Ohne Zweifel ist der Schienenverkehr das Verkehrsmittel mit sehr hoher Leistungsfähigkeit mit der mit Abstand geringsten CO2-Emission. Dafür gibt es drei Gründe. Erstens: geringer Energieverbrauch durch geringen Rollwiderstand durch Stahlräder auf der Schiene aus Stahl. Zweitens: sehr geringer Luftwiderstand durch die Zugbildung. Drittens: elektrische Traktion über die Fahrleitung, die die Rückspeisung der Bremsenergie als Strom ermöglicht, statt sie in Wärme umzuwandeln.
Grüner Strom kann im Schienenverkehr ohne die Batterieproblematik sofort genutzt werden. Auch spielt die relativ hohe Masse wegen der Längskräfte im Zugverband durch die Bremsenergierückspeisung eine weitaus geringere Rolle als das bei anderen Verkehrsträgern der Fall wäre.
So ist es zunächst sehr positiv, dass die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag von 2021 eine Verdopplung der Fahrgastzahlen bis 2030 vereinbart hat. Eine Verdopplung der Fahrgastzahlen innerhalb von zehn Jahren bedeutet eine jährliche Steigerung von sieben Prozent. Dann wird der Modal Split der Schiene 2030 bei etwa zwölf bis 14 Prozent liegen, je nach Wachstum des Gesamtverkehrs. Das erscheint ein sehr bescheidenes, ja umweltbezogen ein sehr schwaches Ziel zu sein. Das Autoland Japan hat heute schon einen Anteil von Öffentlichem Verkehr von 16 Prozent und andere Länder wie Österreich und die Schweiz streben 40 Prozent an.
Betrieb am Rande der Belastungsgrenze
2022 hat der DB Fernverkehr eine signifikante Steigerung der Fahrgastzahlen gegenüber 2021 erreicht. Aber zum einen war 2021 noch durch Corona gebremst. Zum anderen ist der Betrieb am Rande der Belastungsfähigkeit, sodass trotz der guten Nachfrage die entgangenen Gewinne und erhöhten Kosten durch die vielen Störungen mit Zugausfällen zu einem sehr schlechten Betriebsergebnis geführt haben.
Die Infrastruktur, sprich DB Netz, wird in der nahen und mittleren Zukunft nicht in der Lage sein, eine hinreichend große und stabile Kapazität für immer mehr Züge anzubieten. Der seit einigen Jahren im Güterverkehr beschrittene Weg, die Zuglänge im ganzen Netz auf 750 Meter zu erweitern, kann im Personenverkehr nicht eingeschlagen werden, da in Deutschland schon lange das international für den Personenverkehr vereinbarte Maß von 400 Meter Bahnsteiglänge im Fernverkehr angewendet wird.
Die DB beschafft aktuell 90 ICE3neo: achtteilige Züge, 320 km/h schnell und 200 Meter lang, mit 439 Sitzplätzen (also 878 Plätze in Doppeltraktion). Das Grundkonzept ist mehr als 25 Jahre alt und wurde fast kontinuierlich während dieser 25 Jahre, leicht modifiziert, in mehreren Serien weiter beschafft. Dadurch war die Zulassung der neuen Züge sehr einfach, und die Industrie konnte kurzfristig liefern, zumal die ganz ähnlichen Züge für Russland sanktionsbedingt nicht mehr gebaut werden dürfen und so Kapazitäten im Bau kurzfristig frei wurden. Auch neue Werkstätten sind vorgesehen.
Nur weisen die Züge viele Nachteile durch ihr hohes konzeptionelles Alter auf. Auf zwei gravierende Probleme will ich mich hier konzentrieren, nämlich Einstieg und Kapazität.
ICE3neo für Rollstühle ungeeignet
Der ICE3neo ist ein sogenanntes Hochflurfahrzeug, mit einer Fußbodenhöhe von 1,25 Metern über der Schienenoberkante (SO). Zwischen Fußboden und Bahnsteig, in Deutschland im Fernverkehr 76 Zentimeter über SO, international europäisch 55 Zentimeter über SO, müssen so Stufen überwunden werden. Das fällt nicht nur der älter werdenden Bevölkerung schwer, sondern ist für Rollstühle und Rollatoren zunächst unüberwindbar.
Die bisher eingesetzten Bahnsteiglifte werden beim ICE3neo nun durch einen fest eingebauten Lift in einer Tür ersetzt. Schon bisher ist der Ein- und Aussteigevorgang in Deutschland ein Vabanquespiel bezüglich Verspätungen, da die Hublifte und die schmalen Türen und die Treppen bisweilen zu großen Verzögerungen im Fahrgastwechsel führen. Durch den einen neu eingebauten Lift wird das noch unflexibler.
Wenn kein Rollstuhl zu bewegen ist, ist die Tür auch für andere Fahrgäste nicht benutzbar. Wenn es mehrere Rollstühle oder Rollatoren sind, dauert es noch länger, und außerdem kann die maximale Rollstuhlbreite nur 72 Zentimeter sein, während Straßenrollstühle 77 Zentimeter Breite aufweisen. Für Straßenrollstühle muss der bahnsteigmobile Hublift weiter vorgehalten werden.
Vorbilder im Regionalverkehr
Im Regionalverkehr machen die Aufgabenträger, in Berlin und Brandenburg der VBB, durch ihre Fahrzeugbeschaffungen vor, wie eine solche untragbare Situation vermieden wird. Im Regionalverkehr gibt es kurioserweise die internationale Fernverkehrsbahnsteighöhe von 55 Zentimetern an kleineren Bahnhöfen auch in Deutschland.
Die neuen Regionalfahrzeuge kopieren die Lösung des Schweizer Hochgeschwindigkeitszuges Giruno, konzipiert für den Verkehr Frankfurt/Main-Basel-Zürich-Milano. Dieser Zug hat ebene Türeinstiege, die an allen Türen für den internationalen Verkehr 55 Zentimeter hoch sind und zusätzlich für Deutschland an zwei Türen über 76 Zentimeter hohe Türeinstiege für Rollstühle verfügen.
Durch schwache Rampen in den Wagen für Rollstühle und Anzeigen, welche Bahnsteighöhe zu erwarten ist, können die Rollstuhl- und Rollatorfahrer und -fahrerinnen die richtige Tür vorwählen, und der Ein- und Ausstieg geht auch bei großem Andrang immer reibungslos.
Bei der anderen großen aktuellen Beschaffung des DB Fernverkehrs, dem ICE-L von Talgo, ist der Einstieg immerhin auf 76 Zentimeter höhengleich angepasst, sodass nur im Ausland eine Treppenstufe zu überwinden ist. Dies erlaubt mit Hilfsperson auch ohne Rampe oder Hublift den Einstieg an allen Türen – auch mit Rollstuhl. Beim ICE-L ist das Verspätungsrisiko gegenüber dem ICE3neo so sehr deutlich verringert.
Mehr Kapazität und Pünktlichkeit in Doppelstockzügen
Wie einleitend aufgezeigt, ist der Flaschenhals für das Wachstum des Bahnverkehrs in Deutschland die auf absehbare Zeit ungenügende Leistungsfähigkeit der Infrastruktur. Die Nachfrage ist da, aber für mehr Züge ist keine Kapazität vorhanden. Eine naheliegende Lösung ist die Verwendung von Doppelstockzügen, die im Mittel 50 Prozent mehr Kapazität als einstöckige Züge bei gleicher Zuglänge aufweisen.
Aktuell beschafft die französische SNCF einen neuen Doppelstockzug TGV-M mit Höchstgeschwindigkeit 350 km/h und 740 Sitzplätzen auf 202 Metern Länge. Bei Doppeltraktion werden 1480 Sitzplätze angeboten. Er hat somit sogar fast 70 Prozent mehr Sitzplätze auf gleicher Fahrzeuglänge als der ICE3neo.
Durch Tiefeinstiege ist beim TGV-M die Verspätungsanfälligkeit stark verringert und die Aufenthaltsdauer auf Unterwegsbahnhöfen verkürzt, was den Reisenden durch verkürzte Reisezeit zugutekommt und für das Bahnunternehmen größere Einnahmen bedeutet. Das Zugpersonal hat denselben Stundenlohn im Stillstand wie während der Fahrt mit 300 km/h. Nur die Zeit zählt bei vielen Kosten, egal ob weite, kurze oder gar keine Strecken zurückgelegt werden.
Die Verdopplung der Reisendenanzahl bis 2030 wird mit tendenziell unpünktlichen, einstöckigen Hochgeschwindigkeitszügen kaum zu erreichen sein. Mit pünktlicheren doppelstöckigen Zügen wäre das aber sehr wohl möglich. Warum schlägt Deutschland diesen notwendigen Weg nicht ein?