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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Europa darf sich nicht von China abhängen lassen

Florian Degen, Leiter Strategie an der Fraunhofer FFB
Florian Degen, Leiter Strategie an der Fraunhofer FFB Foto: Fraunhofer

In China hat die Serienproduktion von Natrium-Ionen-Batterien schon begonnen. Sie lassen sich in den bisherigen Fabriken herstellen. In Europa gibt es jedoch ein Henne-Ei-Problem. Ohne ein breites Interesse, insbesondere von den Autoherstellern, wird kaum jemand bereit sein, in die Produktion zu investieren. Es ist also die Frage, wie risikobereit die Industrie ist, schreiben Florian Degen und Moritz Schaefer von der Fraunhofer FFB.

von Florian Degen

veröffentlicht am 30.10.2023

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In den vergangenen Jahren erfreuen sich Elektroautos immer größerer Beliebtheit. Nahezu alle großen Autohersteller haben bereits batterieelektrisch angetriebene Modelle auf den Markt gebracht und planen, das Produktprogramm weiter auszubauen. Laut aktuellen Beschlüssen der EU werden ab dem Jahr 2035 keine neuen Autos mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen. Das beschleunigt die Transition vom Verbrennungsmotor hin zu elektrisch angetriebenen Fahrzeugen weiter.

Als Konsequenz werden in Zukunft sehr viele Batteriezellen benötigt. Vorhersagen gehen davon aus, dass der Bedarf an Batteriezellen von heute 400 bis 500 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr auf 2500 GWh im Jahr 2030 steigen wird. Bis 2040 sollen sogar 5500 GWh an Batteriezellkapazität pro Jahr produziert werden. Um diesen enormen Bedarf decken zu können, bedarf es einer Vielzahl an Batteriefabriken, welche derzeit überall in Europa errichtet werden. Ebenso sind wir auf eine Vielzahl an Rohstoffen angewiesen, insbesondere seltener Metalle, die es noch zu fördern und zu verarbeiten gilt.

Der Grundstoff für alle heute relevanten Batteriezellen im Automobilbereich ist das Metall Lithium. Deshalb werden die Batteriezellen auch Lithium-Ionen-Batterien genannt. Diese Batterien haben eine hohe Energiedichte, können also viel Energie pro Gewicht speichern und haben eine hohe Lebensdauer. Technisch also ideal für Elektroautos.

Abhängigkeit von China

Pro Kilowattstunde (kWh) Energiespeicherkapazität werden circa 100 Gramm Lithium benötigt. Das heißt, für jedes Auto bedarf es zwischen fünf und zehn Kilogramm Lithium. Das Hauptabbaugebiet für Lithium war bisher fast ausschließlich Chile. Aufgrund der enorm gestiegenen Nachfrage und der damit ebenfalls gestiegenen Preise wurde in den vergangenen Jahren Lithium-Minen in Australien errichtet. Heute werden mehr als 80 Prozent des Lithiums entweder in Chile oder Australien abgebaut.

Das gilt allerdings nur für die Ausgangsrohstoffe, denn die Weiterverarbeitung findet fast ausschließlich in China statt. Somit stehen wir vor zwei großen Herausforderungen, wenn wir zukünftig mit Elektroautos fahren wollen: einerseits eine hohe Nachfrage nach Lithium bei gleichzeitig niedrigem Angebot, andererseits die Abhängigkeit von einzelnen Ländern, hier insbesondere China. 

Glücklicherweise gibt es Alternativen zu Lithium, zum Beispiel Natrium. Natrium in Verbindung mit Chlor ist den meisten bekannt als NaCl oder: Kochsalz. Und das gibt es wie Sand am Meer beziehungsweise Salz im Meer. Natrium ist praktisch überall und kostengünstig verfügbar – ganz im Gegensatz zu Lithium. Allerdings gibt es bei der Nutzbarmachung von Natrium in Batterien für sogenannte Natrium-Ionen-Batterien noch einige Herausforderungen.

Eine der Hauptherausforderungen bei der Natrium-Ionen-Batterie ist die geringe gravimetrische Energiedichte, also wie viel Energie (Wh) pro Gewicht (kg) speicherbar ist. Je nach Zellchemie sind hier bei Natrium-Ionen-Batterien 120 bis 160 Wh/kg (Schichtoxid, Preußisch Blau Analoga), 80 bis 100 Wh/kg (Polyanionisch) und teilweise auch nur 25 bis 40 Wh/kg realistisch. Zum Vergleich: Heutige Lithium-Ionen-Batterien auf Nickelbasis erreichen um die 200 Wh/kg und mehr. Deshalb wird vielfach an einer neuen Generation von Natrium-Ionen-Batterien geforscht. Die ersten Firmen (CATL, Faradion und Hina) haben bereits Natrium-Ionen-Batterien mit 200 Wh/kg angekündigt. Doch hierzu sind noch einige Herausforderungen zu bewältigen. 

Die heutigen Gigafactories können genutzt werden

Aber trotz aller Herausforderungen sollte man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Die Lithium-Ionen-Batterie ist heute da, wo sie ist, aufgrund langer, intensiver Forschung und Entwicklung. Die Natrium-Ionen-Batterie wird zwar gerade intensiv erforscht, es braucht jedoch noch Zeit, um den Vorsprung an Wissen aufzuholen. Erfreulich ist aber eins schon heute: Für die Produktion von Natrium-Ionen-Batterien kann die gleiche Infrastruktur verwendet werden wie für Lithium-Ionen-Batterien. Natrium-Ionen Batterien werden deshalb häufig auch als „Drop-in“-Technologie bezeichnet, können also einfach in den heutigen Gigafactories produziert werden.

Wird die Natrium-Ionen Batterie also zukünftig die Lithium-Ionen-Batterie verdrängen? Wahrscheinlich nicht, ebenso wenig wie der vor Jahren gehypte Metall-3D-Druck sämtliche Produktionsverfahren substituiert hat. Natrium-Ionen-Batterien erweitern vielmehr die Menge an Möglichkeiten, die richtige Batterie für die richtige Anwendung zu finden beziehungsweise zu verwenden. Im Falle der Natrium-Ionen-Batterie können dies zum Beispiel stationäre Speicher (Heimspeicher) sein oder kleinere Fahrzeuge im unteren Preissegment. 

Und wo kommen die Natrium-Batterien heute und in Zukunft her? Wie es derzeit aussieht, aus China. Der chinesische Hersteller CATL ist einer der ersten, die eine industrielle Großserienfertigung von Natrium-Ionen-Zellen planen. Auch andere chinesische Firmen planen, mit eigener Produktion in den Markt einzusteigen.

Die Motivation ist die Gleiche wie bei europäischen Unternehmen: Natrium ist günstiger als Lithium und von daher interessant für Low-Cost-Anwendungen. Aber auch China fürchtet die strategische Abhängigkeit von Lithium. Denn obwohl China der weltweit führende Verarbeiter von Lithium ist, kommt das Grundmaterial eben aus Australien oder Chile. Natrium hingegen kann auch in China gefördert werden. 

Die Industrie müsste ins Risiko gehen

Ob wir in Europa zukünftig ebenfalls auf Natrium-Ionen-Batterien setzen werden, ist weniger eine Frage des Könnens, sondern eher des Wollens. Die Fabriken für die Batteriezellen sind da beziehungsweise in der Entstehung. Das Wissen über Natrium-Ionen-Batterien und deren Aufbau ist ebenfalls vorhanden. Was fehlt, ist eine großskalige Herstellung beziehungsweise Aufbereitung der Rohstoffe, zum Beispiel von Kochsalz zu batteriefähigen Natriumverbindungen.

Das ist aber wie so häufig ein Henne-Ei-Problem. Ohne ein breites Interesse an Natrium-Ionen-Batterien, insbesondere von den Automobilherstellern, wird kaum jemand bereit sein, in den Aufbau von Produktionsinfrastrukturen zu investieren. Ohne Materialverfügbarkeit wird aber kaum ein Automobilhersteller auf Natrium-Ionen-Batterien setzen wollen. Es ist also eine Frage, wie stark die Industrie bereit ist, ins Risiko zu gehen. Klar ist aber auch, eine risikofreie Marge gibt es nicht.

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