestehendes ÖPNV-Angebot gezielt ergänzen können. sprinti dient in drei sub-urbanen Gebieten der Region Hannover als Zu- und Abbringer insbesondere von S-Bahnstationen. sprinti konnte in den ersten neun Monaten nach Betriebsstart seine Fahrgastzahlen verdreifachen. Eine groß angelegte Fahrgast-Umfrage hat ergeben, dass jede dritte sprinti-Fahrt eine Fahrt mit einem privaten Pkw ersetzt und dass jede*r vierte Befragte durch das sprinti-Angebot erwägt, sein eigenes Auto zu ersetzen.

Mehr öffentliche Angebote wie sprinti in Deutschland können einen signifikanten Einfluss auf Emissionen im Verkehrssektor und privaten PKW-Besitz haben. Ein Umstieg vom privaten PKW auf digitale Bedarfsverkehre im ÖPNV könnte schon bei einer zehnprozentigen Verschiebung zwei Millionen PKW ersetzen und 10,7 Millionen Tonnen CO2 einsparen (7,2 Prozent der CO2-Emissionen im Verkehrssektor).

Nötig ist eine zweckgebundene Regelfinanzierung

Eine Regelung für die nachhaltige Finanzierung digitaler Bedarfsverkehrsangebote wurde noch nicht beschlossen. Trotz ihres Erfolgs und ihrer Wirkung könnten daher viele digitale Angebote in naher Zukunft wieder eingestellt werden. Für Fahrgäste würde sich damit die Abhängigkeit vom privaten Auto wieder erhöhen. Es braucht dringend einen Plan zur langfristigen Einbindung digitaler Bedarfsverkehre in der ÖPNV-Landschaft.

Bund und Länder sollten in einem Ausbau- und Modernisierungspakt für den ÖPNV digitale Bedarfsverkehre durch eine  zweckgebundene Finanzierung berücksichtigen. Entsprechend der Position des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen sollten digitale Bedarfsverkehre mit einer jährlichen Regelfinanzierung gefördert werden. Diese sollte bis 2030 schrittweise auf 3,8 Milliarden Euro pro Jahr ansteigen.

Qualitätsstandards sind sinnvoll

Eine solche Investitionsmaßnahme sollte zusätzlich auch mit einem neuen Steuerungsmechanismus beschlossen werden, der den effektiven und effizienten Mitteleinsatz sicherstellt. Die Vorgabe von einheitlichen, einfach zu implementierenden Mindestqualitätsstandards für den ÖPNV als Gesamtsystem sollte forciert werden. Mindestqualitätsstandards sollten dabei immer in Abhängigkeit vom Raumtyp definiert werden. Sie sollten mindestens drei Dinge vorschreiben:

  • Die Anbindung gemessen durch die Entfernung der Wohnadresse der Bürger:innen zu öffentlicher Verkehrsinfrastruktur
  • Die Erreichbarkeit gemessen durch die durchschnittliche Wartezeit für eine ÖPNV-Verbindung
  • Den Komfort gemessen durch die Anzahl notwendiger Umstiege zu umliegenden Stadtzentren

Durch eine solche langfristige Etablierung digitaler Bedarfsverkehre kann Deutschland zur Modellregion für den öffentlichen Verkehr von morgen werden, Mobilität für alle neu erfinden und internationaler Vorreiter im Bereich digitaler Bedarfsverkehre werden.

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