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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Neues Gas in alten Schläuchen

Carl H. Schmitt, Entwickler, Unternehmer und Umweltpreisträger
Carl H. Schmitt, Entwickler, Unternehmer und Umweltpreisträger Foto: promo

Selbst Neuwagen und Elektroautos fahren mit ineffizienten Klimaanlagen. Bei der Verbrauchsmessung im Labor bleiben sie ausgeschaltet. Es ist Zeit für eine umweltfreundlichere Lösung, fordert der Preisträger des Deutschen Umweltpreises (2007), Carl H. Schmitt.

von Carl H. Schmitt

veröffentlicht am 09.03.2022

aktualisiert am 10.03.2022

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Es besteht Handlungsbedarf: Der Verkehrssektor ist mit 16 Prozent einer der weltweit bedeutendsten CO2-Emittenten. Er leistet im Gegensatz zu anderen Sektoren bislang kaum einen Minderungsbeitrag. Allein die Klimaanlagen der Welt tragen mit sieben Prozent zur Klimaerwärmung bei. Tendenz: steigend.

Doch ausgerechnet am Treffpunkt der „Klimasorgenkinder“ Verkehr und Klimatisierung – der Autoklimaanlage – werden bis heute keine Effizienzansprüche gestellt: Weder Verbrauchsangaben und Effizienzlabel, noch die Flottengrenzwerte für Hersteller berücksichtigen den zusätzlichen Verbrauch durch die Klimatisierung im Auto. Auch beim neuen WLTP-Messverfahren bleibt der mit Abstand größte Nebenverbraucher ausgeschaltet. Mehr Verbrauch bedeutet mehr CO2, höhere Betriebskosten, geringere Reichweite. 

Eine Klimaanlage ist doppelt klimawirksam: erstens durch hohen Energieverbrauch, zweitens durch das Kältemittel, wenn es in die Atmosphäre gelangt – allein durch Undichtigkeiten bis zu zehn Prozent der Kältemittelmenge pro Jahr. Hinzu kommen Leckagen durch Schäden, Unfälle, unsachgemäße Wartung oder Verschrottung.

Das Kältemittel R 134a hat ein Global Warming Potenzial (GWP) von 1430. Seit 2015 wird dessen Einsatz in der EU schrittweise reduziert (Phase-out) und durch R 1234yf ersetzt. Dessen GWP beträgt 1 – 4. Da es aber im Aftermarket fünf Mal teurer ist, floriert der Schwarzmarkt in der EU mit R 134a. In Drittländern, wohin viele Gebrauchtwagen exportiert werden, ist eine Neubefüllung mit R 134a nicht einmal verboten. 

Neues (und altes) Gas in alten Schläuchen

Dass eine Klimaanlage für R 1234yf auch mit R 134a befüllt werden kann, war bei Einführung kein Versehen, sondern Verkaufsargument: Mit R 1234yf konnten die Hersteller den Aufwand für bauliche Anpassungen an Anlage und Fahrzeugarchitektur vermeiden. Den Entwicklern und Patenthaltern Honeywell und DuPont (bzw. dessen Spin-off Chemours) blieb ein lukrativer Absatzmarkt erhalten.

Doch es gibt eine sinnvolle Alternative, insbesondere für Elektroautos.Das Umweltbundesamt stellte schon 2010 fest: „Für Pkw-Klimaanlagen ist CO2 das am besten geeignete neue Kältemittel … Im Sommer ist der Mehrverbrauch geringer und im Winter kann die Klimaanlage als Wärmepumpe geschaltet werden. CO2 ist weltweit zu günstigen Preisen verfügbar. CO2 als Kältemittel hat das größte und kostengünstigste Minderungspotenzial für Treibhausgasemissionen bei Pkw weltweit.“ 

Eine Klimaanlage mit CO2 arbeitet mit höherem Druck – sie bedeutet einen Systemwechsel. Zudem ergänzt sie gut den Elektroantrieb, da sie die Reichweite des E-Autos beim Kühlen deutlich schont und noch mehr beim Heizen.

Die CO2-Klimaanlage ist eine deutsche Erfindung: Sie wird seit Jahren in Elektrostadtbussen verbaut und hatte 2017 ihr Debüt in einem Pkw-Serienmodell. Als „Reichweitenverlängerer“ wird sie für einige Elektromodellen als (überteuerte) Sonderausstattung angeboten. Aber ist eine seltene Ausnahme geblieben. Im Weltverband SAE haben die Ingenieure der Automobilindustrie R 1234yf als Standard vereinbart. Die europäische Automobilindustrie hat diese Entscheidung übernommen.

Regulierung begünstigt Mehrverbrauch

Bei diesem Standard wird es bleiben, solange mit R 1234yf gutes Geld verdient wird. Die Regulierung begünstigt dies in mehrfacher Hinsicht.

Die Flottengrenzwerte für Hersteller werden nach bestehender Verordnung (EU) 2019/631 ohne Betrieb der Klimaanlage festgelegt. Sie unterschlagen damit systematisch circa 15 Prozent der CO2-Emissionen, das sind bis zu 15 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr in Deutschland. Nur so halten die Hersteller ihre Flottengrenzwerte ein, vermeiden Strafzahlungen und Mehrkosten.

Verbrauchswerte werden nach WLTP gemessen und ausgewiesen. Autokaufende erhalten also auch heute keine realistische Auskunft über den Verbrauch eines Pkw – ein wichtiges Kaufkriterium und entscheidend für die Betriebskosten. Neben dem Mehrverbrauch tragen sie – im Gegensatz zu den Herstellern – auch die Mehrkosten für die Nachbefüllungen mit R 1234yf.

Das Pkw-Effizienzlabel, welches Kaufentscheidungen zugunsten eines möglichst umweltfreundlichen Fahrzeugs unterstützen soll, basiert ebenfalls auf WLTP. Würde der Mehrverbrauch durch Klimaanlagen berücksichtigt, würden alle Pkw um 1,5 Effizienzklassen schlechter bewertet.

Bundesregierung und EU müssen jetzt handeln

Die EU will mit dem Green Deal bis 2030 „Fit for 55“ werden – und dies auch nutzen, um Innovation zu fördern und die Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents zu steigern.

Der Bundeswirtschaftsminister hat in der Eröffnungsbilanz Klimaschutz angekündigt, „dass sich Deutschland … proaktiv und konstruktiv (in die „Fit for 55“-Verhandlungen) einbringen“ wird. Das ist nicht nur löblich, sondern Pflicht: Schon die alte Bundesregierung hat höchstrichterlich erinnert werden müssen, dass das Klimaschutzgebot nach Art. 20a Grundgesetz „vom Staat international ausgerichtetes Handeln zum globalen Schutz des Klimas“ verlangt. 

Die neue Bundesregierung sollte dem „größten und kostengünstigsten Minderungspotenzial für Treibhausgasemissionen bei Pkw“ (Umweltbundesamt) bei den Verhandlungen den Weg zu ebnen. Die CO2-Klimaanlage unterstützt die Ziele der EU. Deshalb muss der Betrieb der Klimaanlage inklusive entsprechender Temperierungen von Fahrzeug und Prüfkammer Teil der emissionsbezogenen Typgenehmigung werden – und sich in Verbrauchsangaben, Effizienzlabeln und Flottengrenzwerten niederschlagen.

Der Autor erhielt 2007 den Deutschen Umweltpreis für die Entwicklung umweltfreundlicher Klima- und Kälteanlagen, er ist Gründer und Aufsichtsratschef der Konvekta AG

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