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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Europas Batterieindustrie braucht eigene Ausbildungsstandards

Torge Thönnessen, CEO und Co-Gründer Customcells
Torge Thönnessen, CEO und Co-Gründer Customcells Foto: promo

Viele Arbeitsplätze entstehen in Deutschlands und Europas Batterieindustrie. Doch damit die Hoffnungen, die auf ihr ruhen, nicht enttäuscht werden, braucht es ausgebildete Fachkräften. Customcells-Mitgründer Torge Thönnessen appelliert an die Branche.

von Torge Thönnessen

veröffentlicht am 17.05.2022

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Nur wenige andere Branchen in Deutschland beflügeln die Fantasie von Politik und Wirtschaft so sehr wie die Batterieindustrie. Mit ihrer Technologie kann sie einen wichtigen Beitrag leisten, um Deutschlands Klimaziele für 2030 zu erreichen. 

Beim Ringen um die Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen und der Elektrifizierung von Mobilität und Industrie zählen leistungsstarke Batteriezellen zu den Schlüsselkomponenten. Sie können Strom aus erneuerbaren Energien speichern und als Puffer lokale Stromnetze stabilisieren. 

Sie ermöglichen innovative Mobilitätskonzepte und alternative Transportmittel – von der Micro-Mobility, über Fortbewegung auf und unter dem Wasser und bis hin zum elektrischen Fliegen. Die Batteriezelle ist der Brennraum der Zukunft, wie Porsche-CEO Oliver Blume im Rahmen der Bekanntgabe des Joint Ventures zwischen Customcells und dem Stuttgarter Sportwagenhersteller sagte. 

Obendrein ist die Branche eine echter Jobmotor. Die Bundesregierung rechnet damit, dass in den kommenden Jahren hierzulande rund 10.000 Arbeitsplätze in der Batterieindustrie entstehen. Die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität beziffert den Gesamtpersonalbedarf im Zeitraum 2021 bis 2030 sogar auf 65.000 zum großen Teil „hochspezialisierte Fachkräfte“.

Mitarbeitende in Zulieferindustrien sind dabei noch nicht einmal berücksichtigt. Allein für den Maschinen- und Anlagenbau geht ein Zwischenbericht der Plattform von 11.000 zusätzlichen Mitarbeitenden pro Jahr aus. Eine ähnliche Veränderung erlebt auch die Automobil-Industrie, wo die Software zum beherrschenden Instrument wird und sich Job-Profile und das Recruiting für die HR-Abteilungen radikal verändert haben.

Fachkräftemangel gefährdet Innovationstempo

Doch damit die Neuerfindung des industriellen „Made in Germany“ gelingt und Deutschland seine Marktführerschaft im Ingenieurwesen behaupten kann, ist dringendes Handeln erforderlich. Schon heute lassen sich offene Stellen in der Batterieindustrie nur schwer besetzen. Der Branche droht ein Fachkräftemangel; das Innovationstempo könnte ins Stocken geraten. Es braucht daher die Entwicklung anerkannter sowie standardisierter Ausbildungs-, Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote – und zwar in ganz Europa. 

Customcells ist eines der führenden Unternehmen in der Entwicklung und Herstellung anwendungsspezifischer Lithium-Ionen-Batteriezellen – und damit direkt betroffen. Wir leben von der Innovationskraft unserer Beschäftigten, unsere Teams sind der Motor für den Fortschritt, Hand in Hand mit modernsten Produktionsstandards. 

Das setzt technologische Expertise voraus, doch zugleich auch eine „Macher-Mentalität“ und den Wunsch, das nachhaltige Übermorgen schon heute zu gestalten. An unseren Standorten in Itzehoe und Tübingen planen wir, die Belegschaft – angepasst an unsere Wachstumsstrategie – kurzfristig um rund 30 Prozent aufzustocken, die passenden Mitarbeitenden dafür vorausgesetzt.

Wettstreit um Talente mit fatalen Konsequenzen

Kooperationen mit Hochschulen sowie die Teilnahme an unterschiedlichsten nationalen und internationalen Foren helfen zwar, den notwendigen Austausch zu fördern, und werden in Zukunft für uns noch wichtiger. Doch sie können nur ein Anfang beim Thema der Fachkräftesicherung sein. 

Wir brauchen einen branchenübergreifenden Dialog über nötige Fähigkeiten, über die heutigen und künftigen Bedarfe, um gemeinsame Standards zu definieren und einheitliche Jobprofile schaffen zu können. Wir sind bereit, hier eine Führungsrolle einzunehmen. Unser Appell an alle Beteiligten in der Branche lautet daher: Lasst uns die Berufsbilder der Zukunft gemeinsam entwickeln!

Es mag verlockend erscheinen, doch es ist nicht die Zeit für Alleingänge einzelner Unternehmen nach dem „The Winner Takes It All“-Prinzip. Ein Bieterwettstreit um die qualifizierten Beschäftigten hätte nämlich fatale Folgen für die gesamte europäische Batteriezellproduktion. Er würde die Abwanderung von Unternehmen begünstigen oder zu einer Konsolidierung des Marktes führen. Letzteres wiederum wäre hinderlich für die künftige Innovationskraft.

Die Politik muss Bemühungen der Wirtschaft flankieren

Gefragt sind auch nicht allein die Unternehmen und ihre Partner. Die Entwicklung von Batteriezellen und die Herstellung von Batterien erfolgt nicht im urbanen Raum, sondern in ländlich geprägten und oftmals strukturschwachen Gebieten. Die Unternehmen tragen dadurch positiv zur Stärkung der jeweiligen Region bei. 

Im Gegenzug ist allerdings die Politik gefordert, gemeinsam mit den Unternehmen zur Attraktivität der Region beizutragen und gezielt in Betreuungs- und Mobilitätsangebote vor Ort zu investieren.

Allein in Europa sollen nach Angaben des Mobilitätsverbands Transport & Environment in den nächsten zehn Jahren 38 neue Batteriefabriken entstehen, das Marktvolumen soll sich von derzeit 1,7 Milliarden Euro auf 110 Milliarden Euro mehr als versechzigfachen. Was diese Zahlen deutlich machen: Wir haben gemeinsam die Chance, Europa zu einem der führenden Märkte im Bereich der Batteriezelltechnologie zu machen und unsere technologische Souveränität zu sichern. Leistungsstark und nachhaltig. Wir sollten nicht zulassen, dass der Fachkräftemangel uns auf diesem Weg ins Schleudern bringt.

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