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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Open Source als Booster für das autonome Fahren

Markus Lienkamp, Professor für Fahrzeugtechnik an der Technischen Universität München und MCube-Co-Direktor
Markus Lienkamp, Professor für Fahrzeugtechnik an der Technischen Universität München und MCube-Co-Direktor Foto: promo

Vor allem im Lkw- und Busverkehr und auf der Schiene wird das autonome Fahren die Mobilität künftig maßgeblich verändern. Eine Open-Source-Strategie, die Daten und Ergebnisse allen Interessierten zugänglich macht, kann die Entwicklung der Technologie kräftig beschleunigen.

von Markus Lienkamp

veröffentlicht am 08.03.2024

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„Wir haben die Komplexität unterschätzt“ – so bewertet Dr.-Ing. Ilja Radusch, Leiter des Daimler Center for Automotive IT Innovations (DCAITI) an der TU Berlin, die ernüchternden Fakten und Erkenntnisse beim autonomen Fahren in einem Interview.

Ilja Radusch spricht in seinen Antworten zahlreiche Themen an, die derzeit die gesamte Automobilindustrie beschäftigen. Beim autonomen Fahren haben viele Unternehmen (zu) große Ankündigungen gemacht, von denen bisher nur die wenigsten eingehalten wurden. Herauszuheben ist das Fahren im Stau ohne Hände am Lenkrad (Level 3 in einem beschränkten Anwendungsgebiet), das Mercedes als erster Autohersteller in Serie gebracht hat.

Die technischen Herausforderungen sind noch nicht alle gelöst, sodass das autonome Fahren derzeit noch mit starken Einschränkungen des Einsatzbereiches (Straßentyp, Geschwindigkeit, Wetter, Straßenzustand, Verkehrssituation etc.) verbunden ist. Betriebswirtschaftlich ergibt das autonome Fahren nur Sinn, wenn die Fahrzeuge viele Kilometer fahren und die ersetzten Fahrer teuer sind.

Einsatz im Lkw-Bereich und Busverkehr

Aus den genannten technischen und betriebswirtschaftlichen Gründen ist das autonome Fahren im Lkw-Verkehr als erstes sinnvoll: Im Fahren von Hub zu Hub, also zum Beispiel zwischen Raststätten auf der Autobahn, können die Rahmenbedingungen vereinfacht werden. Lkw-Fahrer sind zudem teuer, und die Fahrzeuge fahren lange Strecken und damit Zeiten. Erleichternd könnte man die Lkw nur nachts autonom fahren lassen und aus Sicherheits- und Lärmgründen die Geschwindigkeit auf 65 km/h herabsetzen. Morgens würden Lkw-Fahrer dann von den Hubs die Lkw zum Bestimmungsort, zum Beispiel in die Städte oder Fabriken fahren.

Das nächste Anwendungsgebiet sind feste Busrouten in der Stadt und auch im Überlandverkehr. Sobald eine unbekannte Anomalie bei einer Fahrsituation erkannt wird, könnte der Bus anhalten und von einem Teleoperator aus der Situation manuell herausgefahren werden. Bei dem herrschenden Mangel an Busfahrern würde sich so ein Szenario schnell betriebswirtschaftlich rechnen. Die Tests zum teleoperierten Fahren sind längst weit fortgeschritten, und Anbieter wie Fernride – eine Ausgründung aus der TU München – sind bereits im Feld aktiv.

Robotaxis sind in der Tat eine große Herausforderung, weil die Strecken flexibel und somit nicht vorher bekannt sind, die Kilometerleistungen fallen gering im Verhältnis zu Lkw oder Bus aus. Zudem kosten Taxifahrer nur einen Bruchteil von Lkw- oder Busfahrern.

Die Automatisierung von Zügen wäre relativ einfach umsetzbar, weil die Rahmenbedingungen sehr klar sind. Eine Bremsung aus Höchstgeschwindigkeit ist auch beim Menschen auf Sicht nicht möglich, sodass die Sicherheit durch Automatisierung prinzipiell erhöht werden könnte, weil menschliche Fehler ausgeschlossen werden.

Wir Forschungsteams können die Frustration der Automobilindustrie verstehen, weil alle das autonome Fahren als strategisches Kernthema eingeordnet und somit viel Geld in die Entwicklung investiert haben. Betriebswirtschaftlich gerechnet hat sich das allerdings bisher für kein Unternehmen. 

Training in Extremsituationen nötig

Ilja Radusch spricht zu Recht das Thema Komplexität im urbanen Verkehr an. Fahren wird von tausenden intuitiven Handlungen begleitet, die in der Theorie nur bedingt vorherzusagen sind. Hier setzt der Forschungsschwerpunkt der TU München mit seinem Mobilitätscluster MCube an. Um autonomes Fahren für die genannten Use Cases möglich zu machen, müssen wir die Algorithmen und die Sensorik unter Extremsituationen trainieren und zeigen, dass die Technik sicher ist.

Hier wollen wir zwei Beispiele aus unserer Arbeit nennen. Wir trainieren beispielsweise in Kopf-an-Kopf-Rennen bei Geschwindigkeiten von bis zu 300 km/h auf dem berühmten Indianapolis Motor Speedway, mit 1000 sich ändernden Faktoren in der Sekunde. Aber auch in maximal chaotischen Situationen im öffentlichen Raum, mit sich völlig unvorhersehbar bewegenden Menschenmassen. Ein solches Szenario findet in diesem Jahr rund um das Oktoberfest in München statt, wo wir im MCube Projekt Wiesn Shuttle als Demonstratorfahrt zeigen, wie autonomes Fahren in hochkomplexen Situationen möglich ist.

Zurück zur Ausgangslage: Wo stehen wir mit Blick auf autonomes Fahren? Im Unterschied zur Industrieforschung setzen wir an der TU München konsequent auf eine Open Source Strategie. Unsere Daten und Ergebnisse stehen allen Universitäten, Start-ups, Studierenden, aber auch etablierten Unternehmen offen zur Verfügung. Damit beschleunigen wir im hohen Maße den technologischen Fortschritt und sparen Ressourcen. Zudem wächst durch offenen Code und öffentliche Datensätze das Vertrauen in die Technologie. 

Aus dieser Perspektive schauen wir gespannt und optimistisch auf die Zukunft der autonomen Mobilität. Auch wenn die betriebswirtschaftlichen Versprechungen noch nicht eingelöst wurden, schreiten die technische Entwicklung und die Konkretisierung der Use Cases schnell voran und werden in den kommenden Jahren einen großen Anteil an der Mobilitätswende haben.

Co-Autor: Oliver May-Beckmann, Managing Director MCube an der Technischen Universität München

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