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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Ein modernes Mobilitätsgesetz für eine nachhaltigere Verkehrsplanung

Katja Dörner, Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn und Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung
Katja Dörner, Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn und Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung Foto: Schafgans/Bundesstadt Bonn

Damit die Verkehrswende vor Ort gelingt, braucht es mehr Handlungsspielräume für Kommunen und dafür eine Reform des Straßenverkehrsrechts. Darüber hinaus könnte ein Bundesmobilitätsgesetz helfen, Mobilität auf nationaler Ebene zu regeln und zu koordinieren.

von Katja Dörner

veröffentlicht am 27.06.2023

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Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen in Deutschland bis 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu mindern. Während insgesamt die Emissionen in Deutschland seit dem Jahr 1990 sinken, sind sie im Verkehrssektor auf konstant hohem Niveau. Der Anteil des Verkehrs an den Gesamtemissionen in Deutschland liegt derzeit bei rund einem Fünftel und der motorisierte Individualverkehr nimmt weiter zu. Der Verkehrssektor verfehlt dadurch weiterhin deutlich die jährlichen Klimaziele.

Diese Entwicklung ist auch eine Konsequenz der bis dato autozentrierten Verkehrspolitik des Bundes. Ohne ein massives Umlenken im Verkehrsbereich können die Klimaziele in Deutschland nicht erreicht werden. Dazu braucht es auch ein klares Bekenntnis des Bundesverkehrsministers zur klimagerechten Transformation des Verkehrssektors.

Neuer gesetzlicher Rahmen für mehr kommunale Handlungsspielräume 

Nachhaltige Mobilität erfordert mehr Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume für die Kommunen. Die Schaffung fuß- und radverkehrsfreundlicher Infrastruktur, die Einrichtung verkehrsberuhigter Bereiche oder die Festlegung von Geschwindigkeitsbegrenzungen werden für die Kommunen bisher durch hohe gesetzliche Hürden und Einschränkungen erschwert.

Der neue Gesetzentwurf zur Reform des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) lässt erste Anzeichen für ein Umdenken erkennen und geht in die richtige Richtung. Ziele des Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Ordnung wurden in das Gesetz aufgenommen. Bisher stand neben der Sicherheit des Verkehrs einzig das Ziel der Leichtigkeit des (motorisierten) Verkehrsflusses an oberster Stelle. Temporeduzierungen, Verkehrsberuhigungen oder die Reduktion von Kfz-Spuren zugunsten von Radwegen oder Umweltspuren stehen im Konflikt zum Ziel der Leichtigkeit des Verkehrsflusses.

Der Entwurf zur StVG-Reform ist ein wichtiger, aber nur ein erster Schritt auf dem Weg zu mehr kommunalem Gestaltungsspielraum. Während das StVG grundlegende Bestimmungen und Regeln für den Straßenverkehr in Deutschland festlegt, wird die Straßenverkehrsordnung (StVO) auf Basis des Straßenverkehrsgesetzes erlassen und enthält detaillierte Vorschriften und Regelungen für den Straßenverkehr. Im nächsten Schritt ist die Anpassung der Straßenverkehrsordnung notwendig, um Städte bei der Umsetzung der kommunalen Verkehrswende nicht weiter auszubremsen, sondern zu unterstützen.

Kommunen wollen die Verkehrswende

Mehr als 800 Städte und Gemeinden in Deutschland mit über 33 Millionen Einwohner*innen sind derzeit Teil der Initiative „Lebenswerte Städte und Gemeinden“ für Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts. Sie setzt sich für mehr Entscheidungsfreiheit bei der Anordnung von Höchstgeschwindigkeiten innerhalb geschlossener Ortschaften ein. Ziel ist, dass Straßen und Wege sicherer für alle Verkehrsteilnehmer*innen werden.

Tempo 30 führt außerdem dazu, dass unsere Straßen leiser werden, die Luft sauberer und die Städte damit wieder lebenswerter. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen dafür so angepasst werden, dass Städte und Gemeinden Tempo 30 als „verkehrlich, sozial, ökologisch und baukulturell angemessene Höchstgeschwindigkeit“ dort anordnen können, wo sie es für sinnvoll erachten. Die Reform des Straßenverkehrsgesetzes sollte dazu genutzt werden, den Kommunen diese Spielräume zu ermöglichen.

Modernes Mobilitätsgesetz für nachhaltigere Verkehrsplanung 

Gegenwärtige Bestimmungen des deutschen Straßenverkehrsrechts und Straßenrechts beinhalten die einseitige Förderung des Autoverkehrs, während wichtige Ziele des Gemeinwohls wie der Schutz vor Lärm- und Luftverschmutzung, eine bessere Wohnqualität und eine hohe Aufenthaltsgüte des öffentlichen Raums nicht ausreichend berücksichtigt sind. Gleichzeitig fehlt ein verbindlicher Austausch zwischen den Ebenen Bund, Ländern und Kommunen. Die Zuständigkeiten sind sektoral zersplittert – nach Verkehrsträgern und Verkehrsmitteln. 

Es braucht einen grundlegenden Paradigmenwechsel und eine umfassende Überarbeitung des rechtlichen Rahmens. Ein Bundesmobilitätsgesetz könnte hierbei einen Lösungsansatz bieten. Dessen Grundidee besteht darin, eine einheitliche und koordinierte Regelung der Mobilität auf nationaler Ebene zu schaffen. Es zielt darauf ab, die verschiedenen Aspekte der Mobilität, wie Verkehrsmittel, Infrastruktur, Verkehrsplanung, Sicherheit und Umweltaspekte sowie soziale Teilhabe und effiziente Raumplanung, in einem umfassenden gesetzlichen Rahmen zu erfassen und zu regeln. Dadurch würde beispielsweise die Integration verschiedener Verkehrsträger gefördert und eine nahtlose Verbindung zwischen Straßenverkehr, Schienenverkehr, Luftverkehr und öffentlichem Nahverkehr ermöglicht. 

Ziele und ein fokussiertes Programm zur Umsetzung der Verkehrswende

Die heute veröffentlichte aktuelle Stellungnahme des Rates für Nachhaltige Entwicklung zeigt auf, dass strategische Veränderungen im Bereich Mobilität notwendig sind, wenn Deutschland seinen Beitrag zur Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele leisten will.  

An der derzeitigen Verkehrspolitik des Bundes muss dringend nachjustiert werden – hin zu Klima- und Umweltschutz, aber auch Sicherheit, Barrierefreiheit, Gesundheit und Bezahlbarkeit als Leitziele für die Verkehrspolitik. Dazu brauchen wir zudem eine Generalüberholung des veralteten Bundesverkehrswegeplans

Klima- und umweltschädliche Subventionen im Verkehrsbereich müssen abgebaut werden, da es sich um kostspielige Fehlanreize handelt. Dem gegenüber muss der Ausbau der Schiene Priorität bekommen, bis 2030 sollte der Anteil von Bahn, ÖPNV, Fuß- und Radverkehr in großen Städten bei mindestens 75 Prozent liegen. Kommunen müssen mit den notwendigen Handlungsspielräumen, aber auch finanziellen Ressourcen ausgestattet werden, um die Verkehrswende vor Ort umzusetzen.

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