Selten habe ich in einem derart wichtigen Feld wie der Verkehrspolitik so viel Chaos erlebt. Fast jeder hat inzwischen den Begriff Verkehrswende in seinen Sprachgebrauch übernommen, so ähnlich wie der Begriff Nachhaltigkeit geradezu inflationär benutzt wird. Und das Schlimme: Eine gemeinsame Strategie für eine kluge Verkehrspolitik, die alle mitnimmt, gibt es bis heute nicht.
An einem geradezu schizophrenen Beispiel unseres Taxi- und Mietwagengewerbes darf ich dies deutlich machen: Zum 1. August 2021 trat die Novelle des Personenbeförderungsgesetzes in Kraft. Die Ortskundeprüfung für Taxifahrer wurde abgeschafft, eine sogenannte Kleine Fachkunde sollte kommen, weil zum sicheren Befördern von Fahrgästen ein paar mehr Kenntnisse gehören und wir vom Taxi- und Mietwagenwesen einen Qualitätsanspruch haben.
Seither hat die Politik es nicht geschafft, obwohl alle ausgearbeiteten Konzepte vorliegen, die Kleine Fachkundeprüfung auf den Weg zu bringen. Jetzt im April wird hoffentlich die Verkehrsministerkonferenz endlich den Beschluss dazu fassen. Danach soll es – so die Aussagen aus dem Ministerium – weitere sieben Monate dauern, bis eine Umsetzung möglich ist. Vielleicht noch kurz vor Weihnachten oder zum Jahreswechsel 2024 wird es dann endlich wieder eine Qualitätsprüfung für Taxifahrer geben – 30 Monate, nachdem das Gesetz verabschiedet worden ist. Solch ein Vorgehen ist symptomatisch.
Deutschlandticket verfehlt sein Ziel
Was wir uns als TMV endlich wünschen, ist, dass alle, die mit Mobilität zu tun haben, endlich einmal zusammengeholt werden, wir eine gemeinsame Mobilitätsallianz für Deutschland auf den Weg bringen, in der dann praxisorientiert an den Realitäten gearbeitet wird. Zurzeit streitet der Bund mit den Ländern, die Länder mit den Kommunen, Europa mit dem Bund, die Parteien innerhalb der Bundesregierung und die Verbände, in denen die kundigen Unternehmen zusammengeschlossen sind, müssen sich eine Beteiligung jedes Mal aufs Neue erkämpfen.
Bestes Beispiel ist das 49-Euro-Ticket. Die Idee, den Tarifdschungel in Deutschland zu lichten und ein einziges Angebot zu schaffen, ist ausgesprochen richtig. Nur war das eigentliche Thema ein ganz anderes: den Nahverkehr in Deutschland einfacher, günstiger und attraktiver zu machen und dadurch endlich für den ländlichen Raum auch Mobilitätsgerechtigkeit sicherzustellen.
Dieses Ziel wird vollkommen verfehlt, da es keinerlei flächendeckende qualitative Verbesserung insbesondere im ländlichen Raum geben wird. Was nützt mir ein sogenanntes Deutschlandticket, wenn in mein Dorf am Abend und am Wochenende kein einziger und unter der Woche zwei- oder dreimal ein Bus fährt. Genau um diese letzten Kilometer geht es, um von der Endstation des Zuges oder des Busses nach Hause zu kommen. Diese Frage der Mobilitätsgerechtigkeit bleibt vollkommen ungelöst, noch viel mehr: Man hat das Gefühl, als ob dies die Damen und Herren Verkehrsminister überhaupt nicht in den konkreten Beratungen zum 49-Euro-Ticket interessiert hat.
Technologieoffenheit statt Verengung auf E-Mobilität
In verkehrspolitisch engagierten Regionen gibt es Sammeltaxen oder Kultur-, Senioren- und Kindertaxen, die genau diese Lücke zu schließen versuchen, um einen wirklich bürgernahen ÖPNV zu organisieren. Nur gilt wieder: Vor Ort finanzieren Stadt- oder Landkreise, was der Bund und die Länder finanzieren müssten. Und das ist unverantwortlich. Wer eine echte Mobilitätswende in unserem Land erreichen will, der braucht keine Verbote fürs Auto, sondern so attraktive Nahverkehrsangebote, dass ich mein Auto gerne stehen lasse.
Und genau das wäre jetzt die Aufgabe von Bund und Ländern gewesen, die Regionalisierungsmittel so zu erhöhen, dass dies in jeder Region Deutschlands möglich ist. Was passiert jetzt? Diejenigen, die schon Nutzer des ÖPNV sind, können dies nun bundesweit mit einem einzigen Ticket machen.
Nur: Hierdurch wird kein neuer zusätzlicher Boom für Busse und Bahnen entstehen, hierdurch wird keine neue Attraktivität für den ÖPNV entfacht, und hierdurch kommt das Nahverkehrsland Deutschland auch keinen einzigen Kilometer weiter voran. Dies gilt umso mehr, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass die Finanzierung erst einmal nur für dieses Jahr gesichert ist und hinter vorgehaltener Hand schon einem zugeflüstert wird, dass dieser Preis nicht zu halten ist, nachdem man für die Beratungen schon Monate über Monate gebraucht hat.
Gleiches gilt für die Elektromobilität, die wie eine verkehrspolitische Monstranz bei allen Debatten hochgehalten wird. Jeder, der die Ladeinfrastruktur in unserem Land sieht, weiß, dass alle politisch erklärten Ziele Brüssels und Berlins nicht eingehalten werden können – und das ist nicht der Fehler der Bürger oder der Unternehmen.
Es ist ohnehin sehr viel klüger, auf Technologieoffenheit zu setzen und E-Mobilität, Wasserstoffantrieb, E-Fuels und HVO 100 parallel zu fördern. Und zwar jetzt! Deswegen fordern wir als TMV auch, das zu machen, was klimapolitisch notwendig ist und auch sofort angepackt werden kann.
In den letzten zwei Wochen ist ein fundamentaler klimapolitischer Durchbruch gelungen: Die Politik in Deutschland hat endlich die Verwendung des palmölfreien HVO 100 zugelassen, nachdem das Bundesumweltamt und das Bundesumweltministerium dies blockiert haben, obwohl andere europäische Länder hier schon längst Vorreiter waren. Bislang galt die absurde Regelung, dass dies nur an betriebsinternen Tankstellen getankt werden durfte. Wer HVO 100 tankt, kann bei jedem Dieselmotor schon heute bis zu 90 Prozent des CO2-Ausstoßes reduzieren.
Bürger, Fachleute und Verbände stärker beteiligen
Auf den Gedanken, dies endlich auch als ganz pragmatische Klimaschutzmaßnahme in Deutschland umzusetzen, ist aber leider nicht die Politik gekommen, sondern wir Mobilitätsverbände haben uns zu einer so starken Allianz zusammengeschlossen, dass die Regierung und der Bundestag handeln mussten. Das Gleiche passiert jetzt auch wieder bei E-Fuels in ganz Europa ab 2035 und wird auch beim Wasserstoffantrieb für Pkw erfolgen.
Was allerdings wirklich Nerven, Zeit und Energie kostet, ist, dass alle beteiligten Ministerien auf Bundes- und Landesebene immer nur ihre Ansicht in ihrer Zuständigkeit sehen und eine gemeinsame Mobilitätsagenda, die sich an praktisch umsetzbaren Maßnahmen und dem gesunden Menschenverstand orientiert, noch nicht einmal in Ansätzen zu erkennen ist. Wer es hier wagt, von einer Verkehrswende zu sprechen, verkennt die Realitäten.
Wenn wir in Deutschland klimapolitisch auch und gerade in der Verkehrspolitik vorankommen wollen, dann wird dies nur gelingen, wenn Bürger und Fachleute aus den Verbänden viel stärker beteiligt werden und sich in unserem Land eine gestaltungsstarke Mobilitätsallianz bildet. Die Politik alleine – so unsere Erkenntnis – wird es nicht schaffen. Während hier in Hinterzimmern noch ideologische Spiegelfechtereien stattfinden, sind viele Bürger, Städte, Unternehmen, Verbände und Branchen wie das Taxi- und Mietwagenwesen schon längst als Vorreiter unterwegs.